Anhörung von Prof. Dr. Klaus Stöhr am 6. März 2025 im Plenarsaal, Sächsischer Landtag:
Protokoll des 1. Untersuchungsausschusses der 8. Wahlperiode
Untersuchung der Krisenpolitik der Staatsregierung im Zusammenhang mit SARS CoV-2 und COVID-19
am 6. März 2025 im Plenarsaal, Sächsischer Landtag
Vors. Andreas Nowak: Herr Prof. Stöhr, Sie sind aufgrund eines Beweisbeschlusses geladen worden, den wir Ihnen zusammen mit dem Einsetzungsbeschluss des Untersuchungsausschusses übersandt haben, sodass Sie über den Gegenstand der Untersuchung informiert sind. Ich bitte Sie, uns zu Beginn kurz im Zusammenhang hierzu zu berichten. Danach wird der Untersuchungsausschuss Fragen an Sie richten. – Herr Prof. Dr. Stöhr, Sie haben das Wort.
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Besten Dank. – Ich werde in meinen Antworten auf Ihre Fragen sicherlich eine ganze Menge Kritik äußern werden an dem Pandemiemanagement hauptsächlich in Deutschland, auch spezifisch in Sachsen. Ich möchte aber als Eingangsstatement betonen, dass die Coronapandemie im Sinne der WHO-Definition und im Sinne der Definition, was Pandemien sind, eine Pandemie gewesen ist. Dazu gehört, dass ein neuer Erreger auftritt, dass der Erreger einen signifikanten gesundheitlichen Schaden und auch gesellschaftlichen Schaden anrichten kann, und dass der Erreger sich regional über große Gebiete oder weltweit ausbreitet. Das war bei der Coronainfektion der Fall gewesen.
Ich möchte auch betonen, dass Maßnahmen zur Kontaktbeschränkung notwendig bei solchen Ereignissen sind; Infektionserkrankungen leben von dem Kontakt zwischen Menschen. Es sei denn, sie werden zum Beispiel über Wasser, Kot oder Umwelt übertragen. Aber solche Aerosol getragenen oder Tröpfchen getragenen Infektionen leben vom Kontakt zwischen Menschen. Und die Kontaktunterbrechung ist notwendig, um die Geschwindigkeit dieser nicht vermeidbaren Durchseuchung während Pandemien zu verhindern.
Ich möchte auch noch mal sagen, dass der Impfstoffeinsatz – – Ich möchte von Anfang an sagen, dass der Impfstoffeinsatz – es waren ja bedingt zugelassene Impfstoffe; einige wurden ja auch vom Markt genommen –, aber dass die mRNA-Impfstoffe, die bis zum Schluss der Pandemie und auch jetzt noch verwendet werden, einen großen Dienst geleistet haben. Und hier muss man aber einschränken: vor allen Dingen natürlich bei den Altersgruppen, die besonders betroffen waren. Das sind die über Sechzigjährigen. Und der Impfstoff war ja nicht entwickelt worden, um Infektionen zu verhindern. Das war auch niemals – das steht auch in den Entwicklungsunterlagen –, niemals das Ziel. Und jeder, der ein bisschen Ahnung hatte von Impfstoffentwicklung und Atemwegserkrankungen wusste auch, dass so ein Impfstoff nicht entwickelt werden kann und eigentlich auch die Möglichkeiten, das zu testen während der Entwicklungsphase, gar nicht existieren. Aber der Impfstoff hat einen großen Anteil geleistet bei der Verhinderung von schweren Verläufen und der Reduktion von Todesfällen. Es war auch richtig, dass man Geld ausgegeben hat für die Pandemiebekämpfung; aber aus meinem Blickwinkel häufig auch nicht an der richtigen Stelle, nicht mit der richtigen Planung.
Lassen Sie mich auch noch eines vorab sagen – Sie haben es sicherlich schon gehört oder wissen das selbst, aber ich möchte trotzdem noch mal betonen: Es gab schon Pandemien so lange wie es Menschen gibt. Alle Erreger, mit denen wir zu tun haben, die Sie kennen, gegen die unsere Kinder geimpft werden: Diphtherie, Tetanus, Pertussis, Hepatitis B, Polio, Mumps, Masern, Rubella, Krebs – Gebärmutterhalskrebs. Das sind alles Erreger, die zum großen Teil von Tieren stammen. So lange wie Tiere existieren, werden auch wieder Erreger von Tieren auf den Menschen übergehen. Es wird auch Pandemien geben. In den letzten Tausend Jahren – es gibt gute historische Belege , gab es alle 28,5 Jahre eine Pandemie. Es wird also auch in der Zukunft wieder Pandemien geben. Und das Ende jeder Pandemie ist als Naturereignis, dass sich alle infizieren werden.
Diese Realität hat man bei der Strategiefindung nicht nur in Deutschland, auch in anderen Ländern, aus dem Blickwinkel verloren. Man hat den Wunsch, dass so wenig wie möglich oder keine Infektionen auftreten und keine Todesfälle zur Erwartung stilisiert und mit der falschen Strategiestellung auch eine ganze Reihe von Maßnahmen dann umgesetzt, die nicht dienlich oder nur partiell dienlich waren.
Das war mein Eingangsstatement.
Vors. Andreas Nowak: Vielen Dank, Herr Prof. Dr. Stöhr. – Die Damen und Herren von Presse, Rundfunk Fernsehen und den Fraktionen darf ich jetzt bitten, alle Aufnahmearbeiten einzustellen.
Wir kommen jetzt zu den Fragen und zur Einvernahme des Sachverständigen in der Reihenfolge der Fraktionen: zunächst der Vorsitzende, der stellvertretende Vorsitzende und dann CDU, AfD, BSW, SPD, Bündnisgrüne und Die Linke.
Ich habe eine Frage gerade auf Ihre letzte Bemerkung hin. Sind Sie der Auffassung, dass man bei den Maßnahmen hätte darauf drängen sollen, auch unter Zuhilfenahme, dass eine möglichst schnelle Durchdringung der Bevölkerung mit dem Virus wichtiger gewesen wäre als der Schutz vor der Infektion? Ich habe vernommen, dass Sie sagen: Am Ende steht immer eine Gesamtinfektion. Hätte man das abwägen sollen, oder wie wäre da Ihrer Meinung nach die Herangehensweise gewesen, wenn Sie das hätten entscheiden können?
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Ja, Sie wissen vielleicht, dass ich mich in der WHO als Leiter der Globalen Pandemiebekämpfung über viele Jahre genau mit dieser Frage beschäftigt habe. Wir haben Beispiel-Pandemiepläne erarbeitet, die dann auch den Ländern zur Verfügung gestellt wurden, den WHO-Mitgliedsländern. Die haben dann ihre Pandemiepläne erarbeitet. Grundlage, das Grundverständnis der Pandemiebekämpfung ist: Erstens, es werden sich alle infizieren, aber zweitens, die Geschwindigkeit der Infektion soll möglichst so sein, dass jedem, der sich infiziert, noch Zugang zu einem funktionsfähigen Gesundheitswesen ermöglicht wird.
Und das heißt, gerade bei solchen rasanten, explosionsartig verlaufenden Infektionen, wie bei den Atemwegserkrankungen, dass man diese Ausbreitung verlangsamen muss. Wenn man die nicht verlangsamt, kommt es dazu, dass eben sehr viele Menschen gleichzeitig krank werden. Und dann sind die notfallmedizinischen Maßnahmen, die ja auch ohne Pandemie anfallen – Schlaganfälle, Krebserkrankungen und Unfälle –, die können dann nicht mehr entsprechend betreut werden, weil das Gesundheitswesen überlastet ist.
Deswegen – den Begriff kennen Sie ja: Flatten the curve – möchte man versuchen, dass man die Infektionen streckt. Das war während dieser Pandemie das erste Mal auch möglich. In allen anderen Pandemien, die in unserer Zeit passiert sind, also 1957, 1968 und auch 1918, gab es noch keine Impfstoffe. Da war es „nur“ notwendig, so viel wie möglich Infektionen zu verhindern, dass jeder, der krank wurde, noch einen Platz im Krankenhaus kriegt oder beim Arzt noch konsultiert werden kann.
Jetzt war es so, dass man zusätzlich Infektionen nach hinten schieben musste, vernünftigerweise, damit Leute sich noch impfen lassen konnten vor der Impfinfektion; denn die Impfung vor der Erstinfektion ist immer noch besser als die Erstinfektion – besonders bei denjenigen, die eben sehr schwer erkranken können: bei den Älteren. Bei Jüngeren – es kommen sicherlich vielleicht noch Fragen – ist das anders. Da gibt es natürlich neben dem Nutzen, den die Impfung hat, auch Risiken, und gleichzeitig ist der Verlauf der Erkrankung natürlich noch viel, viel milder. Also da muss man das ganz anders abwägen.
Also, um das noch einmal kurz zu sagen: Ja, es war richtig, Kontaktbeschränkungen umzusetzen. Aber die Dosierung, die Dauer und die Art der Kontaktbeschränkung entscheidet darüber, ob der Nutzen dieser Kontaktbeschränkung den Schaden übersteigt.
Vors. Andreas Nowak: Vielen Dank. Das nächste Fragerecht hat mein Stellvertreter, der Abg. Wendt.
Stellv. Vors. André Wendt: Vielen Dank, Herr Vorsitzender. – Vielen Dank, Herr Prof. Stöhr, für Ihre Aussage. Ich möchte ganz kurz mal auf Ihre letzte Aussage rekurrieren und die Frage stellen: Hat denn die Impfung dazu beigetragen, dass sich die Ausbreitung des Virus verlangsamt hat?
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Dazu kenne ich keine Daten. Was ist jetzt biologisch plausibel? Biologisch plausibel ist, dass jemand, der geimpft wird und vorher noch nicht infiziert war, eine geringere Wahrscheinlichkeit hat, sich zu infizieren – aber nur über einen kurzen Zeitraum. Den Zeitraum kann ich Ihnen jetzt nicht nennen, weil es auch dazu keine guten Studien gibt. Aber biologisch plausibel ist, dass das nur über einige Wochen, vielleicht zwei, drei Monate, so ist. Und dann hängt es wieder von der Person ab: Ist er jung? Ist er alt? Ist er älter, ist der Abstand kürzer. Ist er jünger, ist der Abstand länger.
Also, die Impfung trägt dazu bei, die Infektionsfähigkeit zu reduzieren und dann auch die Ausscheidung des Geimpften zu reduzieren. Aber die Ausbreitung des Virus kann durch die Impfung biologisch plausibel meines Erachtens nicht reduziert werden, weil natürlich auch der Zeitraum, bis die Impfung zur Verfügung steht – das waren ja Monate gewesen; die ersten Impfdosen waren im Spätherbst/Winter 2020, standen die zur Verfügung. Und dann hat die Impfgeschwindigkeit natürlich auch nicht gleich alle getroffen. Da war das Virus natürlich schon überall gewesen. Man darf auch nicht vergessen: Nachdem in Wuhan die drastischsten Maßnahmen, die man sich nur vorstellen kann – bei uns eigentlich gar nicht vorstellbar –, nicht geholfen haben, das Virus im Ort zu halten, war ja klar, es wird eine Pandemie gehen; denn das Virus hatte eine so hohe Übertragungsfähigkeit, dass wenn anderswo weniger und schwächere Maßnahmen gemacht werden, das Virus sich auch weiter ausbreitet.
Also, der Impfstoff hat – – die Impfwirkung hat dazu beigetragen, die Anzahl der schweren Verläufe und der Todesfälle signifikant zu reduzieren. Aber was die Ausbreitung des Virus betrifft, ist meines Erachtens der Beitrag marginal gewesen.
Vors. Andreas Nowak: Weitere Fragen, Herr Kollege Wendt?
Stellv. Vors. André Wendt: Nein.
Vors. Andreas Nowak: Dann treten wir jetzt ein in das Fragerecht der Fraktionen. Es geht los mit der Fraktion CDU, die Abg. Leithoff, bitte.
Susan Leithoff, CDU: Vielen Dank, Herr Vorsitzender. – Vielen Dank, Herr Prof. Stöhr, dass Sie uns heute hier für Fragen zur Verfügung stehen. Wir haben jetzt von Ihnen ein bisschen Allgemeines zur Einordnung gehört. Mich würde zunächst interessieren: Inwiefern waren Sie in das Pandemiegeschehen in Sachsen involviert, also als Wissenschaftler? Haben Sie die Regierung in irgendeiner Weise beraten? Sind Sie an der Rechtsfindung sozusagen, bei der Einordnung der Lage mit beteiligt gewesen?
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Die kurze Antwort lautet: Nein.
Susan Leithoff, CDU: Können Sie ansonsten aus Ihrer Erfahrung heraus etwas zum Pandemiegeschehen in Sachsen sagen? Weicht es im Wesentlichen von dem ab, was andere Bundesländer an Pandemiegeschehen hatten? Gibt es da irgendeine Vergleichbarkeit, oder ist das so eine Vergleichbarkeit, die sich eigentlich grundsätzlich über alle Bundesländer zieht?
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Also, prinzipiell habe ich mir natürlich während der Pandemiezeit auch die Unterschiede zwischen den Bundesländern angeschaut. Aber Sie haben mich gefragt, ob ich beteiligt war bei Entscheidungsfindungen, Beratungen gemacht habe. Das ist nicht der Fall gewesen.
Aber sicherlich kann ich etwas sagen zu den Pandemieverläufen, zum Teil zu den Besonderheiten auch hier in Sachsen. Es gab Zeiträume – Ende 2020 –, wo Sachsen die höchsten Inzidenzen hatte; danach kam Thüringen. Das hatte sich dann relativ schnell über den Zeitraum von drei, vier Monaten gewandelt, sodass andere Bundesländer dort ganz oben rangiert haben. Aber da hat Sachsen sich nicht unterschieden von anderen Bundesländern. Irgendwann war jedes Bundesland wohl mal irgendwo ganz oben, was die Inzidenz betraf, und dann wieder nach hinten gerutscht.
Das ist auch normal. Wenn man sich jetzt mal vorstellt, dass Österreich – es hat so viele Einwohner wie eines der größeren Bundesländer in Deutschland –, und man hat dann die entsprechenden regionalen Bezirke, die Schweiz mit den Kantonen, die haben auch unterschiedliche Infektionsdynamiken gehabt. Man kann nicht erwarten, dass in einem Land, einem Flächenland wie Deutschland mit so vielen Einwohnern, sich alle Gebiete in der gleichen Pandemielage befinden.
Man muss sich das vorstellen wie einen großen Teppich, und unter dem Teppich sind ganz viele Kinder. Und dann sagt man die Kindern: „Steht mal auf, setzt euch hin“. Die werden nicht alle gleichzeitig aufstehen und sich hinsetzen, sondern das Pandemiegeschehen wird in den unterschiedlichsten Bereichen, unterschiedlichsten Regionen unterschiedlich verlaufen. Warum? Weil sicherlich die
Populationsdurchmischung, die Populationsdynamik, die Populationsdichte unterschiedlich ist zwischen den Bundesländern. Und dadurch unterscheidet sich das, dass eben, wenn der Erreger reingebracht wird, kommt es zu einer sehr schnellen Durchseuchung. Viele Menschen werden sich erst einmal infizieren. Dann sind die krank, dann sind die zu Hause, dann bewegen die sich nicht mehr. Dann wird das Infektionsgeschehen wieder zusammenbrechen dort, und nach drei, vier Monaten fängt das wieder an. Und in einem anderen Bundesland ist die Dynamik wieder etwas anders.
Deswegen ist es auch normal, dass sich die Infektionshäufigkeit zwischen den Bundesländern unterscheidet.
Was Sachsen vielleicht auszeichnet, ist, dass die Anzahl – wenn man sich die Anzahl der Erkrankten, der schweren Vorläufe und Todesfälle ansieht – größer ist als im Durchschnitt der anderen Bundesländer. Also, es gibt einige Bundesländer, wo die Erkrankungshäufigkeiten nicht solche hohen Peaks erreicht haben und wo die Anzahl der Todesfälle insgesamt am Ende der Pandemie, was die Übersterblichkeit betrifft, geringer ist.
Vors. Andreas Nowak: Weitere Fragen, Frau Kollegin Leithoff?
Susan Leithoff, CDU: Ja; vielen Dank. Jetzt hatten Sie vorhin gesagt, dass das Wichtigste – – Ich fange einmal andersherum an. Sie hatten vorhin gesagt, dass die Erstimpfung immer besser ist als die Ersterkrankung.
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Für diejenigen, die einen schweren Verlauf haben können. Susan Leithoff, CDU: Genau.
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Bei Kindern, Jugendlichen und selbst bei jungen Erwachsenen ist das fraglich.
Susan Leithoff, CDU: Genau. Ich wollte auf etwas anderes hinaus. Es geht darum: Wir hatten am Anfang, als die Pandemie sozusagen begann, eine relativ unsichere Datenlage. Das Virus war nicht erforscht. Es begann gerade alles erst noch in der Erforschung, und man musste ja hier eine Risikoabwägung vornehmen.
Jetzt ist für mich die Frage, ob es aus Ihrer Perspektive einen konkreten Zeitpunkt gibt, den man sozusagen bemessen kann, wo aus wissenschaftlicher Sicht heraus das Virus so weit erforscht war, dass man eine Risikoabwägung konkret vornehmen konnte oder ob es da aus Ihrer Perspektive eben gerade wegen der wellenförmigen Bewegungen und der Veränderungen, das schwierig ist zu greifen.
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Wenn Sie gestatten, würde ich versuchen, die Frage ein bisschen auszudifferenzieren. Ja, es gab – da kann man relativ konkrete Zeitpunkte nennen, wann bestimmte Komponenten des Pandemiegeschehens besser verstanden wurden.
Nehmen wir mal die Kinder. Es war zu Anfang die Frage: Welche Rolle spielen Kinder? Hier hätte man argumentieren können: Wenn man 2003 die Daten von SARS in China analysiert hätte – ich bin dort selbst vor Ort gewesen und habe das beobachtet. Da hat man gesehen, dass Kinder keine große Rolle spielen.
Wenn man die Daten aus Baden-Württemberg im Juni 2020 sich angeschaut hätte, dann hätte man auch schon gesehen, dass Kinder sich weniger infizieren und schwächer erkranken. Wenn man dann noch die Daten aus anderen Ländern – Österreich, später England – dazugenommen hätte, dann hätte man auch schon im Frühherbst/Herbst 2020 sehen können, dass die Kinder eine relativ geringe Rolle spielen und die ganze Diskussion über Pandemietreiber usw. offensichtlich nicht fundiert ist.
Und dann haben die Münchner von der LMU im Herbst/Winter 2020/2021 das dann mit guten statistischen Analysen belegen können, dass die Hauptinfektionsquellen in Schulen, Grundschulen und Schulen, Erwachsene sind, dass die Kinder seltener erkranken und dann auch bei den Eltern, dass die Eltern häufiger die Kinder infizieren als umgekehrt.
Also, da hätte man zu diesem Zeitpunkt – weil Sie mich nach einem Zeitpunkt gefragt haben – schon sehen können, dass Kinder nicht mehr die Infektionsquelle darstellen.
Einen anderen Zeitpunkt, den könnte man vor der Pandemie setzen, hätte man gewusst, dass dieser Impfstoff keine sterile Immunität hervorrufen kann. Das war vor der Pandemie schon klar. Jeder, der ein bisschen Ahnung hatte, hätte viel Geld auf die Wette gesetzt, dass man nie so einen Impfstoff entwickeln kann. Bei der Biologie gibt es natürlich immer Ausreißer; da kann man auch mit einer 0,01-prozentigen Wahrscheinlichkeit rechnen. Aber ich hätte auch viel Geld darauf gewettet, dass das nicht der Fall sein wird.
Was die Mortalität betrifft; hier hat es ja Daten gegeben: Mortalität 3,5 % zu Anfang. Da hatten die Österreicher auch sehr schnell eine große Kohorte aufgesetzt und haben feststellen können, dass die Mortalität weit unter einem Prozess liegt.
Also, es gibt für jede dieser einzelnen Komponenten, wie man die Schwere der Pandemie einschätzt und wie man dann verhältnismäßig reagiert, gibt es bestimmte Zeitpunkte, ab wann man dann relativ gesichertes Wissen gehabt hat.
Und wenn Herr Lauterbach im Herbst 2023 sagte „Wir können uns nicht bei den Kindern entschuldigen, und die Schulen mussten geschlossen bleiben, weil wir das damals nicht besser wussten“, ist das bestenfalls, ja, Ignoranz oder Inkompetenz; denn die Daten lagen schon weit vor 2023 vor.
Susan Leithoff, CDU: Danke.
Vors. Andreas Nowak: Frau Abg. Steiner, bitte.
Jessica Steiner, CDU: Vielen Dank. – Prof. Stöhr, ich habe dazu eine Nachfrage. Sie haben gerade gesagt: Mit dem Impfstoff, das hätte man schon vor Ausbruch der Pandemie wissen können, dass der keine vollständige Immunität herstellen kann. Habe ich Sie da richtig verstanden? Vielleicht können Sie uns da noch mal mitnehmen und das noch mal erklären. Wenn vor Ausbruch eines Erregers und vielleicht sogar einer Zoonose – wie Sie es ja beschrieben haben, auch für verschiedene andere Erkrankungen –, bevor der überhaupt bekannt ist für den Menschen, wie man da eine Aussage treffen kann auf mögliche Impfstoffe, die ja gerade als mRNA-Impfstoffe entwickelt werden mit dem Virus. Also, da fehlt mir – auch mit medizinischem Background – ein bisschen das Verständnis. Nehmen Sie mich da bitte noch mal mit.
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Das ist eine gute Frage. Es geht hierbei um biologische Plausibilität. Es gibt ja viele Dutzend Atemwegserreger, und diese Atemwegserreger haben alle eins gemeinsam: dass sie immer zu Reinfektionen führen. Ansonsten würden wir nicht jeden Winter, wie ich jetzt gerade, einen Schnupfen bekommen oder auch schwer erkranken. Also, man infiziert sich immer wieder bei diesen Erregern neu.
Und das Prinzip besteht darin, dass wenn man sich infiziert, sich auf den Schleimhäuten sofort die Erreger vermehren. Man scheidet sogar schon aus, bevor man Symptome hat, bei vielen von denen. Aber die Abwehr kommt dann aus dem Blut heraus. Also, wenn der Erreger versucht, dann im Blut systemisch zu werden, dann gibt es gute Abwehrstoffe.
Und bei den Impfstoffen ist das ja dann nicht anders. Der Impfstoff wird in den Arm injiziert und verursacht eine sehr gute – wenn das so klappt – Abwehr mit Antikörpern im Blut, die kreisen im Blut. Aber ich kann mich trotzdem noch infizieren, weil auf den Schleimhäuten, da gibt es zu Anfang auch Antikörper, aber nur kurz nach der Impfung. Und dann ist das vorbei mit den Antikörpern, und dann wird das Virus immer wieder dazu führen, dass es sich schon mal vermehrt in der Nase, im Mund, Rachenraum, in den Augen und wird auch dann ausgeschieden.
Das heißt, diese Impfstoffe können niemals so gut sein wie das Virus, und das Virus kann an sich nicht so eine starke Immunität erzeugen, dass die Reinfektion nicht mehr stattfindet. Also, wenn das Virus es nicht kann, die Reinfektion zu verhindern: Der Impfstoff kann es auf keinen Fall.
Vors. Andreas Nowak: Eine Nachfrage, Frau Steiner?
Jessica Steiner, CDU: Ja, eine Nachfrage dazu. Ich bin nicht sicher, ob wir die gleiche Definition von Immunität haben; weil in meinem Background ist Immunität – ob erworben oder angeboren – durchaus definiert als die Fähigkeit des Körpers, sich gegen einen Erreger zu wehren und eine Immunantwort einzuleiten und eben auch zum Beispiel schwere Verläufe dann zu verhindern; deswegen auch erworbene Immunität. Immunität, wie ich sie kenne, ist nicht definiert als das Verhindern von erneuten Ansteckungen. Reden wir von der gleichen Sache? Weil, ich weiß nicht genau, wie Sie zu der Aussage kommen, dass irgendjemand gesagt hätte, dass Immunität die Ansteckung verhindert. Ich würde gerne die gleiche Definition vorher mal glattziehen, ehe wir weiterreden.
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Ja, das ist wie bei der Liebe vielleicht: Es gibt verschiedene Arten von Liebe. So gibt es auch verschiedene Arten von Immunität, und das Adjektiv davor ist das Entscheidende. Gibt es eine sterile Immunität oder gibt es eine andere Immunität? Wenn es keine sterile Immunität ist, dann passiert das, was Sie gesagt haben, dass die neue Exposition zu dem Erreger nicht zur Infektion führt. Da gibt es sehr wenige Viren und auch Bakterien, die das schaffen: Gelbfieber zum Beispiel. Wenn man sich gegen Gelbfieber impfen lässt, hat man eine sterile Immunität. Man kann sich nicht infizieren, man scheidet nie wieder aus und ist ein Leben lang geschützt. Das funktioniert bei den Pocken auch; auch eine sterile Immunität, und bei den Masern: 99,9 %. Das sind die drei Erreger – vielleicht noch ein, zwei –, wo eine sterile Immunität geschieht. Also, wenn man sich da infiziert oder immunisiert, ist man im Prinzip durch.
Bei fast allen Erregern gibt es auch eine Immunität, aber die ist nicht steril. Die ist so, die hilft, diese schweren Verläufe zu verhindern. Und das ist ja das Tolle an dem Impfstoff, dass er die schweren Verläufe bei den meisten Menschen hilft zu reduzieren – nicht alle –, aber er kann die Infektion nicht verhindern. Bei dem Impfstoff – wenn ich das noch schnell hinzufügen darf – ist es ja so, dass er im Prinzip immer so ein, zwei Stufen der Schwere zurücknimmt. Also, wenn ich jetzt zum Beispiel mich infiziere und hätte eine leichte Erkrankung – ohne Impfung –, dann würde die Impfung dann verhindern, dass ich überhaupt eine Erkrankung habe. Und jemand, der vielleicht gestorben wäre, aber sich hat impfen lassen, ohne Impfung gestorben wäre. Der stirbt dann nicht, sondern ist dann nur im Krankenhaus. Also, der Impfstoff hilft, die Schwere der Erkrankung zu reduzieren, aber nicht – in der Regel – die Infektion zu verhindern.
Vors. Andreas Nowak: Herr Dr. Eppinger hatte sich gemeldet. Frau Steiner noch eine Nachfrage dazu, oder?
Jessica Steiner, CDU: Ja.
Vors. Andreas Nowak: Dann würde ich Frau Steiner vorziehen mit Ihrem Einverständnis, Herr Dr. Eppinger.
Dr. Sven Eppinger, CDU: Ja.
Jessica Steiner, CDU: Dann möchte ich nur noch mal zurückkommen zu der Aussage, man hätte vor Aufkommen der Erkrankung SARS-CoV-2 wissen können oder wäre es plausibel gewesen, dass ein Impfstoff nicht vor Ansteckung schützt. „Plausibel“ ist wahrscheinlicher dann nicht das bessere Wort? Also, wenn es mehr Erreger gibt oder weniger Erreger gibt, die eine sterile Immunität hervorrufen: Dann war es unwahrscheinlich – aber sicherlich nicht – und plausibel.
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Ja, also in der Biologie ist eigentlich fast nichts hundertprozentig sicher. Es gibt immer Ausnahmen. Aber mit dem Wissen, das wir hatten vor der Pandemie, hätte niemand – auch in der Impfstoffindustrie – es sich getraut – ich habe ja in der Impfstoffindustrie gearbeitet, viele Jahre –, einen Impfstoff zu testen mit der Annahme, dass der Impfstoff die Infektion verhindern kann.
Schauen Sie mal in die Zulassungsunterlagen rein und auch in die Protokolle, die klinischen Protokolle. Pfizer wäre ja bestenfalls unklug gewesen zu proklamieren, dass der Impfstoff die Infektion verhindert. Ja, und das kann man ja auch nicht testen. Ich belasse es dann mal dabei.
Vors. Andreas Nowak: Herr Dr. Eppinger, bitte.
Dr. Sven Eppinger, CDU: Herr Professor, vielen Dank für die Möglichkeit der Frage. Sie hatten gesagt, in Sachsen war die Übersterblichkeit höher und auch die Erkrankungshäufigkeit. Worauf würden Sie das wissenschaftlich zurückführen?
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Das ist schwer zu sagen. Also, letztendlich hängt die Übersterblichkeit am Ende der Pandemie davon ab, wie man es geschafft hat, den Menschen, die schwer erkranken, gesundheitlich Unterstützung zu geben bzw. wie man es geschafft hat, so schnell wie möglich die Älteren zu impfen.
Wenn man mal einen Schritt zurückgeht: Am Anfang der Pandemie stand für alle von uns schon fest, wie wir am Ende der Pandemie, wie wir da durchkommen. Und letztendlich hängt es von unserem Gesundheitszustand ab. Es war am Anfang der Pandemie klar: Wir werden uns alle infizieren. Und wer Pech hat – das sage ich jetzt mal ein bisschen salopp –, der wird sterben und wer Glück hat, also gesundheitlich nicht angeschlagen ist, vielleicht eine Kreuzimmunität hat mit einer anderen Coronaimpfungen, keine bestimmte immunologische Präponderanz hat, der kommt da sehr gut durch.
Aber verbessern konnten diejenigen, die eine schlechte Prognose hatten, das Ergebnis dadurch, dass sie sich haben impfen lassen – vor einer Infektion – oder dass sie, wenn sie krank wurden, möglichst nah ein Krankenhaus hatten oder medizinische Unterstützung bekommen.
Deswegen muss man davon ausgehen, dass in den Bundesländern oder auch in den Ländern der Welt, wo eben eine sehr hohe Übersterblichkeit war, diese beiden Faktoren nicht optimal waren: nicht die schnelle Impfung, nicht die gesundheitliche Unterstützung.
Bei der Übersterblichkeit kommt noch eine andere Komponente dazu. Da wird ja nicht nur gemessen, wie viele Leute sterben an Corona, sondern da wird auch gemessen, wie viel Personen durch die Kollateralschäden, die die Maßnahmen erzeugt haben, erkrankt und auch verstorben sind; denn es gab ja auch sehr gute Daten darüber, dass Personen, die eigentlich eine Krebstherapie hätten beginnen und weiterführen müssen, sich nicht getraut haben, in die Krankenhäuser zu gehen, weil sie nicht infizieren wollten. Die Anzahl der Herz-Kreislauf-Erkrankungen, der Schlaganfälle hat zugenommen.
Also, das sind alles Übersterblichkeitsursachen neben der Coronainfektion, die als Kollateralschäden der Maßnahmen mit entstanden sind. Und wenn Deutschland, was die Übersterblichkeit betrifft – da gibt es sehr viele Studien, die auch unterschiedliche Modellierungen verwenden –, in der Regel nicht an der Spitze liegt, dann liegt das sicherlich auch daran, dass man bei der Umsetzung der Maßnahmen, bei den Kollateralschäden, eben nicht so gut abschneidet wie andere Länder.
Vors. Andreas Nowak: Gibt es weitere Fragen aus den Reihen der CDU-Fraktion? – Frau Steiner.
Jessica Steiner, CDU: Genau. Ich würde zur Übersterblichkeit bezogen auf Corona aber eher auch zu den anderen Erkrankungen gerne etwas ausführen. Wenn Sie sagen, die Übersterblichkeit der anderen Erkrankungen auf Grundlage der Maßnahmen, dass Sie das darauf zurückführen, würde ich fragen, ob Sie es für wahrscheinlich halten, dass wenn ohne die Maßnahmen die Überlastung des Gesundheitswesen schlimmer gewesen wäre, ob die Kollateralschäden dann nicht hätten genauso eintreten können.
Also, wenn ich mir überlege, dass auf einer Intensivstation Patienten behandelt werden, die sehr viel Unterstützung, an der Lungenmaschine vielleicht angeschlossen liegen, und dann jemand mit einem Herzinfarkt kommt, dass der vielleicht seinen Herzkatheter kriegt – Wartezeiten: ein Problem; das Zweite dann Überwachung. Herzinfarkt kann man tendenziell, wenn man triagieren muss, auch auf einer IMC-Station überwachen. Den muss man nicht dringend auf einer Intensivstation überwachen. Das ist jetzt nicht Best Practice vielleicht in bestimmten Fällen. Aber wenn man viele andere Patienten hat, die gerade die Herz-Lungen-Maschine brauchen oder verschiedene Maschinen wäre das ja eine Entscheidung, die dann in der Triage gefällt werden müsste, also auch ohne die Maßnahmen, dann durch Überlastung des Gesundheitssystems hätte man vielleicht Ihrer Meinung nach – Ja oder Nein? – Folgeschäden sehen können.
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Wenn Sie eine kurze Antwort wollen, sage ich Ja. Wenn ich ein bisschen länger etwas dazu sagen kann: Letztendlich, ich glaube, ein großer Politiker hat mal gesagt: Es ist wichtig, was hinten rauskommt.
Und das sieht man dann eben bei der Messung der Übersterblichkeit. Da gibt es sehr viele Studien, die jetzt vorliegen. Die schauen sich halt nur an: Wie würde der normale Trend der Sterblichkeit verlaufen sein, wenn dieses Ereignis nicht stattgefunden hätte?
Und da sieht man eben, dass einige Länder bei der Übersterblichkeit viel besser liegen, also viel geringere haben während der Pandemie als andere Länder. Die haben irgendwas besser gemacht. Das sind Länder: die Schweiz, Schweden, Dänemark, Norwegen. Es gibt auch einige asiatische Länder; andere, die nicht so sehr gut abschneiden: USA, Großbritannien, Bulgarien, Rumänien. Diese Länder haben in der Summe mehr richtig gemacht als andere Länder. Das sind häufig Länder, die, was die Stringenz der Maßnahme – – Dazu gibt es in Cambridge eine Wissenschaftseinheit. Die hat die Stringenz der Maßnahmen immer weltweit gemessen. Und diese Länder, die eine geringere Übersterblichkeit haben, sind häufig auch Länder, die eine geringere Stringenz der Maßnahmen umgesetzt haben.
Das ist doch eine Beobachtung, die meines Erachtens nicht uninteressant ist und vielleicht auch einer der Anlässe, warum man einen Untersuchungs- – – warum man eine Pandemieaufarbeitung machen sollte, um sich mal anzuschauen, was man vielleicht noch hätte besser machen können und warum man in Deutschland, warum man da nicht in dem vorderen Bereich liegt. Schweden hat bereits im Frühjahr 2022 sämtliche Pandemiemaßnahmen für beendet erklärt. Schweden hat in einigen Jahren eine Untersterblichkeit gehabt; 2021 eine sehr hohe Übersterblichkeit.
Aber letztendlich, das Endresultat war – wenn ich das mal versimplifiziert sagen kann – besser als das, was man in anderen Ländern gesehen hat mit intensiveren Kontaktbeschränkungen.
Vors. Andreas Nowak: Die Zeit in der ersten Runde bei der CDU ist abgelaufen. Es geht damit weiter zur AfD-Fraktion. Herr Abg. Prantl.
Thomas Prantl, AfD: Vielen Dank, Herr Vorsitzender. – Herzlichen Dank, Herr Prof. Stöhr, dass Sie heute angereist sind, um unsere Fragen hier zu beantworten. Ich würde gern bei meiner ersten Frage noch mal auf Ihren kurzen Einführungsvortrag zurückkommen, wo es um die wissenschaftlichen Grundlagen und die Voraussetzungen zur Annahme einer Pandemie ging.
Die Weltgesundheitsorganisation kann ja sowohl die Pandemie feststellen als auch den Gesundheitsnotstand ausrufen. Für SARS-CoV-2 erfolgte die Ausrufung des Gesundheitsnotstandes am 30. Januar 2020 und die Erklärung zur Pandemie dagegen am 11. März 2020.
Meine Frage wäre, ob Sie das kurz abgrenzen könnten oder auch darstellen, wie sich beides aufeinander auswirkt, welchen Zweck beides hat und welche Konsequenzen dies für Sachsen hatte.
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Also, die WHO hat 2005 die sogenannte International Health Regulations inkraft gebracht. 145 Länder haben sich da mit beteiligt. Und diese International Health Regulations sind – simplifiziert ausgesprochen – eine Vereinbarung, dass die Länder national bestimmte Krankheitsüberwachungssysteme etablieren, bestimmte Labore und dass sie, falls irgendein neuer Erreger auftritt oder ein Verdacht auf einen Neuerreger, das dann auch global melden. Das sind die International Health Regulations.
Nachfolgend in der Zeit sind die einen oder anderen Ereignisse eingetreten, wo man gesagt hat: Das könnte ein neuer Erreger sein. Ist das jetzt eine Pandemie? Was bedeutet das für die Weltgemeinschaft? Und dann hat man festgestellt, dass man ein Gremium braucht, um diese Situation einzuschätzen. Deswegen hat man dieses sogenannte Advisory Committee eingerichtet. Dazu gehören, glaube ich, jetzt über 40 Personen aus allen WHO-Regionen, die bei so einem Ereignis einberufen werden. Da gibt es entsprechendes Prozedere und Standards. Und die werden dann befragt von dem Generaldirektor der WHO, wie sie die Gefahrensituation, das Gefahrenpotenzial einschätzen.
Und die kommen dann zu einem Ergebnis, und das Ergebnis ist eine Empfehlung an den Generaldirektor der WHO. Der kann dann aus seiner Position heraus sagen: Ja, es gibt eine Pandemie, oder es gibt keine Pandemie. So ist das verlaufen. Also, die Gruppe hat sich getroffen, Ende Januar 2020, hat die Daten analysiert und hat gesagt: Na, wir wissen es noch nicht so genau. Ist das tatsächlich ein Virus, was ich weltweit ausbreitet? Hat es tatsächlich so eine große gesundheitliche Relevanz? Können wir die Ausbreitung stoppen? Das haben die sich erst noch angeschaut. Aber im März war im Prinzip die Lage dann klar. Und die haben dann empfohlen dem Generaldirektor der WHO, die Pandemie auszurufen.
Die Konsequenz dessen ist relativ, also rechtlich relativ gering. Die WHO ist ja keine Policing Organisation, also sie hat keine rechtlichen Möglichkeiten, irgendwas umzusetzen, mit einer Ausnahme: Das ist die sogenannte Tobacco-Convention. Die kam, glaube ich, 2003, wurde die entwickelt von der WHO mit allen Mitgliedsländern. Und alle Mitgliedsländer haben dann die Regulativen dieser Tabak-Convention umgesetzt in nationales Recht. Dadurch gab es eine globale Einigung, was man gegen den Tabakkonsum aus gesundheitlicher Perspektive machen könnte. Bei der Pandemie kann die WHO nur Empfehlung geben. Allerdings haben diese Empfehlungen – das muss man dazusagen – sehr große politische, ja, Sprengkraft. Wenn ein Land da ausscheiden will, etwas anderes machen, das hat natürlich häufig einen medialen Sturm, zieht das nach sich.
Also, es hat schon erheblichen internationalen Druck, wenn jetzt ein Land irgendwas anderes machen wollte, was die WHO da empfiehlt, auf der Grundlage dieser Expertengruppe.
Thomas Prantl, AfD: Ist es korrekt, oder inwieweit erfolgte denn in der Vergangenheit eine Änderung des Pandemie-Begriffs? Und wenn dieser erfolgte: Was wurde dort geändert, warum und welche Auswirkungen hatte dies auf die sächsische Pandemieplanung oder eben auf die Beurteilung von SARS-CoV-2 im Vergleich zu der alten Pandemie-Definition?
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Ich würde sagen: keine Auswirkung. Die Grundfesten waren dieselben gewesen. Den ersten Pandemieplan in der WHO, der wurde um die – jetzt muss ich nachdenken – 2004/2005 entwickelt. Der wurde dann auch systematisch weiterentwickelt. Wir hatten dann einen Beispiel-Pandemieplan. Dann hat man den natürlich angepasst mit den Erkenntnissen 2009/2010 aus der sogenannten Schweine Influenza-Pandemie. Da gab es natürlich Rücklauf. Da hat man gesehen, was gut läuft, was nicht so gut läuft. Da hat also jemand auch eine entsprechende Analyse gemacht, um die Fehler nicht zu wiederholen.
Die WHO hat den Pandemieplan auch noch mal angepasst. Deutschland hatte auch einen Pandemieplan, der wurde auch noch mal erweitert. Aber ich sehe eigentlich aus meinem Blickwinkel keine grundlegende Veränderung, die sich aus den Begriffsanpassungen der WHO, was den Pandemieplan betrifft, ergeben könnte für die globale Pandemiebekämpfung.
Thomas Prantl, AfD: Also, darauf würde ich gerne im Detail noch mal eingehen, weil mir die Frage kommt, ob das korrekt ist, dass nach der alten Pandemie-Definition ja eine relevante Anzahl an Todesfällen und schweren Erkrankungsfällen nötig war, um eine Pandemie überhaupt erklären zu können. Ist das heute immer noch so? Weil Sie sagen, es gebe kaum Unterschiede, oder hat sich diesbezüglich doch etwas geändert?
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Also, die gesundheitlichen Auswirkungen sind immer noch Teil der Pandemie-Definition. Allerdings ist es so, dass dieses Advisory-Committee einen größeren Spielraum hat festzustellen, was relevant ist und was nicht relevant ist. Also, 2009 war ich ja nicht mehr in der WHO. Wenn ich dagewesen wäre, dann hätte ich vielleicht – da hätte ich definitiv dagegen gestimmt, dass man eine Pandemie erklärt, weil es ein neues Virus war, weil es sich weltweit ausgebreitet hat, aber weil die gesundheitlichen Auswirkungen nicht so groß waren, dass man unbedingt eine globale Gegenaktion hätte koordinieren müssen.
Bei diesem Ausbruch hier, glaube ich, war es richtig gewesen, die Pandemie zu erklären. Aber, man hat die Parameter – also gesundheitlichen Parameter: die Morbidität, Mortalität –, hat man weniger bedeutungsvoll gemacht, sondern man hat es eben so erklärt, dass es einen schwerwiegenden, ernsthaften Einfluss auf die gesundheitliche Situation der Bevölkerung geben muss. Dann ist es eine Pandemie; ohne das an einer Maßzahl festzumachen.
Thomas Prantl, AfD: Uns ist es deshalb sehr wichtig, weil wir wissen wollen, ob diese abgeänderte Definition dazu geführt hat, dass in Sachsen harte Maßnahmen ergriffen wurden, die sich eben primär auf Fallzahlen, aber nicht so sehr auf die Schwere der Erkrankung oder Todesfälle stützten und somit eigentlich in der früheren Pandemie Definition nur bei Todesfällen und schweren Erkrankungen möglich gewesen wären. Also, das bewegt uns. Und ob diese neue Pandemie-Definition auch in Sachsen möglicherweise zu harten Überreaktionen geführt haben könnte, weil wir jetzt nicht sehen, dass wir so etwas wie einen Lockdown schon mal bei der Grippe hatten.
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Also, rein rechtlich, wenn ich das richtig sehe, gibt es für kein Land der Welt eine Notwendigkeit, seine eigenen Pandemie-Maßnahmen anzubinden an eine Definition, die die WHO macht. Also, da ist jedes Land für sich selbst. Sie können machen, was sie wollen. Die WHO schreibt da nichts vor. Sie ist keine Policing Organisation. Da muss jedes Land für sich selbst wissen, was es für vernünftig, angemessen, verhältnismäßig und nutzbringend hält unter seinen Bedingungen.
Thomas Prantl, AfD: Also, ich hatte das mit der Grippe deswegen noch mal angesprochen, weil ich mich frage, ob der Umkehrschluss dann zutreffend wäre, dass nach dieser Neudefinition seit 2009 auch eine andere Atemwegserkrankung mit influenzaähnlichen Symptomen ebenfalls zur Ausrufung einer Pandemie führen kann – was man vorher nicht angewendet hatte –, ob das für die Zukunft unter diesen Voraussetzungen denkbar wäre.
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Also, ich kann mir das – – Ich müsste mir das noch mal im Detail genau anschauen, das Kleingedruckte dabei. Aber, das kann ich jetzt so nicht sagen.
Lassen Sie mich noch einen Schritt zurückgehen. Also, die Definition, was eine Pandemie ist, ist die Grundlage dafür, was dieses Expertenkomitee entscheidet. Und wenn die entscheiden auf der Grundlage der Daten – und das ist nicht an einem fixen Standard festgemacht –, dass ein globaler Gesundheitsnotstand existiert, dann empfehlen sie dem Direktor der WHO, die Pandemie zu erklären. Dann werden internationale Koordinierungsmaßnahmen durch die WHO eingeleitet. Da werden Viren und Informationen zum Erreger ausgetauscht. Dann wird ein gemeinsames Impfstoffentwicklungsprogramm aufgesetzt. Da werden Forschungsprogramme aufgesetzt.
Aber wie jedes Land für sich entscheidet, welche Kriterien genommen werden für die Pandemiebekämpfung, das ist jedem Land selbst überlassen. Und warum man in Deutschland die Infektion als Infektionsverhinderung, als strategisches Ziel genommen hat und nicht die Reduktion von schweren Erkrankungen und Todesfällen, das kann ich nicht sagen. Es wäre aber richtig gewesen, wenn man die schweren Verläufe hier als Ziel genommen hätte. Dann hätte man auch nicht die Inzidenz als Maßzahl für die Maßnahmen verwendet; weil die Inzidenz, die ja auch Positivität bei der Beprobung beinhaltet und nicht die symptomatische Erkrankung, also die Krankheitsschwere, gar nicht gemessen wird, sondern man hätte lieber messen sollen: Wie groß ist die Belastung auf dem Gesundheitssystem? Wie hoch ist die Krankheitslast? Wie ist die Belegung auf den Intensivstationen? Wie viel Personen liegen in den Krankenhäusern? Und hätte an diesen Maßzahlen festmachen müssen, wie stark die Gegenmaßnahmen sind und nicht an der Inzidenz, die ja gar kein Parameter dafür ist, wie groß die Krankheitslast ist.
Thomas Prantl, AfD: Vielen Dank. Ich würde noch einmal kurz zurückgehen zu der Unterscheidung Pandemie und internationaler Gesundheitsnotstand, weil wir das vorhin kurz angeschnitten hatten.
Welche Folgen hat denn die Feststellung, dass es sich bei der Ausbreitung eines Erregers um eine Pandemie handelt für die WHO und die Europäische Seuchenschutzbehörde sowie für nationale Behörden und letztlich auch für Sachsen? Welche Folgen hat die Feststellung eines internationalen Gesundheitsnotstandes für diese Institutionen und für Sachsen natürlich?
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Von der WHO über ECDC, Europa bis zur Bundesrepublik und Sachsen: Welches sind die Auswirkungen dessen, dass man jetzt so einen Gesundheitsnotstand erklärt? Also, für die WHO bedeutet das, dass die Forschungskoordinierung beginnt, ja, also die WHO wird dann global zur Forschungsdrehscheibe. Hier werden auch Daten ausgetauscht über die gesundheitlichen Auswirkungen möglicher Interventionen. Also, das ist eine Forschungskoordinierungsbemühung. Die wird dann auch Kontakte mit der Industrie aufnehmen, um zu sehen, welche Impfstoffe entwickelt werden.
Also, es gibt eine ganze Liste von Maßnahmen, die die WHO und auch ECDC dann im Auftrag der Mitgliedsländer der EU umsetzen wird. Was in den Ländern gemacht wird, ist vollständig unabhängig. Da kann jedes Land für sich entscheiden, was richtig ist. Die müssen sich da überhaupt nicht dranhalten.
Aber wie ich bereits gesagt habe, entsteht natürlich ein hoher politischer Druck auch dadurch, dass wenn die WHO jetzt eine Pandemie erklärt und ein Land sagt: „Wir haben es nicht“, das würde sicherlich so nicht funktionieren. Da muss man sich schon anpassen. Aber das Mitgliedsland kann natürlich dann wieder in der WHO, in dem Executive Board, und in den entsprechenden
Weltgesundheitsversammlungseinrichtungen auch politisch aktiv werden, um da Einfluss zu nehmen.
Aber welchen Stufenplan jedes Land umsetzt, um an bestimmten epidemiologischen Kriterien Maßnahmen anzuknüpfen, das ist jedem Land selbst überlassen.
Thomas Prantl, AfD: Vielen Dank. Ich würde noch mal nachhaken, weil ich gefragt hatte, welche Rolle die Europäische Seuchenschutzbehörde da eingenommen hat. Können Sie dazu noch mal ausführen?
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Sie meinen die ECDC, die Europäische – –
Thomas Prantl, AfD: Ja, die ECDC; richtig.
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Die CDC wird ja inhaltlich gesteuert durch ein Advisory Board. Und dieses Advisory Board setzt sich zusammen aus zwei Repräsentanten aus jedem Gesundheitsministerium der EU-Mitgliedsländer. Auch Deutschland hatte zwei Repräsentanten, die gemeinsam mit den anderen Repräsentanten von anderen Mitgliedsländern entscheiden, was die ECDC macht – inhaltlich.
Dazu kommt noch jeweils einer von den EFTA-Ländern. Dazu kommen auch noch Repräsentanten vom Europäischen Parlament und von der Europäischen Kommission – jeweils zwei oder drei.
Und die entscheiden, was das ECDC macht. Und ECDC hat hier eine unterstützende Funktion für die Mitgliedsländer. Die WHO kann dem ECDC nichts vorschreiben. Die arbeiten eng, aber auf einem Informationsaustausch zusammen. Die WHO hat in Europa ein Regionalbüro in Kopenhagen und die arbeiten – Schweden, Kopenhagen sind gar nicht so weit weg – auch sehr eng zusammen, was die Datenerhebung betrifft.
Aber was die Möglichkeit betrifft, inhaltlich die nationale Seuchenbekämpfung zu beeinflussen, ist das ECDC limitiert auf Datenlieferungen, Informationen zur Nutzung bei den Mitgliedsländern. Der Einfluss, den die Mitgliedsländer haben, geht immer über diese zwei Personen, die in dem Advisory Board sitzen. Die müssen dann alle gemeinsam entscheiden, auf welche Prioritäten sich das Zentrum dann konzentriert.
Thomas Prantl, AfD: Die Frage, die ja die Öffentlichkeit und auch die Politik in dieser Coronazeit sehr stark bewegt hat, war ja, warum so viele oder fast alle Länder den Empfehlungen der WHO gefolgt sind, was die Aufrufung oder den Zustand einer Pandemie angeht. Könnten Sie das erklären? Also, waren das tatsächlich alle Länder? Gab es auch Länder auf der Erde, über die man sonst nicht groß spricht, die dem gar nicht gefolgt sind? Und wie erklärt sich das überhaupt, wo die Länder doch, wie Sie gesagt haben, entscheiden können, was sie wollen auf der Grundlage ihrer Daten, die sie eben bei sich erheben doch nahezu flächendeckend diesen Empfehlungen gefolgt sind. Das wäre noch mal interessant.
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Also, das Naheliegendste für mich würde sein, dass es tatsächlich eine Pandemie gab und alle Länder das eingesehen haben. Dass fachlich, inhaltlich die Kollegen sich die Situation angeschaut haben und haben gesagt: Ja, wir haben ein globales Problem. Es infizieren sich sehr viele Menschen. Wir können das Virus nicht aufhalten. Es sterben sehr viele dran. Unser Gesundheitssystem ist belastet, in einigen Bereichen sogar an den Grenzen der Belastung. Wir wollen gerne einen Gegenplan haben. Impfstoff ist da nicht schlecht. Wir müssen den Virus austauschen, Informationen austauschen.
Ich glaube, alle Länder der Welt haben verstanden, dass es notwendig war, etwas dagegen zu tun. Die Daten waren einfach so überzeugend, nicht so wie 2009 meines Erachtens. Aber die gesundheitlichen Auswirkungen waren schon erheblich, so erheblich, dass alle Länder der Welt oder alle Experten in den Ländern der Welt oder auch manchmal Pseudoexperten in den Ländern der Welt der Meinung waren, dass es sich lohnt, da gemeinsam koordiniert vorzugehen.
Vors. Andreas Nowak: Dann geht das Fragerecht weiter an die Fraktion BSW. Herr Hentschel-Thöricht, bitte.
Jens Hentschel-Thöricht, BSW: Sehr geehrter Herr Prof. Stöhr, unsere Fragen im ersten Komplex beziehen sich ein bisschen auf das Pandemiemanagement. Von daher die Frage; es wurde ja seit einigen Jahren vor einer möglichen Pandemie gewarnt: Können Sie eine Aussage über die Vorbereitung des Freistaates im Hinblick auf das Pandemiemanagement treffen? Und mit der heutigen Betrachtung: Ist der Freistaat heutzutage besser aufgestellt als damals? Können Sie dazu etwas sagen?
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Mhm. Ich würde erst einmal trennen zwischen der Fähigkeit, vor der Pandemie auf so eine Event zu reagieren und mit der aktuellen Reaktion, wenn die Pandemie beginnt.
Die WHO hat gemeinsam mit einigen anderen Institutionen so eine Beurteilung gemacht, wie einzelne Länder auf pandemieähnliche Ereignisse vorbereitet sind. Und ganz top – das war 2019, da haben sie es das erste Mal veröffentlicht und dann alle paar Jahre wieder – war da die USA ganz oben. Die haben ja in der Pandemie nicht so gut abgeschnitten, was die Übersterblichkeit betrifft. Deutschland rangierte, glaube ich, auf Platz 9, Schweden auf Platz 7. Also das bezüglich der Vorbereitung.
Aber der Bericht begann damit, dass man gesagt hat, dass keines der Länder der Welt gut vorbereitet ist auf so ein Ereignis. So, und dann ist die Pandemie gekommen, und dann haben einige Länder große Experimente begonnen. Die haben den Pandemieplan genommen, den sie hatten – über viele Jahre erarbeitet, wo das Wissen auch verarbeitet wurde, wo viele konträre Positionen auch beleuchtet wurden, wo man das Unwissen über bestimmte, nicht pharmazeutische Maßnahmen auch klar herauskristallisiert hat –, den hat man genommen, zur Seite getan und hat ein großes Experiment gemacht und hat mit Lockdowns angefangen.
Oder man hat sein Krisenmanagement, das ja normalerweise darin besteht, dass man eine Gruppe zusammenführt mit den verschiedensten Wissenskompetenzen, die mit Essen, Trinken, Computern versorgt, 24 Stunden Arbeitsfähigkeit und über viele Monate wegschließt, und die dann auch mit einer strategischen Zielstellung versorgt, mit einer entsprechenden Aufgabenstellung, dass man die Pandemiepläne erarbeiten lässt. Das hat man alles zur Seite getan, und dann hat man ein bisschen aus der Hüfte geschossen und hat das Fachwissen beiseite getan und mit neuen Maßnahmen versucht, diesem Ausbruch Herr zu werden.
Das beschreibt vielleicht ein bisschen das, was, ich glaube, in Deutschland passiert ist, dass man keinen strukturierten Prozess der Wissensbeschaffung etabliert hatte für die Politik, für die politische Entscheidungsfindung. Ich habe hier Länder beraten bei solchen Ausbrüchen. Und was man dort den Regierungschefs oder den entsprechenden Ministerpräsidenten – was auch immer – empfohlen hat, war, dass eine Expertenkomitee etabliert wird mit intersektoralem, interinstitutionellem Wissen, das die gesamten Fachbereiche abdeckt, die dafür entscheidend sind – eben nicht nur Virologen, nicht nur Modellierer, sondern wo man eben auch in so einer Pandemie Pneumologen dabei hat, Pädiater, wo man Fachkollegen dabei hat, die sich mit der Pflege auskennen.
In Deutschland sind über 60 % der Todesfälle in Pflegeeinrichtungen entstanden. Im Expertenrat saß keiner, der Ahnung von der Pflege hatte. Da nimmt man auch Vakzinologen mit hinein, also Leute, die Ahnung von Impfstoffen haben.
Dieses Expertenkomitee muss zusammengesetzt sein, wie gesagt: intersektoral, und muss die Aufgabe bekommen, verschiedene Bekämpfungsszenarien zu entwickeln, Bekämpfungsszenarien, die sich zum Beispiel auf die reine gesundheitliche Priorität, die wirtschaftliche Priorität oder auf die freiheitlich demokratische Priorität orientieren, wo man also sagt: Entwickelt mal einen Bekämpfungsplan, wo ihr nur auf die gesundheitlichen Auswirkungen schaut, egal, wieviel es kostet und egal, wie groß die Spaltung der Gesellschaft wird.
Der zweite Plan wird sein: nur wirtschaftliche Schäden reduzieren, Gesundheit nicht so wichtig, freiheitlich demokratische Sachen nicht so wichtig, und das Dritte dann eben freiheitlich demokratische Priorität. Und zu jeder dieser Bekämpfungsoptionen wird man dann von allen die Vorteile und Nachteile herausgearbeitet wissen.
Jeder dieser Bekämpfungspläne muss von den beteiligten Wissenschafts- und Fachdisziplinen auch unterstützt werden; denn, wenn man den einzelnen Intensivmediziner fragt, der wird sagen: „Ihr macht alles zu. Meine Intensivstation läuft voll, das geht so nicht.“ Ein Virologe, der sieht dann drei Aminosäuren, die sich verändert haben, der wird dann auch sagen: „Halleluja, jetzt müssen wir irgendwas unternehmen.“ Aber wenn sie dann den Pädiater auf einer Kinderintensivstation haben, der wird sagen: „Also, bei mir – Kinder laufen hier nicht auf, ich habe hier kein Problem.“
Es muss alles so ausbalanciert sein mit einem Kompromiss, dass diese drei Bekämpfungsoptionen für sich stabil stehen. Dann kann man sich diese Bekämpfungsoptionen vorstellen lassen als Politiker. Dann muss man natürlich eine politische Entscheidungsfindung machen auf der Grundlage des Wissens, was die Vorteile und Nachteile der jeweiligen Bekämpfungsoption sind.
Und dann kann man auf der Grundlage dieses Wissens alles übern Haufen werfen vielleicht, muss man andere Kompromisse finden. Aber diesen Prozess, diesen strukturierten Prozess der Risikobewertung, der Wissensfindung und der Wissenspräsentation, den habe ich in Deutschland nicht gesehen – und auch in einigen anderen Ländern, in vielen anderen Ländern nicht, sodass sich das alles in einem großen Experiment entladen hat, wo man über Lockdowns versucht hatte, Infektionen zu verhindern, ohne die Priorität Schadensminimierung, also durch schwere Verläufe, im Blickfeld zu behalten.
Jens Hentschel-Thöricht, BSW: Vielen Dank. Daran anschließend: Beruhte das Pandemiemanagement damals und die damit verbundenen Maßnahmen nach Ihrer Ansicht auf einer ausreichenden Datenlage?
Vors. Andreas Nowak: Ich möchte bei der Gelegenheit darauf hinweisen, dass wir hier vor allem den Freistaat Sachsen betrachten.
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Für Sachsen spezifisch kann ich das nicht beantworten. Aber was ich sagen kann, ist, dass in Deutschland ein Forschungskonzept, ein koordiniertes Forschungskonzept nicht vorgelegen hat oder mir nicht bekannt ist. Bei solchen Pandemien ist es bei jedem Ausbruch einer Erkrankung – auch bei jeder Krise –, ist es ja wichtig, dass man von Anfang an handlungsaktiv bleibt. Da kann es auch sein, dass man auf unvollständiger Datenbasis evidenzarm oder -frei reagieren muss. Das heißt, man muss aus der Hüfte schießen. Aber wenn man aus der Hüfte schießt, muss man auch gucken, wo die Kugel hingeht. Also, man braucht dann ein begleitendes Forschungskonzept, sodass man nach sechs Wochen, drei Monaten sieht, ob die Maßnahme auch einen Sinn hatte oder ob sie sogar einen höheren Schaden verursacht hat. Daneben braucht man ein Forschungskonzept, um die entscheidenden offenen Fragen zu beantworten; also bei der Epidemiologie oder bei der Immunologie: Wie lang wird das Virus ausgeschieden? Was sind die hauptsächlich betroffenen Altersgruppen? Welche intensivmedizinischen Maßnahmen machen Sinn? Intubieren oder nicht intubieren usw.? Das alles sind Maßnahmen, alles Forschungsschwerpunkte, die man national auch koordinieren muss, wo man eben auch Geld in die Hand nehmen muss und versuchen, diese Dinge aufzudecken.
Aber, ich gebe Ihnen mal ein anderes Beispiel, warum ich glaube, dass das Datenkonzept schlecht war, und jedes Pandemiemanagement beruht ja auf guten Daten: Die Kontaktnachverfolgung wurde ja von Anfang an sehr stark betont. Kontaktnachverfolgung ist richtig, sodass man Quarantäne und Isolation in der Anfangsphase der Pandemie umsetzen kann, weil man damit die Virusausbreitung ein Stück weit reduzieren kann.
Aber Quarantäne und Isolation funktionieren bei einem Atemwegserreger, der schon in der Inkubationszeit ausgeschieden wird, nicht so gut, wenn das Virus sich schon sehr weit verbreitet hat, also nur in den ersten Monaten funktioniert das noch. Die meisten Länder haben das relativ schnell abgeblasen. In Deutschland ging das noch bis Mai 2022.
Das Schlimme daran war ja gewesen, dass diese Kontaktnachverfolgung durch die Gesundheitsämter koordiniert werden musste. Zu Anfang war das alles richtig. Aber dann wurde die Gesamtkapazität der Gesundheitsämter gelähmt dadurch, und dann konnten die Hygienekonzepte in den Alten- und Pflegeheimen, wo ja viel kaufmännische Leitung heutzutage existiert und viel weniger Fachpersonal, konnten diese Hygienekonzepte nicht umgesetzt werden, gerade dort, wo diese Hotspots mit den Todesfällen waren. In Deutschland hat man dann auch gesagt: Wir müssen die 50er-Inzidenz pro Hunderttausend erreichen, weil danach die Kontaktnachverfolgung nicht mehr möglich ist.
Man hat hier schon von Anfang an ein falsches Konzept des Einsatzes des öffentlichen Gesundheitswesens gehabt. Man hätte die Gesundheitsämter viel stärker in die Hygienekonzeptkontrolle, die Umsetzung bei den Alten- und Pflegeheimen, in den stationären Pflegeeinrichtungen einsetzen müssen; gerade dort eben, wo die Hotspots gewesen sind, wo die meisten Infektionen auftraten und die meisten Todesfälle.
Jens Hentschel-Thöricht, BSW: Vielen Dank. Dann wurden nach Ihrem Wissensstand die medizinischen Parameter, wie Inzidenzzahlen, Krankenhausbelegung, in Sachsen ausreichend beachtet und bewertet, um die Lage und das Risiko für die Bevölkerung in Sachsen einzuschätzen und das laufend zu überprüfen während der Zeit? Oder spielte das weniger eine Rolle?
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Das kann ich nicht sagen. Es war so: Unsere Empfehlung war gewesen – meine Empfehlung –, dass sich jedes Bundesland anhand eines nationalen elastischen Stufenplanes seine Maßnahmen entsprechend entscheiden sollte. Wie sollte das funktionieren? Der Stufenplan würde bestimmte Parameter, gesundheitliche Parameter festlegen: Krankenhausbelegung, die Sterberaten, Intensivstationsbelegung. Und bei einer bestimmten Maßzahl, die erreicht wird, müssten dann bestimmte Maßnahmen auch umgesetzt werden. Also, wenn die Intensivstationen leer sind, schwere Verläufe selten auftreten, wenig Todesfälle, dann braucht man keine Maßnahmen. Aber wenn das alles sukzessive steigt, dann wird man erst vielleicht anfangen und sagen: Wir wollen öffentliche Veranstaltungen über 500 Personen absagen. Wir wollen, dass in öffentlichen Verkehrsmitteln medizinische Masken getragen werden. Wir wollen, dass in den Restaurants nur noch im Sitzen Essen serviert wird. Wir wollen, dass in den Schulen intensiv gelüftet wird in den Pausen und mindestens einmal jede Stunde.
Und wenn das jetzt zunimmt, dann wird man diese Maßnahmen erhöhen. Dann wird man nicht nur Veranstaltungen absagen über 500 Personen, sondern mit nur 50 Personen. Da wird man die Begräbnisse, die Begräbnisfeiern in der Größe reduzieren. Da wird man die Hochzeiten absagen usw. Da gibt es einen elastischen Stufenplan, der sich anbindet an die Krankheitslast in der Bevölkerung.
Solche Stufenpläne haben wir in der WHO dann schon empfohlen. Schleswig-Holstein hat einen entwickelt gehabt, einen Entwurf, und noch ein anderes Bundesland – habe ich vergessen. Das wäre auch die Lösung gewesen für Deutschland, wo man nicht alle Bundesländer geeinigt haben könnte auf so einen Stufenplan, und dann hätte man auch eine positive Agenda für die Bevölkerung gehabt. Weil man dann hätte sagen können: Guckt mal, wir haben jetzt weniger auf Intensivstationen, wir haben weniger Infizierte usw. Jetzt können wir die und die Maßnahmen nachvollziehbar, auch vorhersagbar wieder zurücknehmen.
Aber in keinem der Bundesländer gab es so etwas, was dann auch mit der Detailliertheit umgesetzt wurde. Es gab dann Stufenpläne, die zum Teil drei Stufen hatten in einigen Bundesländern. Andere Länder haben das relativ detailliert auch umgesetzt. Aber für Sachsen ist mir das nicht bekannt.
Jens Hentschel-Thöricht, BSW: Okay. Das war – das klang zumindest bei mir jetzt so – ein Fehler, dass es das nicht gab. Gab es denn weitere Fehler, die in Sachsen nach Ihrer Ansicht gemacht worden sind im Pandemiemanagement?
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Also, ich kenne die Tagessituation und die Entscheidung hier, kann ich nicht nachvollziehen so genau, aber auf Deutschland bezogen. Und hier hat Sachsen ja auch, war ein Teil dessen, was gemacht wurde. Hier hat Sachsen, glaube ich, wenig, einen geringen Sonderweg gegangen. Da gibt es sicherlich Dinge, die auf nationaler Ebene nicht gut gelaufen sind, wo Sachsen auch mitgemacht hat. Aber diese Frage kann ich nicht sauber beantworten.
Jens Hentschel-Thöricht, BSW: Okay. Können Sie skizzieren, damit man einfach auch für die Zukunft lernt oder Fehler erkennt, wie man in so einer Pandemie zu einer Risikoeinschätzung, wie man da vorgeht? Sie sagten vorhin, am Anfang wurde es bewertet, dann wurde es noch mal im März anders gesehen; es wurde dann weltweit. Also, wie geht man da prinzipiell vor?
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Die erste Risikobewertung, der erste Schritt ist der, dass man klar festlegt: Was sind die Schwellen, die überschritten werden müssen, die Parameter, die gerissen werden müssen, dass man so einen gesundheitlichen Notstand fest- – –, also dass man den hat. Da gibt es ja Parameter – das macht die die WHO auch. Das kann man natürlich in jedem Land für sich selber auch noch machen. Was die operative Seite betrifft, also die tagesaktuellen Entscheidungen der Gegenmaßnahmen hier, ist der Stufenplan wieder das richtige Mittel, um vorhersagbar, nachvollziehbar – auch, wie gesagt, als positive Agenda für die Bevölkerung, auch kommunikativ – die Pandemiemaßnahmen oder Gegenmaßnahmen an bestimmte Parameter zu binden. Wenn bestimmte Krankheitslasten, die man messen kann durch verschiedene Parameter, eingetreten sind, dann werden bestimmte Maßnahmen umgesetzt. Und wenn die Situation sich entspannt, werden wieder Maßnahmen zurückgenommen. Das ist ein probates Mittel. Das ist auch evidenzbasiert. Und wenn es nur evidenzschwach ist, hilft das auch, Studien aufzusetzen, um dann über den Zeitraum zu sehen, ob die Parameter die richtigen sind, die Kennzifferhöhe richtig ist und auch die Gegenmaßnahmen stimmen.
Sie haben mich vorhin gefragt – vielleicht kann ich das noch hinzufügen –, ob die Daten, die zur Verfügung standen, auch ausreichend waren und genutzt wurden, um die Wirksamkeit der Maßnahmen einzuschätzen. Die kurze Antwort darauf ist: insgesamt nein. Ich möchte das an ein paar Beispielen vielleicht festmachen: Nehmen Sie die Kontaktnachverfolgung. Die Kontaktnachverfolgung war ja eines der prominentesten Mittel, probatesten Mittel, um die Infektionsgeschwindigkeit zu reduzieren. Ich kenne keine Daten aus Deutschland, die auch nur annähernd belegen, wie viel die Kontaktnachverfolgung reduziert hat an Infektionen, schweren Verläufen oder Todesfällen. Also, wie viele Anrufe hätte man machen müssen, wie viel Leute Kontakt nachverfolgen, um einen Todesfall zu verhindern?
Da gibt es keine Daten, obwohl alle Kreise, alle Städte große Investitionen gemacht haben und sich auch noch selbst, wie gesagt, paralysiert haben und die Gesundheitsämter dann nicht mehr in die Alten- und Pflegeheime gehen konnten. Und trotzdem gibt es keine Daten, wie gut die Kontaktnachverfolgung gewirkt hat. Deswegen ist auch eine Aufarbeitung nicht unwichtig. Es wäre nicht schlecht, mal zu wissen, ob das ein probates Mittel ist, das man über zwei Jahre, zweieinhalb Jahre hinweg noch weiterhin verwenden möchte.
Jens Hentschel-Thöricht, BSW: Vielen Dank. Bezogen auf die gesellschaftlichen Wirkungen: Was sollte in der Rückschau zukünftig zunächst vermieden werden, also bei den Auswirkungen für die Gesellschaft?
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Also, was vermieden werden sollte – da bin ich kein Soziologe und Psychologe –, aber was man vielleicht vermeiden könnte: Da könnte ich etwas dazu sagen. In gebe mal ein Beispiel: In Deutschland wurden Impfnebenwirkungen, schwere und leichte Impfnebenwirkungen, berichtet; auch in Kanada. In Kanada und in Deutschland wurde derselbe Impfstoff verwendet. In Deutschland wurden dreimal so viel Impfnebenwirkungen berichtet wie in Kanada und achtmal so viel schwere Impfnebenwirkungen – dieselben Menschen, derselbe Impfstoff.
Die Frage würde sein: Woran liegt das? – Höchstwahrscheinlich an der Kommunikation über den Impfstoff. Die WHO hat auch gute Studien vor der Pandemie gemacht, wo man zeigen konnte, dass das Vertrauen in die Kommunikation der Regierung entscheidend dafür ist, wie hoch die Impfrate und das Vertrauen in den Impfstoff ist.
Also, wenn Sie mich fragen, was man hätte anders machen können, dann wäre das vielleicht: sauber über die Fähigkeiten und die Möglichkeiten des Impfstoffes zu sprechen, auch darüber, was man weiß und nicht weiß bei der Wirksamkeit der antiepidemischen Maßnahmen, die Daten zu nutzen, zum Beispiel auch über den Genesenenstatus. Deutschland war hier einzigartig. Der Genesenenstatus war nach drei Monaten vorbei. Auf welcher Grundlage? Da gibt es keine Daten dafür.
Es gibt eine große Reihe von kommunikativen Problemen, die dazu geführt hatten, dass eben solche interessanten soziologischen Befunde vorliegen, dass man in Kanada nur ein Drittel bzw. nur ein Achtel so häufig Impfnebenwirkungen berichtet.
Da hat sich ein Kanzleramtsminister im März 2021 öffentlich geäußert, dass der Impfstoff eine sterile Immunität generiert. Es gab einen anderen Minister, der gesagt hat: Die Impfung sei nebenwirkungsfrei. Und jetzt ist die Situation so, dass zum Beispiel bei der Impfung gegen Gebärmutterhalskrebs 2024 immer noch die Impfrate 30 % unter der vor der Pandemie liegt. Also, den Schaden, den man da angerichtet hat mit dieser Kommunikation für alle anderen Impfstoffe, der ist noch gar nicht absehbar.
Jens Hentschel-Thöricht, BSW: Das klingt zumindest für mich gerade so, weil Sie das mit den Ministern sagten, dass Sie die Kompetenz einiger politischer Entscheidungsträger zumindest mal für verbesserungswürdig halten oder dass – –
Vors. Andreas Nowak: Herr Kollege Hentschel-Thöricht, ich muss kurz eingreifen. Ihre 20 Minuten Redezeit sind gerade um. Sie müssten das dann bitte in der zweiten Runde fragen. – Jetzt ist die Fraktion SPD an der Reihe, die Abg. Koch, bitte.
Sophie Koch, SPD: Vielen Dank, Herr Vorsitzender. – Vielen Dank, Herr Prof. Stöhr, für Ihre Ausführungen. Sie haben vorhin sinngemäß gesagt, dass uns allen am Anfang der Pandemie klar war, wie das für jede einzelne Person ausgehen könnte. Woran genau machen Sie oder macht man denn wissenschaftlich fest, welche Gruppen wie unter Corona hätten leiden können – mehr oder weniger? Wer sind diese Gruppen, und wie stark sind die denn auch in Sachsen vertreten?
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Ich habe das nicht ganz genau verstanden. Die Frage ist die, woran man festmacht, welche Altersgruppen und welche Personengruppen besonders betroffen sind, oder?
Sophie Koch, SPD: Quasi; Sie meinten ja vorhin, jede Person hätte am Anfang der Pandemie ungefähr absehen können, wie gut oder schlecht sie auf das Virus reagiert. Deswegen würde ich gern wissen, wie Sie denn diese Gruppen einsortieren oder einschätzen würden.
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Da habe ich mich falsch ausgedrückt. Also, was ich sagen wollte, ist, dass das Schicksal, das jeden von uns trifft, dann am Ende der Pandemie schon bekannt war oder klar war, aber – – und dass es schon feststand. Aber gewusst haben wir das natürlich nicht, wie wir da durchkommen von Anfang an, ja, also, am Anfang wusste man noch nicht, wie man durchkommt, aber es stand schon fest, wie man dann durchkommt. Das Schicksal konnte das entscheiden, aber vorhersagen kann man das also nicht. Da habe ich mich nicht klar ausgedrückt.
Sophie Koch, SPD: Aber Sie würden schon – – Also sagen Sie, dass es trotzdem Gruppen gibt, die logischerweise mehr gefährdet sind, wie zum Beispiel durch hohes Alter?
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Ja, also, die Daten lagen ja dann relativ schnell vor. Die Österreicher hatten schnell eine relativ große Kohorte aufgesetzt, wo die dann belegen konnten, dass die Todesfallhäufigkeit weit unter 3,5 % liegt. Das war schon im März/April 2020 gewesen. Die Daten von den verschiedenen Ländern haben sich noch relativ schnell verfestigt, sodass man nicht nur gesehen hatte, welche Altersgruppen besonders betroffen waren, Personen mit welchen Vorerkrankungen, sondern auch wie hoch der Anteil dieser Altersgruppen an der Gesamtsterblichkeit war.
Sophie Koch, SPD: Vielen Dank. Wir haben gerade viel zum Thema Stufenpläne gehört. Wenn ich mich richtig erinnere, hatte Sachsen Stufenpläne, allerdings erst im späteren Verlauf der Pandemie.
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Ja.
Sophie Koch, SPD: Also sowohl Öffnungs- als auch wiederum Schließungsstufenpläne. Deswegen haben Sie vielleicht – auch vergleichbar mit anderen Pandemien oder auch mit anderen Bundesländern – eine Erfahrung: Brauchen Stufenpläne manchmal auch einfach mehr Vorlauf und Datenlagen, bis man politisch überhaupt dahinkommt, Stufenpläne zu ziehen?
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Ja, also, wenn man sich in die Position der Krisenmanager hineinversetzt, dann würde man natürlich die Parameter und die Kriterien evidenzbasiert festlegen. Man muss aber etwas unternehmen in solchen Situationen. Da kann es gut sein, dass man von Anfang an vielleicht sagt: „Wir verbieten Veranstaltungen über 500 Personen.“ Aber keiner kann sagen, warum das nicht 450 oder 550 Personen sind. Also, da wird man auch, wie gesagt, ein bissel aus der Hüfte schießen müssen. Vielleicht muss man das sogar noch lockern oder anziehen relativ schnell. Aber da muss man die Daten entsprechend zusammentragen.
Deswegen: So viel wie möglich Evidenz zusammentragen, wo sie nicht existiert, dann während der Umsetzung der Maßnahmen die Studien initiieren und dann so schnell wie möglich die Parameter korrigieren, wenn die Daten vorliegen.
Sophie Koch, SPD:Vielen Dank. Eine dritte Frage hätte ich noch, und zwar zum Thema Pandemiemanagement noch mal. Können Sie zusammenfassen, worauf das Bundesland Sachsen im Pandemiemanagement im Idealfall hätte zurückgreifen sollen, also auf welche Beratungs- und Planungsstrukturen?
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Deutschland ist ein föderales Land. Wenn ich hätte entscheiden können auf einem weißen Blatt Papier, dann, glaube ich, wäre es vernünftig gewesen, ein nationales Expertengremium zu etablieren mit entsprechenden Repräsentanten aus den einzelnen Bundesländern, die dann einen nationalen Bekämpfungsplan entwerfen würden auf der Grundlage einer nationalen Strategie – nicht deswegen, weil man die Besonderheiten der Bundesländer nicht berücksichtigen wollte, sondern weil das Virus und die Menschen letztendlich relativ ähnlich in allen Bundesländern und fast in allen Ländern auch agiert haben. Natürlich gibt es kulturelle Unterschiede, klimatische Unterschiede, aber in Deutschland, in Gesamteuropa sind die nicht so bedeutend. Da hätte man besser auf nationaler Ebene die hohen Kompetenzen auch aus den Bundesländern zusammenführen müssen und dort einen nationalen Bekämpfungsplan erarbeiten, der dann idealerweise auch in den Ländern umgesetzt wird. Das ist nicht erfolgt. Meines Erachtens ist es vielleicht eine Verschwendung – jetzt komme ich wieder aus meiner WHO-Perspektive – von intellektuellem Potential, wenn so viele Bundesländer ihre eigenen Pläne erarbeiten, die zum Schluss auf weniger Daten beruhen, als wenn man die Daten alle zusammenführen würde, die Experten auch zusammenführen würde. Die Bekämpfung zwischen den Bundesländern, inhaltlich, was die Parameter betrifft, an denen man die Maßnahmen festmacht, für welche Maßnahmen man sich entscheidet, das unterscheidet sich relativ gering.
Vors. Andreas Nowak: Keine weiteren Fragen, Frau Kollegin Koch? – Dann ist jetzt die Fraktion BÜNDNISGRÜNE dran, Herr Abg. Lippmann, bitte.
Valentin Lippmann, BÜNDNISGRÜNE: Vielen Dank, Herr Vorsitzender. – Vielen Dank, Herr Prof. Stöhr, für die bisherigen Ausführungen. Ich möchte eine Nachfrage zu Ihren Ausführungen stellen, weil möglicherweise es einen Scheinwiderspruch gibt, den ich dann aber gerne aufgeklärt sehen würde.
Sie haben am Anfang sehr deutlich gemacht, dass es aus Ihrer Sicht schon zu Beginn einer Pandemie sinnvoll sein kann, die Zahl der Infektionen nach Möglichkeit zu strecken. Sie hatten selbst gesagt: das Flatten-the-curve-Prinzip. Sie haben sich dann – jetzt aber mehrfach – in den weiteren Ausführungen vor allem auf andere Indikatoren für die Pandemie bezogen, also Belastung der Intensivstationen, Belastung generell der Krankenhäuser, schwere Verläufe.
Nun ist mir das eingängig. Sie haben auch öffentlich im Jahr 2022 die Sieben-Tage Inzidenz als Maßstab sehr stark kritisiert. Die würde aber genau das vom Anfang widerspiegeln, also die Zahl der Erkrankten.
Meine Frage ist: Welche Erkenntnisse haben Sie vor diesem Hintergrund zum klinischen Verlauf? Wie schnell kommen die Personen, die infiziert sind, in einen klinischen Verlauf und insbesondere dann möglicherweise auch zur Aufnahme auf der Intensivstation? Der Hintergrund meiner Frage ist so ein bisschen: Gibt es Situationen, in denen man, wenn man Ihre Parameter zugrunde legen würde, zu spät erkennt, dass eigentlich man mittlerweile so hohe Zahlen erreicht hat, dass das möglicherweise schon am nächsten Tag zum Überlaufen der Kapazitäten führt?
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Das ist das wichtigste Gegenargument zu sagen, wir konzentrieren uns auf die Intensivstationen und Krankenhäuser, weil irgendwann vorher die ganzen Infektionen schon ablaufen. Wenn man auf die Intensivstationen und die Krankenhäuser schaut, dann liegen die da schon, und dann sind die Gegenmaßnahmen ja schon vier, fünf Wochen überfällig.
Wie groß der Abstand ist zwischen der Infektion und der Intensivstation: Da gibt es wieder eine relativ große Spanne. Es gibt Personen, die per akut erkranken, also relativ schnell dann auf der Intensivstation auch landen, innerhalb von vier, fünf Tagen. In der Masse sind es aber zehn Tage, die dann vergehen, acht bis zehn Tage zwischen den Ersterkrankungen und dann den schweren Verläufen. Aber es gibt auch Personen, die viel schneller erkranken.
Aber, was richtig ist – – Oder lassen Sie mich noch mal einen Schritt zurückgehen. Inzidenz sind nicht die Erkrankten, Inzidenz sind ja auch diejenigen, die positiv getestet wurden. Ja, also das darf man immer nicht vergessen. Besser wäre es, wenn man die Erkrankten nur misst. Dann hat man natürlich auch einen medizinischen Maßstab.
Anfang 2021 ist die Impfung ja großflächig dann auch genutzt worden. Und spätestens dann war die Inzidenz nicht mehr hilfreich. Warum? Weil sie dann Personen hatten, die geimpft waren, die aber unter Umständen auch noch in die Inzidenz reingekommen sind, weil die einen positiven Test hatten. Die hatten dann aber nicht mehr die Chance oder eine viel, viel geringere Chance, schwer zu erkranken oder auf die Intensivstation zu kommen.
Das heißt, sie haben vielleicht eine hohe Inzidenz, aber eine sukzessiv schrittweise Abnahme der Wahrscheinlichkeit, dass diejenigen, die sich positiv testen, auch tatsächlich auf die Intensivstation kommen.
Das ist der eine Grund, warum man spätestens dann hätte ablassen müssen. Dazu kamen die großen Fehler, die bei der Probenentnahme, bei der Testung zu verzeichnen waren. Viele Leute haben sich mehrfach testen lassen. Manche Leute haben sich gar nicht testen lassen. Die Testgenauigkeit schwankt zwischen den Inzidenzbergen im Sommer bei einer relativ geringen Inzidenz. Da gibt es relativ viel falsch Positive, weil relativ wenig Leute an sich positiv sind. Im Winter hat‘s mehr falsch Negative; also die Fokussierung auf die Krankheitslast haben wir deswegen empfohlen – und nicht erst 2023, auch schon eher –, weil der – Wie soll ich das formulieren? –, weil letztendlich die Verhinderung der Infektionen immer wieder als das proklamiert wurde, was die Pandemie unter Kontrolle bringt. Das sind nicht die Infektionen, die die Pandemie unter Kontrolle gebracht haben.
Lassen Sie mich ein Beispiel dafür bringen. Bei bestimmten Personengruppen war von Anfang an klar, dass es für sie keinen Impfstoff gibt und sehr, sehr schnell, dass sie relativ wenig von der Pandemie betroffen sind. Herr Berner hier aus Dresden hat ein Netzwerk aufgebaut, wo ein Drittel der pädiatrischen Krankenhäuser – auch Intensivstationen – eingebunden war. Die hatten tagesaktuelle Daten, wie viele Kinder betroffen sind von schweren Verläufen und war innerhalb kürzester Zeit – sechs Monate – war klar, dass Kinder im Prinzip keine Rolle spielen. Es war auch klar von Anfang an der Pandemie, dass Impfstoffe für Kinder extrem unwahrscheinlich sind. Warum? Weil die Zulassung solcher Impfstoffe eigentlich immer erst bei dieser Hauptgruppe beginnt, die betroffen ist und nicht bei den Vulnerablen.
Wenn sie jetzt ein Impfstoff entwickeln, würden sie den nicht erst mal an Schwangere verimpfen und Kinder, sondern da werden sie diejenigen nehmen, die hauptsächlich von der Erkrankung betroffen sind, die Älteren. Dann wird man weiter testen bis zu der Altersgruppe, wo man noch sieht: Aha, es macht noch Sinn. Aber für Kinder unter elf Jahren – selbst für Jugendliche unter 18 Jahren – war die Impfstoffwirksamkeit aus meiner Perspektive bestenfalls marginal; vor allen Dingen, wenn man sich mal anschaut, wie schwer die Kinder erkrankt sind oder wie viel Todesfälle es gab – wenn überhaupt.
Also, hier hätte man – um die Frage Inzidenz zu beantworten oder in dem Zusammenhang mit der Inzidenz – eigentlich – – Auch die hohe Inzidenz bei diesen Kindern hatte überhaupt gar keinen Hinweis auf die Krankheitslast. Wenn man aber bei älteren Personen, die auf die Intensivstation kommen, hier misst, dann kann man auch die entsprechenden Maßnahmen entsprechend fokussieren. Aber die Inzidenz war ja über alle Altersgruppen hinweg sogar gemessen.
Valentin Lippmann, BÜNDNISGRÜNE: Mhm. Ein zweiter Punkt, dem ich mich gern mit Ihnen nähern möchte, nachdem wir das heute Morgen schon mit dem Sachverständigen Streeck erörtert haben, ist so ein bisschen das Thema wissenschaftliche Expertise. Sie haben vorhin selbst zu dem Thema Interdisziplinarität gesprochen, die notwendig ist im Zusammenhang mit Entscheidungsfindung in Unsicherheit.
Zum einen würde ich gern noch mal wissen: Ich habe Ihren Ausführungen jetzt immer entnommen, dass Sie grundsätzlich sagen: Am Anfang der Pandemiebekämpfung haben Sie relativ, hätten Sie an sich wenig Kritik an Maßnahmen zu äußern, aber je weiter man dann aus Ihrer Sicht fortgeschritten ist, umso stärker hätten bestimmte Datengrundlagen, bestimmte Erwägungen stärker überprüft werden müssen. Habe ich Sie dazu erst einmal richtig verstanden?
(Dem Sachverständigen scheint die Sonne ins Gesicht)
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Können Sie versuchen, hier mal ein Rollo herunterzulassen. Geht das?
Valentin Lippmann, BÜNDNISGRÜNE: Ich glaube, Rollos wären hier schwierig. Prof. Dr. Klaus Stöhr: Wenn nicht, dann setze ich mich da rüber.
Vors. Andreas Nowak: Ja, ich würde vorschlagen, dass Sie einen Platz weiter wechseln, weil wir bekommen es an der Stelle nicht verschattet. – Herr Abg. Lippmann, bitte weiter.
Valentin Lippmann, BÜNDNISGRÜNE: Herr Vorsitzender, ich hatte schon die Hoffnung, dass jetzt endlich mal diese Sachsenkarte mobilisiert wird, aber das – –
Vors. Andreas Nowak: Das müssten wir vielleicht im Präsidium besprechen. Sie sind da ja auch Mitglied.
Valentin Lippmann, BÜNDNISGRÜNE: Ja. – Also, das wäre tatsächlich jetzt meine Frage gewesen.
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Können Sie die kurz wiederholen?
Valentin Lippmann, BÜNDNISGRÜNE: Dass in Ihren Ausführungen – die Frage ist, ob ich Sie dahingehend richtig verstanden habe – sich ein Großteil Ihrer Kritik vor allen Dingen auf den späteren Verlauf der Maßnahmen – ich nenne jetzt keine Jahreszahlen – bezieht und quasi nicht auf die unmittelbare anfängliche Pandemiebekämpfung und aus Ihrer Sicht spätestens mit einem weiteren Verlauf – mehr Daten, bessere wissenschaftliche Studien, mehr Erörterungen – darüber hätten stattfinden müssen. Habe ich Sie da erst einmal richtig verstanden?
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Ich würde versuchen, das zu differenzieren. Es gab eine Menge, viele Dinge, die man auch am Anfang der Pandemie schon kannte. Warum hat man den Impfstoff nicht sofort – – Warum hat man von öffentlicher Seite nicht von den Impfstoffherstellern gefordert, dass sofort Dosierungsstudien beginnen? Normalerweise, wenn man einen Impfstoff entwickelt, dann hat man eine Dosierung für die Älteren, und für die Kinder muss man eine geringere Dosierung nehmen. Warum hat man die nicht von Anfang an gewickelt?
Es gab auch viele andere Anforderungen und Daten, die vor der Pandemie schon klar waren. Was die Gegenmaßnahmen betrifft, muss man konstatieren, dass in den ersten zwei, drei Monaten eine sehr große Unsicherheit existiert hat. Trotz des vorhandenen Wissens gibt es bei der Biologie auch immer wieder Unwägbarkeiten. Hier war es auch richtig, über das Ziel zu halten, war es richtig auch, vielleicht strengere Maßnahmen umzusetzen.
Aber relativ schnell hat man gesehen, dass bestimmte Dinge überzogen waren. In der Schweiz hat man sehr schnell den Lockdown runtergenommen. Man hat auch die Schulschließungen nie wieder umgesetzt. In Frankreich hat man auch Schulschließungen komplett abgesetzt, relativ schnell.
Das ist das eine dabei, dass man von Anfang an eigentlich viel wusste, aber in den ersten zwei, drei Monaten schon – sicherlich aus großer Unsicherheit heraus oder aus einem Sicherheitsgefühl heraus – stärkere Maßnahmen umsetzen musste. Man hätte aber dabei gleichzeitig die begleitende Überwachung, die wissenschaftliche Beurteilung mit anschieben müssen, um die Wirksamkeit dieser Maßnahmen auch mit zu bewerten über den Zeitraum.
Die dritte Komponente dabei ist, dass man aber wirklich bei einigen Maßnahmen vollständig neue Dinge umgesetzt hat, den Pandemieplan beiseitegelegt hat, Lockdowns in eine Größenordnung übersetzt hat, wie man sie vorher nicht kannte. Ich meine, Ausgangssperre, Grenzschließungen – das ist alles ausgeschlossen worden schon vorher in den Pandemieplänen oder bewertet worden, welchen Sinn die ergeben. Auch die Versammlungssperren, all das – – Wie gesagt, man hat Dinge getan, die keinen Sinn ergeben haben. Die Maßnahmen, die man umgesetzt hat, hätte man eigentlich auch wissenschaftlich stärker bewerten müssen.
Valentin Lippmann, BÜNDNISGRÜNE: Zu meiner letzten Frage – ich hoffe, ich habe die Zeit noch, Herr Vorsitzender – in dieser Runde.
Vors. Andreas Nowak: Sie haben noch ausreichend Zeit.
Valentin Lippmann, BÜNDNISGRÜNE: Jetzt geht es tatsächlich um dieses, auch von Ihnen gerade geschilderte Spannungsfeld, dass zum jeweiligen Zeitpunkt der Maßnahme wir nicht mit dem Wissen von heute operieren können. Jetzt haben Sie selbst gesagt: Ein Teil war schon bekannt und bestimmte Dinge waren bewertet. Aber es ist gleichzeitig, insbesondere zwischen den ersten drei Monaten der Pandemie und dann den weiteren Wellen, die es gab, durchaus auch immer wieder mit neuen Erkenntnissen, auch, wie sich das Virus beispielsweise verändert und dergleichen mehr, zu operieren gewesen.
Meine Frage ist, um so ein bisschen wieder auf den Punkt Interdisziplinarität zu kommen. Wie würden Sie oder aus Ihrer Sicht – es ist eine eher in die Zukunft gerichtete Frage – eine Interdisziplinarität in der Beratung von Politik sicherstellen, die dieser Entscheidung in Unsicherheit auch hinreichend nachkommt?
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Wir haben vor anderthalb Jahren ein Papier veröffentlicht, wo es um die Aufarbeitung ging, und haben dort sehr konkrete Vorschläge gemacht, was man machen müsste in dieser Aufarbeitungskommission, aber auch, wie so eine eigentliche
Expertenberatung – strukturierter Prozess der Wissensbeschaffung während der Pandemie – aussehen soll.
Rein praktisch würde es sich um eine Gruppe von mindestens 30 Personen handeln, die über die Fachbereiche hinweg ausgewählt werden. Alle diese Personen sollte man nach spätestens sechs Monaten austauschen. Warum? Weil am Anfang der Pandemie Fehler gemacht werden. Also, die Leute werden falsche Empfehlungen treffen – richtig zu dem Zeitpunkt, aber sie werden sich nach sechs Monaten als falsch herausstellen –, und die werden dann aber an ihren Empfehlungen hängenbleiben; weil sie einfach davon – sagen wir einmal so: gemacht haben. Das war bei uns ein Prinzip, dass man die Leute nach einem gewissen Zeitraum austauscht, um frische Gedanken reinzubringen und neue Daten, um einfach dieses Beharrungsvermögen an alten Erkenntnissen zu überwinden.
Diese 30 Personen würden ausgegliedert sein müssen aus dem Arbeitsprozess. Die sind dann an einem Ort, arbeiten dort zusammen in Gruppen mit einem Leiter – und diese Leitung rotiert auch – und mit einem klaren strategischen Ziel, das die Politik vorgibt. Das Ziel ist – wie gesagt, das hatte ich vorhin schon beschrieben –, Bekämpfungsoptionen zu erarbeiten mit – aus meinem Blickwinkel mit Infektionserkrankungen über diese drei Themen, also gesundheitlich, wirtschaftlich und freiheitlich demokratisch – mit entsprechenden Vor- und Nachteilen. Die würden sie dann der Politik vorstellen und natürlich dann ständig neue Informationen damit integrieren, den Bekämpfungsplan weiterentwickeln. Dazu gehört natürlich auch viel Infrastruktur, was die Datengenerierung betrifft. Dann gehört auch dazu, zu diesem Kreis, eine Gruppe, die sich nur rein mit dem Forschungskonzept beschäftigt.
Das Forschungskonzept würde evaluieren, wo die großen Wissenslücken existieren: auf dem Gebiet Immunologie, Vakzinologie, Epidemiologie, Pflege, Intensivmedizin usw. und würde entsprechend dieser Wissenslücken dann Forschungsprojekte ausschreiben, kompetente Partner suchen, diese Lücken finden, die entsprechenden Daten publizieren, einpflegen in die Bekämpfungsmaßnahmen. Das wird ein Ständiges Komitee sein, also die Experten-Advisory-Gruppe, die
Forschungskoordinierungsgruppe. Das würden die Hauptkomponenten sein. Aber das können keine Leute sein, die an sich schon ein vollen Arbeitstag haben, die das so nebenbei mal machen. Das geht zumindest in den ersten Monaten der Pandemie nicht oder geht nicht gut.
Valentin Lippmann, BÜNDNISGRÜNE: Okay; erst mal keine weiteren Fragen an den Zeugen, Herr Vorsitzender. – Vielen Dank.
Vors. Andreas Nowak: Vielen Dank, Herr Kollege Lippmann. – Damit geht das Fragerecht jetzt an die Fraktion Die Linke; der Abg. Gebhardt ist dran.
Rico Gebhardt, Die Linke: Vielen Dank, Herr Vorsitzender. – Vielen Dank, Herr Professor für Ihre bisherigen Antworten und auch Ausführungen. Sie hatten am Anfang gesagt, dass die Unterbrechungen von Infektionsgeschehen durch die Kontaktverbote oder Reduzierung notwendig und richtig gewesen sind. Was waren denn aus Ihrer Sicht weitere Maßnahmen zum Schutz vor der Verbreitung der Pandemie?
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Bei Infektionserkrankungen geht es darum, die Übertragung zu verhindern. Und das ist die Kontaktunterbrechung. Kontaktunterbrechung hat man in Schweden dadurch versucht zu erreichen, dass man den Menschen gesagt hat: „Trefft euch nicht so oft.“ Das war im Prinzip die Nachricht, die man den Menschen gegeben hat: Trefft euch nicht so oft.
Und dann hat man aber von staatlicher Seite auch Veranstaltungen gedeckelt mit einer bestimmten Personenzahl. Man hat bei den Restaurants bestimmte Maßnahmen empfohlen. Man hat Teststrategien umgesetzt in Krankenhäusern. Es geht um die Kontaktreduktion und alles das, was hilft, die Infektionsausbreitung zu reduzieren, macht Sinn.
Aber man sollte alle Maßnahmen – die müssen evidenzbasiert sein – auch auf ihre Kollateralschäden untersuchen. Es hilft ja nicht, wenn man was Gutes erreichen will, sondern es muss auch evidenzbasiert sein, und es muss zumindest klar sein, ob ein Schaden existiert.
Im medizinischen Bereich ist das erst mal: keinen Schaden anrichten. Dann sollte man vorsichtig sein und erst dann heilen. Und so sollte es auch hier sein. Viele Dinge, die gut gemeint waren, haben unzureichend funktioniert und hatten erhebliche Kollateralschäden. Aber Kontaktunterbrechung, alles, was man dort machen kann – – Also, die Liste der Dinge, dass man eben auch Einzelhandel reduziert, dass man Veranstaltungen absagt, Fußballspiele, also Massenveranstaltungen, reduziert, dass man die Klassen ausdünnt in den Schulen – alles das kann beitragen, aber es muss verhältnismäßig sein. Es muss eben der Risikobewertung angepasst sein, und es muss funktionieren.
Rico Gebhardt, Die Linke: Jetzt haben Sie gerade wieder das Beispiel Schweden gebracht, und es wird auch gerne immer als Beispiel gebracht, dass es dort alles viel besser gelaufen ist. Aber ist es nicht so – –
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Einiges viel besser! – Entschuldigung, ich will Sie nicht unterbrechen.
Rico Gebhardt, Die Linke: Ja, eigentlich viel besser; von mir aus. Aber wenn Sie jetzt immer den Vergleich mit Schweden machen: Ich meine, Schweden hat weniger Einwohner als ganz Ostdeutschland. Also denen zu sagen: „Trefft euch nicht so häufig“, ist, sage ich einmal, im Bundesland Nordrhein-Westfalen, das viel mehr Einwohner hat auf weniger Quadratmeterzahlen, natürlich eher schwieriger zu realisieren. Weil: In Schweden trifft man sich sowieso nicht allzu häufig – im Gegensatz zu Deutschland.
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Ja, also, die soziologischen Studien sind da eigentlich relativ klar. Ich habe die Zahlen nicht genau im Kopf: Aber jede Person in einem entwickelten Land trifft sich eigentlich regelmäßig mit fünf Personen – regelmäßig, täglich – und dann mit weiteren sieben Personen – wenn ich es noch im Hinterkopf habe – einmal wöchentlich. Das unterscheidet sich nicht zwischen Schweden und Deutschland.
Also, wir treffen unsere Familienmitglieder, unsere Arbeitskollegen. So viel mehr sind das nicht. Wenn man Politiker ist, dann trifft man vielleicht mehr Leute. Aber im Durchschnitt ist das relativ begrenzt. Also, da sind die Unterschiede nicht so groß.
Was richtig ist, ist, dass die Gesundheitssysteme sich unterscheiden. Der wichtigste Unterschied in Schweden war gewesen, dass laut dem Gesetz dort das Krisenmanagement das Ministerium, das auch sonst diese Krise managt, wenn es noch keine Krise ist, die Hoheit hat bei der Entscheidung, was gemacht wird. Das war der Grund, warum man die Verantwortung an das nationale Gesundheitszentrum gegeben hat. Da saß halt jemand, der auch in der WHO in meiner Abteilung war und Pandemieplanung mitgemacht hat, ein guter Epidemiologe, der einen Pandemieplan hatte, und die haben sich drangehalten. Mehr war das nicht.
Man darf aber nicht vergessen: Die Maßnahmen, die in Schweden umgesetzt wurden, unterschieden sich in der Art schon, aber nicht wesentlich von dem, was in Deutschland gemacht wurde. Aber die Intensität, die Dauer und die Art und Weise, wie man die Maßnahmen umgesetzt hat, die haben sich dramatisch unterschieden. Man hat eben nicht 2G und 3G umgesetzt, sondern man hat den Leuten empfohlen, lieber nicht in die Restaurants zu gehen. Man hat auch niemals draußen Masken empfohlen, weil es auch fachlich komplett falsch war. Man hat auch nie FFP2-Masken empfohlen.
FFP-2 Masken hat man in Deutschland entgegen den Empfehlungen der Fachgremien eingesetzt. Die Deutsche Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie hat bereits 2020 – auch noch 2021 – immer wiederholt: FFP2-Masken sind kontraproduktiv für die Bevölkerung. Die sind schlechter als medizinische Masken. Warum? Nicht, weil sie nicht besser filtrieren. Na klar, filtrieren die besser. Aber die sitzen nicht so gut.
Sie sehen ja, wenn Sie sich mal umschauen, einige FFP2-Masken aufhaben: Die sind also hier oben nicht dicht und unten passen die nicht. Wenn ich Sie fragen würde, ob jemand von Ihnen weiß, wie viel verschiedene Maskengrößen es gibt bei FFP2, dann glaube ich, dass das nicht alle wissen. Es gibt fünf verschiedene Maskengrößen. Aber Sie haben sich alle, als die einzige FFP2-Maske angeboten wurde, in der Apotheke hat man sich die geholt. Und die Leute mit einem großen Kopf haben die als kleines Hütchen hier vorn getragen und diejenigen, die einen kleinen Kopf hatten, bei dem waren die halben Augen bedeckt.
Wenn 5 % der FFP2-Masken nicht dicht sitzen – diese Umrandung –, dann ist die Wirksamkeit der Maske praktisch verloren. FFP2-Masken sind nichts für die öffentliche Bevölkerung. Das hat man in Schweden gewusst, in Deutschland auch. Die Fachgesellschaften haben auf ihren Webseiten das immer wieder publiziert. In Deutschland hat man bis März 2023 in Fernzügen FFP2-Masken umgesetzt. Da hat man Anfang 2022 in Schweden bereits die Pandemiemaßnahme für zu Ende erklärt, hat man die Krisensituation schon zu Ende gesehen. Also, da gab es schon bei den Maßnahmen signifikante Unterschiede. Aber was die Kontakthäufigkeit von Personen in der westlichen Welt betrifft, da gibt es da nicht so ganz viele Unterschiede.
Rico Gebhardt, Die Linke: Sie hatten vorhin gesagt, dass die Kinder weniger Überträger, dass die Kinder weniger ansteckend waren bzw. sie hatten weniger schwere Verläufe. Das kann ich bestätigen von meinen eigenen Kindern. Aber ist es nicht so gewesen, dass auch Kinder der Überträger des Virus gewesen sind und dass man, wenn man Schulen schließt, letztendlich dafür Sorge trägt, dass die anderen Gruppen von Kindern nicht angesteckt werden. War das nicht eines der Ziele, was man damit erreichen wollte?
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Die kurze Antwort ist: Ja, Sie haben recht, wenn man – – dass Kinder infizieren andere – ganz klar. Aber die Frage ist nicht, ob Kinder eine Infektionsquelle sind, sondern wie hoch das Risiko ist, von Kindern sich zu infizieren und ob das Risiko sie unterscheidet von den von anderen Personen und wodurch stecken sich Erwachsene hauptsächlich an.
Also, Kinder – das sind die Studienergebnisse auch aus Deutschland – haben sich häufiger von Erwachsenen angesteckt. Wenn man irgendwas hätte machen müssen, um die Kinder in den Schulen nicht zu infizieren, hätte man die Lehrer zu Hause lassen müssen. Das hätte funktioniert.
Rico Gebhardt, Die Linke: Deswegen hat man ja dann Online-Unterricht gemacht. Aber egal, es ist – –
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Also, das sind die Daten. Und Ihre Frage, denke ich, kommt auch daher, dass man sagt: Wenn man die Infektion der Älteren hätte verhindern wollen, dann muss man natürlich auch die Infektion bei Kindern reduzieren, weil die Kinder natürlich auch eine Infektionsquelle für die Älteren sind. Aber sie sind eine seltenere Infektionsquelle als andere Erwachsene. Es war richtig, die Kontakte zu reduzieren zu den Älteren. Wie man das gemacht hatte, das war weniger vernünftig. Aber es war richtig, die Kontakte für die Älteren zu reduzieren, bis der Impfstoff da ist. Und dann hat sich das ja wieder ausgeglichen.
Rico Gebhardt, Die Linke: Ich habe erst mal keine weiteren Fragen.
Vors. Andreas Nowak: Vielen Dank. – Damit geht die zweite Fragerunde jetzt los. Ich habe zwei Fragen, Herr Professor. Die erste Frage wäre: Sie erwähnten gerade, dass Schweden sehr viel früher wieder aufgemacht hat. Gibt es Daten dazu, ob zu diesem Zeitpunkt die schon etwas geringere Bevölkerungszahl dort eine Rolle gespielt hat? Also sprich: War dort vielleicht die Herdenimmunität schneller erreicht? Das wäre die erste Frage.
Die zweite Frage: Sie hatten vorhin darauf hingewiesen, dass es in Deutschland und in Kanada eine unterschiedliche Anzahl an Impfnebenwirkungen registriert worden ist. Ist die Zahl der Geimpften dort ungefähr vergleichbar oder liegt eine erhöhte Anzahl an Impfnebenwirkungen vielleicht auch daran, dass bei einer geringeren Zahl Geimpfter diese dann statistisch natürlich eine größere Rolle spielen?
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Zur ersten Frage: Schweden Herdenimmunität früher. Es gibt keine so guten Daten aus Deutschland, wie die Herdenimmunität hier war, also wie die Immunisierungs- oder Durchinfektionsrate war. Man hat Daten gehabt von Blutspendern, aber die Datenbasis ist natürlich nicht ganz sauber, spricht nicht für die gesamte Bevölkerung. Blutspender sind meistens junge Leute. Die Älteren gehen weniger Blutspenden. Auch bestimmte Personengruppen gehen häufiger Blutspenden. Also, die Daten aus Deutschland sind nicht so gut. Aus Schweden gab es einige Daten, was die Infektionsimmunität betrifft. Und da ist eindeutig die Infektion in Schweden schneller durchgelaufen. Dort hat man auch – anders als in Deutschland – während der Sommermonate die Maßnahmen signifikant reduziert, mit dem Wissen, dass, wenn ich im Sommer die Infektion verhindere bei den Personen, die sich sowieso infizieren werden und bei denen es keine Gegenmaßnahmen gibt, dann werde ich den Peak im Winter noch höher machen.
Denn wenn einige sich im Sommer infizieren, die werden sich dann höchstwahrscheinlich im Winter – die werden im Winter bei der nächsten Infektion wahrscheinlich nicht mehr so schwer erkranken.
Also, hier hat man in Deutschland durch diese starken
Kontaktbegrenzungsmaßnahmen die Infektion immer weiter nach hinten geschoben und dadurch den Winterpeak noch höher werden lassen.
Impfnebenwirkungsunterschiede Deutschland zu Kanada: Die Daten, die ich Ihnen genannt hatte, sind auf Hunderttausend Geimpfte bezogen. Also, man kann die so vergleichen. Das ist tatsächlich so. Von den Geimpften sind in Deutschland, dreimal mehr haben Impfnebenwirkungen berichtet und achtmal mehr schwere Impfnebenwirkungen pro Hunderttausend.
Vors. Andreas Nowak: Sind diese Verhältnisse auch abgeglichen mit den verwendeten Impfstoffen?
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Also, der Impfstoff in Kanada war hauptsächlich auch der Pfizer Impfstoff.
Vors. Andreas Nowak: Und in Deutschland?
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Hier auch.
Vors. Andreas Nowak: Mhm. Gut, dann wäre jetzt der Kollege Wendt dran, wenn er noch Fragen hat.
Stellv. Vors. André Wendt: Nur eine Frage, Herr Vorsitzender, wenn es recht ist.
Herr Professor, Sie hatten gesagt, dass die Ausbreitung des Virus durch die Impfung nicht gestoppt werden bzw. reduziert werden konnte. Kann man damit in Verbindung bringen, dass beispielsweise die 2G-Maßnahmen nicht zielführend waren, dass es keiner Maßnahmen dieser Art bedurft hätte?
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Wo würde man das wieder festmachen? Das ist für mich wieder eine Frage der Verhältnismäßigkeit. Wenn die Intensivstation – nehme ich jetzt mal ein hypothetisches Beispiel – extrem überlastet sind, wenn alle Krankenhäuser voll sind, wenn keine medizinische Hilfe mehr möglich ist für Unfallopfer, für Krebspatienten, für Schlaganfallpatienten, dann sind fast alle Maßnahmen, selbst wenn sie nur einen sehr geringen Anteil haben, fast erlaubt, weil natürlich Gesundheit schon eine hohe Priorität hat, ein hohes Gut ist, sodass man wirtschaftliche Bedenken, vielleicht freiheitlich demokratische Bedenken nach hinten schieben kann. Aber in Deutschland sind meines Wissens niemals flächendeckend – es gab niemals eine Überlastung des Gesundheitswesens. Es gab die Verlegung von Intensivpatienten in andere Bundesländer – auch mit Hubschraubern –, es gab ja genügend Bilder davon. Es gab Überlastungen in einzelnen Krankenhäusern. Aber es gab immer noch für jeden, der ein Intensivbett brauchte, gab es eins.
Meines Erachtens gab es nicht diese Situation, dass man auf extreme Maßnahmen, auch vor allen Dingen deren Wirksamkeit unsicher war, wo man relativ wenig oder gar keine Evidenz hatte, zurückgreifen musste. 2G verhindert eben nicht die Weitergabe des Virus, weil Geimpfte und auch Genesene immer noch das Virus weitergeben können, zwar etwas reduziert und etwas in der Menge und etwas kürzer als Ungeimpfte. Aber meines Erachtens war diese 2G-Maßnahmen nicht verhältnismäßig, auch in Bezug auf die Risikosituation, also in Bezug auf die Krankheitslast.
Vors. Andreas Nowak: Dann ist jetzt in der zweiten Runde die Fraktion CDU dran; Frau Abg. Steiner, bitte.
Jessica Steiner, CDU: Ich habe einige Nachfragen. Das Erste wäre, was Sie als „flächendeckende Überlastung“ eingrenzen, also was die Größe ist, wo Sie sagen: Ab dann ist flächendeckende Überlastung gegeben. Ist nicht auch das schon ein Notstand für den Patienten, wenn er unter Beatmung mit entsprechenden Maschinen verlegt werden muss und man vielleicht auch an Kapazitätsgrenzen kommt, ob man so viele Hubschrauber überhaupt gleichzeitig zur Verfügung hat, wie man Patienten verlegen muss. Das ist Frage 1.
Des Weiteren würde ich Sie bitten, noch mal zu Schweden auszuführen, aber ganz allgemein nur die Übertragbarkeit. Sie haben uns zur Übersterblichkeit informiert, dass die hier höher war als in Schweden. Ich würde Sie bitten, der Vollständigkeit halber noch mal zu erklären, was die Sterberate ist und warum die in Schweden so viel höher war als hier; also warum Übersterblichkeit und Sterberate gegenseitige Trends oder Entwicklungen genommen haben, eben weil Schweden andere Maßnahmen ergriffen hat. – Genau, und das andere – – Ich glaube, das war es erst mal; erst mal die beiden Fragen.
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Meine Äußerung zu den flächendeckenden Überlastungen beruht auf den Stellungnahmen der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene und auch der – jetzt muss ich nachdenken, wer diese Zahl publiziert hat; das war nicht die DIMDI, also die, die Intensivstationsbelegung gemacht hat, sondern die
Krankenkassenvereinigung. Richtig, die Krankenkassenvereinigung, die hat Stellungnahmen dazu abgegeben, inwieweit das Gesundheitssystem flächendeckend überlastet war oder nicht. Darauf beziehe ich mich.
Wenn jemand mal gesehen hat, wie so eine Verlegung erfolgt unter Beatmung, was für ein Aufwand das ist, dann weiß man, dass das keine Kleinigkeit ist und dass das auch sicherlich für den Patienten eine zusätzliche Belastung und vielleicht auch ein zusätzliches Risiko bedeutet. Aber die Alternative ist dann sicherlich, mehr Intensivbetten, mehr zu bepflegende Intensivbetten.
Vielleicht kann ich dazu mal eine Zahl nennen: In der Zeit, im Dezember 2021, war die Inzidenz in England, in der Schweiz und auch in Dänemark ungefähr viermal so hoch wie in Deutschland, also die Anzahl derjenigen, die positiv waren bzw. krank waren. Die Anzahl der Personen, die auf der Intensivstation lagen in diesen Ländern war vier- bis fünfmal geringer. Das heißt, ein dramatischer Unterschied zwischen der Anzahl derjenigen, die man auf die Intensivstation eingewiesen hat in diesen Ländern. Jetzt fragen Sie mich nicht, wie ich das bewerten soll; da habe ich meine Theorien. Aber da sollten Sie Krankenhausspezialisten dann befragen.
Meine Theorie würde sein sicherlich, dass insgesamt die Pflege anders aufgebaut ist in den anderen Ländern. Da wird viel mehr ambulant gemacht. Da wird eben viel weniger direkt in die Krankenhäuser und in die Intensivstationen überwiesen, sondern wird viel mehr ambulant abgefangen.
Die Anzahl der Intensivbetten pro Kopf ist nirgendwo so hoch wie in Deutschland. Also, die Anzahl der Intensivbetten kann es eigentlich nicht gewesen sein, die unter Umständen zu einer Überlastung geführt haben; denn die ist nirgends so hoch wie in Deutschland.
Übersterblichkeit und Sterberate: Die Übersterblichkeit misst ja die Gesamtzahl der Todesfälle. Die Fehler, die hierbei auftreten können, ist, dass man ein falsches Bezugsdatum nimmt. Also, wenn man jetzt zum Beispiel 2023 misst: Wie ist die tatsächliche Sterblichkeit und wie hätte sie sich entwickeln müssen? Dann muss man halt Daten nehmen im Vergleich zu 2015, 2014 usw. oder sollte man kein Jahr nehmen wie 2018, 2019, wo sowieso eine hohe Übersterblichkeit war durch Influenza, oder 2005.
Also, bei der Auswahl des Ausgangszeitraums kann man Fehler machen. Man kann auch den normalen Sterblichkeitsverlauf, die Altersveränderungen in der Population vergessen usw. Aber wenn man das alles gut ausbalanciert, dann kann man die Länder gut vergleichen, wie bestimmte Ereignisse unterschiedlichen Einfluss hatten auf die Gesamtsterblichkeit in der Bevölkerung. Das zur Übersterblichkeit.
Die Sterberate gibt an, wie viele Personen, die eine bestimmte Erkrankung gehabt haben, tatsächlich sterben. Also, es wird alles nur an Corona festgemacht sein.
Vors. Andreas Nowak: Nachfragen?
Jessica Steiner, CDU: Ja. Worauf führen Sie es zurück, dass die in Schweden die Sterberate an Corona gerade in der Zeit, wo die keine strengen Maßnahmen hatten, viermal so hoch war wie in Deutschland?
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Wenn man es sich anschaut: In Deutschland gab es 2020 und 2021 – – Ich muss das zurücknehmen; das wäre jetzt ein Beispiel. Also, ich nenne mal ein Beispiel: In Frankfurt war die Gesamtübersterblichkeit in 2020 und 2021 negativ, also da gab‘s eine Untersterblichkeit, und 2022 gab es eine Übersterblichkeit, und 2023 gab es eine Untersterblichkeit. Das heißt, in 2022 sind unheimlich viele Menschen gestorben, über das erwartete Maß hinaus.
Aber die Frage ist am Ende der Pandemie in diesem Zeitraum: Wie viele Menschen sind in diesem Zeitraum mehr gestorben, als man hätte erwarten müssen, wie viel gestorben sind? In Schweden hat man große Fehler gemacht zu Anfang der Pandemie. Man hat die Alten- und Pflegeheime nicht richtig geschützt. Da gab es einen Riesen Peak an Gesamtsterblichkeit, eine hohe Übersterblichkeit; danach immer Untersterblichkeit. Aber in der Summe in dem Zeitraum der Pandemie liegt die Übersterblichkeit niedriger in Schweden als in Deutschland. In Deutschland verteilt sich das auf mehr Jahre. Man hat es relativ weit nach hinten geschoben, die Übersterblichkeit, aber die Gesamtmenge ist höher als in Schweden.
Vors. Andreas Nowak: Weitere Fragen bei der CDU? – Frau Steiner.
Jessica Steiner, CDU: Ja, ich hätte noch eine Frage. Sie haben gesagt, man hätte Dosierungsstudien fordern müssen, um die Dosieranpassung für Kinder im Vergleich zu Erwachsenen schneller oder überhaupt zu ermitteln bei den Impfstoffen. Welchen Benefit sehen Sie darin, wenn man das gefordert hätte? Ist es nicht vielmehr so, dass Dosierstudien fester Bestandteil der drei Stufen der klinischen Entwicklung von Impfstoffen nach EU-Richtlinien der Europäischen Arzneimittelagentur, des Deutschen Arzneimittelgesetzes sind? Welchen Benefit hätte es Ihrer Meinung gehabt, wenn zusätzlich zu diesen gesetzlichen Regelungen das politisch gefordert worden wäre?
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Sie haben völlig recht. Das ist normalerweise Teil von jeder Zulassung. Die EMEA fordert von den Impfstoffherstellern relativ schnell diese Dosierungsstudien ein. Es gibt ein sogenanntes PUMA-Programm, Pädiatrisches Entwicklungsprogramm, wo jeder, der ein Medikament entwickelt, von Anfang an sagen muss, was er tut, um dann eine pädiatrische Formulierung herzustellen. Das ist nicht nur bei Impfstoffen, auch bei Medikamenten; ganz einfach, weil das sehr teuer ist, viel kostet und viele Medikamente nicht extra getestet wurden für Kinder.
Also, das steht dort extra mit drin. Man hätte eigentlich von Anfang an relativ schnell diese Studien einfordern müssen, ist aber offensichtlich nicht gemacht worden. Was dann aufgetreten ist, ist, dass bei vielen jungen Menschen zwischen 20 und 35 die bekannten Gefäßverstopfungen und Herzmuskelentzündungen oder Herzbeutelentzündungen aufgetreten sind. Die eine These, die existiert, ist, dass diese Entzündungen und Blutverklumpungen darauf zurückzuführen sind, dass sehr viele Antikörper gebildet wurden, also besonders junge Leute – auch sportlich, sehr vital – haben auf die Impfung sehr stark reagiert, haben sehr viele Antikörper gebildet. Höchstwahrscheinlich ist es zu einer Autoimmunreaktion gekommen. Deswegen sind sehr viele junge Menschen durch diese Herzmuskel-, Herzbeutelerkrankung, von denen betroffen gewesen.
Also, wenn man jetzt die Antigenmenge zum Beispiel bei diesen jungen Leuten reduziert hätte – nicht die Antigenmenge, sondern die Menge des mRNA von 30 Mikrogramm, wie man es bei den Erwachsenen halt verwendet, dann hätte man unter Umständen das verhindern können. Aber das ist jetzt spekulativ, weil das ja auch beruht auf einer Hypothese, warum diese Herzmuskelveränderungen aufgetreten sind.
Also, dass man solche Dosieruntersuchungen nicht gemacht hat, obwohl die Zeit sicherlich dagewesen wäre, warum das nicht gemacht wurde, kann ich nicht erklären.
Jessica Steiner, CDU: Noch mal die Frage: Die gesetzlichen Regularien sind klar. Es ist immer Stufe 1 und 2 der Arzneimittelentwicklung. Sie sagen jetzt, dass es nicht gemacht wurde, obwohl – – Also, ich glaube, bei Biotech muss es irgendwie Anfang 2021 gewesen sein, also noch relativ zeitig in der Impfstoffentwicklung.
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Normalerweise werden die eigentlich schon bei den ersten Phasen der Impfstoffentwicklung mit eingefordert von der EMEA. Man hat ja danach Studien gemacht, man hat ja die RNA-Menge von 30 Mikrogramm bei Kindern unter elf Jahren auf 10 Mikrogramm reduziert; übrigens – als Nebenbemerkung – auf 0,2 Milliliter. Ein Milliliter sind 20 Tropfen. Wenn man jetzt 0,2 Milliliter gibt, dann wären das vier Tropfen.
Auch bei diesen Dosierungen ist das sicherlich eines der Dinge, die man sich genau anschauen muss. Macht es Sinn, so eine geringe Dosierung zu geben? Könnten Dosierfehler hier auftreten, und könnten Dosierfehler unter Umständen auch Gründe dafür sein, warum gerade bei jungen Menschen so häufig solche Nebenreaktionen aufgetreten sind?
Aber warum die EMA das nicht eingefordert hat, das kann ich Ihnen nicht sagen. Und zu welchem Stadium dann das eingefordert wurde, weiß ich auch nicht. Aber die Studien kamen sehr spät. Man hätte von der EMA eigentlich auch antikörper serologische Studien einfordern müssen, von Anfang an, um zu sehen, wie schnell die Antikörper wieder nachlassen.
Vors. Andreas Nowak: Weitere Fragen bei der CDU? – Das ist nicht der Fall. Dann geht das Fragerecht zur AfD; der Abg. Prantl, bitte.
Thomas Prantl, AfD: Vielen Dank. – Herr Professor, ich würde gern auf die sogenannten RKI-Protokolle zu sprechen kommen, speziell auf ein Protokoll der Sitzung vom 24. Januar 2020. Dem ist Folgendes zu entnehmen – ich lese das mal kurz ab: Sitzung WHO, Emergency Committee: kein internationaler Gesundheitsnotstand ausgerufen. Hintergrund: China möchte das nicht. Sorge vor ökonomischem Einfluss, sagen, sie hätten die Lage im Griff. – Ende.
Die Frage, die ich dazu hätte: Welchen Spielraum hat die Weltgesundheitsorganisation bei der Einstufung eines Erregers oder einer Erkrankung als Gesundheitsnotstand, und wie kommen diese Entscheidungen zustande, und welche Gremien gibt es dafür?
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Also, die WHO ist natürlich eine Organisation, wo sehr viele Länder dabei sind und wo auch einige Länder aufgrund ihrer Größe, ihres politischen Gewichtes auch die eine oder andere stärkere Stimme haben. In der WHO hat vom Reglement her jedes Land nur eine Stimme, aber manche Länder haben größere, eine Stimme als andere. Und China ist ja vielleicht noch nicht mal das Land, was da am lautesten poltert.
Vom Hintergrund her: Die ersten Befunde zu diesen Erkrankungen wurden in Wuhan ja schon im Dezember 2019, liefen dort schon auf. Die chinesische Partei hatte ihren Zentralkongress 2021, Ende Januar gehabt. Nach meinen Informationen – das sind ja auch öffentliche Informationen – hat man in Wuhan informieren wollen, an das nationale CDC; aber dort hat man gesagt: Bevor dieser nationale Kongress nicht vorbei ist, wollen wir erst mal damit nichts zu tun haben.
Thomas Prantl, AfD: Ich darf noch mal – –
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Das ist der eine Teil der Information. Vielleicht kann ich noch hinzufügen: Ich kenne die Situation in China relativ gut, weil ich nicht nur 1997, als die ersten H5N1-Ausbrüche in China waren; auch danach fiel – – Ich kenne das chinesische CDC dort, die Kollegen. Die haben ein nationales Überwachungssystem aufgebaut, das exemplarisch ist, das wirklich sehr gut ist. Und dass die Daten dann nicht schneller kommuniziert wurden, liegt sicherlich nicht an dem Überwachungssystem. Vielleicht ist das der Punkt, den ich da habe.
Vors. Andreas Nowak: Ich möchte bei der Gelegenheit noch mal dran erinnern, dass wir uns mit dem Freistaat Sachsen beschäftigen.
Thomas Prantl, AfD: Vielen Dank. Dennoch noch mal die Nachfrage: Inwieweit erfolgen denn dann die Einschätzungen zur Erklärung des internationalen Gesundheitsnotstands auch objektiv nach messbaren Kriterien, und welche wären das eben auch speziell für Sachsen?
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Wie gesagt, Ende Januar/Anfang Februar hat ja dann China Daten offengelegt, hat sehr gut kollaboriert. Das war ja dann auch der Grund, warum sich am 30. Januar das Advisory Committee getroffen hat und die gesagt haben: Ja, wir sehen noch nicht genug Daten, wir wissen es noch nicht und dann später, im März, den Gesundheitsnotstand dann als Pandemie bestätigt haben.
Also China hat dann schon kollaboriert. Aber noch mal: Irgendwas Besonderes für Sachsen würde ich hier erst mal nicht ableiten können; national ja, aber etwas Besonderes für Sachsen kann ich eigentlich hier nicht sehen.
Thomas Prantl, AfD: Vielen Dank. – Auf die Falldefinitionen und den PCR-Test würde ich noch mal ganz kurz eingehen, weil ein Kriterium zur Einschätzung, ob eine Pandemie oder ein Gesundheitsnotstand vorliegt, ja die Fallzahlen sind, also hiermit die Inzidenz. Diese Inzidenz war später direkt mit grundrechtseinschränkenden Maßnahmen verknüpft, beispielsweise durch den 35er Inzidenzschwellenwert. Wer als Fall zählt, das legt diese Falldefinition fest.
Können Sie kurz darstellen, wie die Falldefinition bei Covid ist bzw. wer als Fall überhaupt gilt?
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Es gibt da drei Hauptkategorien: ein Erkrankungsfall. Das ist derjenige, also da man er muss bestimmte Kriterien erfüllen. Dann gibt es einen Verdachtsfall, also jemanden, bei dem glaubt, dass er erkrankt ist, und dann gibt es jemanden, der die Krankheit überstanden hat. Das sind die drei wichtigsten Kategorien. Da werden bestimmte Maßnahmen dran gebunden. Im Verdachtsfall wird dieser höchstwahrscheinlich in die Quarantäne gehen, bei einem bestätigten Fall, der geht in die Isolation zum Anfang der Pandemie und jemand, der durch ist, der kann dann wieder ab einem bestimmten Zeitraum ganz normal entlassen werden. Dazu gibt es auch Berichte.
Aber all das gab es ja in Deutschland nicht. Es gab ja keine Falldefinitionen; also Falldefinitionen schon, aber die wichtigste Falldefinition war gewesen: positiver Nachweis oder krank. Daran hat sich alles festgemacht, denn man hat es eben nicht weiter auch für die Bekämpfungsmaßnahmen differenziert. Da war eben die Inzidenz das entscheidende Kriterium. Und noch mal: Was die WHO dort festlegt, ob die da nun keinen Verdachtsfall oder keine Definition beschreibt, das hat für die Länder keine Relevanz. Die Länder sollten sich selbst aussuchen, was für sie, für ihre Bekämpfung an Maßzahlen wichtig ist und diese dann genau für sich selbst definieren.
Thomas Prantl, AfD: Dann komme ich noch mal auf den Umstand zurück, dass das Robert Koch-Institut die Falldefinition im Zeitverlauf offensichtlich geändert hat. Können Sie erklären, warum man diese Falldefinition im Rahmen, also innerhalb ein und derselben Pandemie zwischendrin ändert?
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Also, die Details, warum man das dort gemacht hat, kann ich nicht sagen. Aber Gründe dafür könnten sein, dass eben neue Daten vorlagen. Aber in dem konkreten Fall, das zu beschreiben und die Gründe, die kenne ich jetzt nicht.
Thomas Prantl, AfD: Die Weltgesundheitsorganisation hat zum 16. Dezember 2020 die Covid-Falldefinition so geändert, dass fortan eben auch ein positiv Getesteter ohne Krankheitssymptome als Covid-Fall galt. Und bis dahin brauchte es aber immer auch die Erfüllung klinischer Kriterien –
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Ja, ja.
Thomas Prantl, AfD: – oder epidemiologischer Kriterien, also Krankheitssymptome, oder einen Kontakt zu Infizierten. Wissen Sie, warum man die Falldefinition um die rein positiv getesteten Fälle erweitert hat und ob diese Vorgabe für die Länder bindend gewesen ist?
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Die letzte Frage kann ich beantworten: ist nicht bindend für die Länder. Die da Vorhergehende gibt es eigentlich zwei Gründe: entweder aus politischen Gründen – man hat richtig Druck gemacht von vielen Ländern – oder es gab eben fachliche Gründe innerhalb der WHO, wo man das vorgeschlagen hat und die Länder haben mitgemacht. Aber was von den beiden dann nun tatsächlich der Grund war, das kann ich Ihnen nicht sagen. Da war ich also auch nicht beteiligt mehr. Ich habe die WHO 2006 verlassen.
Thomas Prantl, AfD: Okay, vielen Dank. Es ist ja mit den Testergebnissen so, dass die immer zwei Folgen haben. Die eine Folge sind die persönlichen Folgen in Form der Quarantäne beispielsweise und dann noch die Folgen für das Pandemiemanagement, also die Beeinflussung der Maßzahlen, nach denen die Maßnahmen gesteuert werden und die Risikobewertungen erfolgen, der die Zielstellung der Verringerung der Morbidität und Mortalität nicht unbedingt abbildet.
Welchen Stellenwert hat denn in diesem Zusammenhang der CT-Wert beim PCR?
Prof. Dr. Klaus Stöhr: (lacht leicht auf) Also: Jetzt sind wir wieder bei der Falldefinition. Wenn jemand in die Inzidenz hineinsoll und die Falldefinition sagt: Ein positiver PCR bedeutet, jemand ist – – der Fall wird in die Inzidenz reingezählt, dann muss man den PCR natürlich vorher kalibrieren. Jeder PCR-Test, jede PCR-Maschine muss eigentlich eigens kalibriert werden. Und PCR-Ergebnisse – selbst zwischen verschiedenen Laboren, die unterschiedliche Tests machen – sind auch nur relativ schwer vergleichbar, eins zu eins vergleichbar. Und jetzt: Weil unterschiedliche CT-Werte verwendet werden, unterschiedliche Maschinen. Also, die Vergleichbarkeit ist dort nicht eins zu eins gegeben.
Und der CT-Wert entscheidet darüber, inwieweit man falsch positive oder falsch negative Ergebnisse mit zulässt. Der hohe CT-Wert heißt also, man vermehrt das Ausgangssubstrat sehr häufig und ermöglicht dadurch eine sehr hohe Nachweiswahrscheinlichkeit, aber auch falsch positive Ergebnisse. Ein geringerer CT Wert würde bedeuten, dass man nicht so viele Positive, dass man vielleicht den einen oder anderen Positiven mit durchschlüpfen lässt; aber sehr sicher falsch Negative ausschließt.
Aber der CT-Wert – – Mir fällt es schwer, da einen Zusammenhang herzustellen, muss ich ehrlich sagen, zwischen CT-Wert und Inzidenz. Das eine ist ein Laborwert zur Genauigkeit einer Laboruntersuchung, und das andere ist eine Entscheidung, welche Laborergebnisse man mit in die Bewertung hineinnimmt.
Thomas Prantl, AfD: Es ist ja so, dass der CT-Wert im Zusammenhang mit der Teststrategie immer in der Kritik stand und hinterfragt worden ist. Inwieweit hätte man denn, wenn jetzt schon positive Fälle ohne Krankheitssymptome in der Falldefinition mit zusammengefasst werden, wenigstens den CT-Wert beispielsweise auf die in Rede stehenden 35 Zyklen begrenzen müssen, damit man eben nur relevante Positivtests dann auch tatsächlich erhält?
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Ja, ich würde vielleicht sogar noch weitergehen. Der PCR-Test ist ja kein klinischer Test, ist ja kein Test, wo dann auch eine Behandlung hinterher eigentlich indiziert wird; weil, man hat Leute, die dann positiv sind, aber sie sind symptomatisch unauffällig. Also, wenn jemand positiv ist, aber symptomatisch unauffällig, dann kann er sich entweder in der Inkubationszeit befinden – wird er morgen oder übermorgen krank, scheidet vielleicht aus oder er scheidet subklinisch aus und wird niemals krank. Also, normalerweise würde man an so einen Test immer anhängen an eine entsprechende klinische Symptomatik, und dann hat man ein Entscheidungskriterium.
Also, ob der PCR-Test wirklich der Test ist, den man verwenden sollte, um langfristig in der Pandemie die Gefahrensituation zu evaluieren, das würde ich bezweifeln.
Thomas Prantl, AfD: Also, in die Richtung hat die Frage ja auch abgezielt; weil uns nicht klar ist, ob man aus diesem Inzidenzwert – Testwellen, sage ich mal – eine mögliche oder drohende Überlastung des Gesundheitswesens wirklich zuverlässig prognostizieren kann oder ob der Inzidenzwert hierfür eher ein schlechter Vorhersagewert ist. So hat sich das gerade angehört.
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Ich glaube, ich habe das schon mehrmals gesagt: Letztendlich sind die entscheidenden Kriterien, die die Krankheitslast bewerten, die Belegung der Intensivstationen, die Anzahl der schweren Verläufe, der Druck auf die Arztpraxen. Das sind die Dinge, die Geld kosten und Leben oder umgekehrt: Leben und Geld kosten. Die Inzidenz ist nicht uninteressant und hilft bei der Bewertung, aber als alleiniges Kriterium zu verwenden, ist epidemiologisch falsch.
Thomas Prantl, AfD: Okay, danke.
Vors. Andreas Nowak: Weitere Fragen?
Thomas Prantl, AfD: Ja. Habe ich noch Zeit?
Vors. Andreas Nowak: Sie haben noch.
Thomas Prantl, AfD: Vielen Dank. – Dann würde ich noch mal auf den nationalen Pandemieplan von 2017 kurz eingehen, der ja Strategien im Pandemiemanagement ausführt. Dort steht: Der anfängliche Schwerpunkt der Eindämmung wird im Verlauf einer Pandemie auf den Schutz vulnerabler Gruppen und die Folgenminderung verlagert.
Können Sie die verschiedenen Ansätze vielleicht kurz erläutern und welche Maßnahmen bei welchem Zeitpunkt oder welcher Strategie anzusetzen gewesen wären?
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Das ist jetzt eine ganzen Vorlesung für Mikrobiologiestudenten: die Phasen der Seuchenbekämpfung. Also, die erste Phase ist eigentlich immer die Verlangsamung der Ausbreitung. Man versucht also, Zeit zu gewinnen. Bei einer Pandemie anders als bei einer Epidemie, beim Ausbruch, also wenn jemand – – wenn es dort einen Ausbruch gibt, zum Beispiel, weil das Trinkwasserwerk infiziert ist mit einem Durchfallerreger, dann wird man anders reagieren als bei einer Atemwegsreaktion.
Bei der Atemwegsreaktion versucht man zuerst, die Ausbreitung zu verlangsamen, die ersten Fälle schnell zu finden, die Erkrankten – jetzt kommen wir zur Falldefinition – in die Isolation zu schicken, die Kontaktpersonen in die Quarantäne und dann die umgebenden Personen zu testen. Also, hier geht es wirklich darum, die Ausbreitung zu verlangsamen.
Und dann sollte man gleichzeitig die Kontakte reduzieren und die Bewegung der Gesellschaft verlangsamen, um auch hier die Möglichkeiten der Ausbreitung zu reduzieren.
Die nächste Phase würde dann beginnen, wenn das Virus sich frei – – Und in dieser ersten Phase würde man auch Studien machen, um zu schauen, wer natürlich am stärksten betroffen ist usw. In der in der nächsten Phase, wenn man die Kontaktverfolgung nicht mehr richtig machen kann, weil die Personen ja schon in der Inkubationszeit Virus ausscheiden, weil nicht mehr jede Infektkette nachzuverfolgen ist, dann geht es nicht darum, jede Infektion zu verhindern, sondern dann kann man eigentlich nur noch den Schutz derjenigen, die am meisten betroffen sein werden, verstärken. Dann geht es hauptsächlich, primär darum, die Vulnerablen – das können Kinder sein bei der einen Infektion oder Erwachsene bei einer anderen und bei Corona eben die Älteren und die Vorerkrankten –, die muss man dann schützen.
Dann liegt der Schwerpunkt nicht mehr auf der Kontaktnachverfolgung, weil sich das nicht mehr lohnt. Das Virus bewegt sich schon frei in der Population. Man kann die Infektketten nicht mehr nachverfolgen. Es ist vergeudete Zeit und vergeudete Ressourcen.
Und in der dritten Phase – je nachdem, welche Infektionskrankheit das ist –, in der dritten Phase zirkuliert das Virus dann frei in der Population. Viele Menschen haben dann schon eine Immunität, und man nähert sich dann der Epidemie, wo man dann
sukzessive Maßnahmen wieder zurückfährt, die Teststrategie zurückfährt. Die meisten Menschen haben dann Antikörper, sind geschützt – die meisten – vor schweren Verläufen und nur die Kinder kommen dann immer wieder neu in die Pandemie.
Es ist ja so: Jedes Jahr werden hundert Millionen Kinder geboren. Die sind dann immer nach der Geburt immer wieder für sich in der Pandemie, bis sie dann durchgelaufen sind, die Atemwegserreger mal erlebt haben und dann erwachsen sind, und dann einige Infektionen schon mitgemacht haben.
Thomas Prantl, AfD: Und die Abfolge dieser Phasen und Strategien: Muss man sich das jetzt als hintereinander abgeschlossene Einheiten vorstellen, oder? Also, wir haben ja Detection and Containment, die Phase Protection, Medication and Recovery. Sind das jetzt Phasen, die nacheinander, scharf voneinander abgegrenzt erfolgen? Oder fließt das her?
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Nein, man kann die nicht so scharf voneinander abgrenzen; es sei denn, man hat eine exzellente, ausgezeichnete Seuchenüberwachung, Daten auf allen möglichen Ebenen. Und dann kann man sofort sagen: Bei wem zirkuliert das Virus? Gibt es Veränderungen in der Altersgruppe? Wie hoch ist die Infektionsprävalenz? Ist die Herdenimmunität schon erreicht? Also, alle diese Daten liegen in der Regel in der Präzision nicht vor.
Man wird hier sicherlich ein bisschen vorhalten, man wird die Quarantäne und die Isolierung ein bisschen länger auslaufen lassen. Man wird ein bisschen eher schon beginnen mit dem Schutz der Alten und Vulnerablen. Dann wird man auslaufen lassen die Kontaktnachverfolgung und die Quarantäne und dann den Schutz der Alten priorisieren. Dann wird man sicherlich sehen, dass die Kinder und Jugendlichen dann schon einen höheren Durchseuchungsgrad haben, oder wie stark die betroffen sind. Also, das sind drei Phasen, die sicherlich überlappend, dann überlappend ablaufen.
Thomas Prantl, AfD: Können wir jetzt in Bezug auf SARS-CoV-2 diese drei Phasen, also Detection, Containment, Protection, Medication, können Sie das im Verlauf der Jahre noch mal kurz abbilden, wann wir uns in welcher Phase bewegt haben?
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Ja, das kommt drauf an, was sie jetzt fahren. Also, was die tatsächliche epidemiologische Situation betrifft: Die unterscheidet sich vollständig von den Phasen, die die Bekämpfung hatte.
Ich hatte ja bereits vorhin schon gesagt: Man hatte in Deutschland im Mai 2022 die Kontaktnachverfolgung abgebrochen, nachdem in einigen Kreisen und auch Bundesländern man schon damit relativ lax umgegangen ist und nicht mehr das so durchgezogen hat.
In anderen Ländern hat man schon nach sechs Monaten das beendet oder nach drei Monaten. Also, die Phase, wo man von der Containment hätte überschalten müssen in die Medication, das wäre eigentlich in Deutschland schon im Herbst 2020 gewesen; aber man hat das durchgezogen bis, ja, Mai 2022. Und der Schutz der Alten, den hat man relativ früh schon etabliert, aber die Art und Weise, wie man es gemacht hat – da muss man jetzt natürlich aus Retrospektive sagen, da haben wir alle dazugelernt –, da gab es ja keine Rezepte. Aber andere Länder haben da relativ schnell auch reagiert und diese überzogene Isolation auch frühzeitig, frühzeitiger beendet.
Vors. Andreas Nowak: So, die Redezeit ist jetzt abgelaufen. Das heißt, als Nächste wäre die Fraktion BSW dran; Frau Abg. Biebrach.
Ines Biebrach, BSW: Hallo, Herr Stöhr, danke, dass Sie hier sind. Ich möchte noch mal – es ist bisher schon viel gefragt und beantwortet worden – auf die Frage der Datenlage zurückkommen.
Im Bericht aus dem Corona-Sachverständigenrat aus Juli 2020 heißt es: „Ferner fehlt eine ausreichende und stringente begleitende Datenerhebung, die notwendig gewesen wäre, um die Evaluierung einzelner Maßnahmen oder Maßnahmenpakete zu ermöglichen.“
Ich gehe davon aus, dass es so ist, aber ich frage Sie trotzdem: Teilen Sie diese Auffassung, und hat sich das dann in der Folgezeit noch mal verändert oder ist es so geblieben? Weil: Die Pandemiemaßnahmen waren ja auch nach 2022 noch da.
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Ja, ich glaube, die Datenbasis war insgesamt, den gesamten Zeitraum suboptimal bestenfalls. Es gibt jetzt Studien, zum Beispiel aus Norwegen, wo man gezeigt hat, welche Wirkung Masken hatten in der allgemeinen Bevölkerung auf die Infektionshäufigkeit. Und da hat man zeigen können, dass das Tragen von medizinischen Masken bei denjenigen, also die, die sie getragen haben, da sind 8,2 %, haben sich infiziert; also von hundert acht ungefähr, die sich dann trotzdem infiziert haben. Und von denen, die keine Maske getragen haben, waren das 12,4 %, glaube ich, oder 12,2 %. Das heißt also: Masten tragen hilft, wenn man sich die Zahlen anschaut. Aber der Abstand zwischen den Leuten, die Masken getragen haben und die keine getragen haben, ist relativ gering.
Das sind ja Daten, die nicht unerheblich gewesen wären oder zu berücksichtigen wären während Pandemie. Es gab ja auch genügend Daten zur Wirksamkeit von FFP2- Masken oder zur Unwirksamkeit für die Bevölkerung.
Die Datenlage war an sich, besonders, was die Wirksamkeit von Maßnahmen betrifft, schlecht. Einzelhandelsgeschäfte haben geschlossen; 2G und 3G. Die einzigen Daten, die ich habe zu 2G und 3G, die stammen aus dem Zeitraum, wo in Schleswig-Holstein kein 2G und 3G war, und in Niedersachsen gab es das – oder umgekehrt, ich weiß es nicht mehr genau. In einem der beiden Länder gab es kein 2G und 3G. Die Zahlen, die ich habe, sind die, dass im Einzelhandel 30 % weniger Umsatz war. Und in dem einen Land, wo es kein 2G gab, waren die Inzidenzen niedriger.
Aber valide Daten, die besagen, das hat soundso viel beigetragen zur Eindämmung des Infektionsgeschehens, die liegen zu diesem Thema nicht vor; und auch zu vielen anderen Themen. Das hätte natürlich geholfen, zum Beispiel auch die Bevölkerung mitzunehmen bei bestimmten Dingen, wo man sagt: „Guck mal, das hilft, das funktioniert“; und das war eben nicht nur zum Anfang der Pandemie, sondern bis weit über das Datum hinaus, das Sie genannt haben, waren eben viele Daten, lagen eben nicht vor. Und auch als wir den Sachverständigenbericht geschrieben hatten, hat sich danach nicht viel geändert.
Wenn jetzt bei der Aufarbeitung dazu keine Analyse erfolgt, dann wird man bei der nächsten Pandemie höchstwahrscheinlich wieder im Dunkeln stochern.
Ines Biebrach, BSW: Daran vielleicht gleich anschließend: Sie hatten es vorhin schon mal gesagt, Sie haben das auch in Ihrem Podcast erwähnt. Erstens sollten Maßnahmen oder überhaupt medizinische Beurteilungen oder andere Beurteilungen evidenzbasiert sein und zum Zweiten – das haben Sie in einer Frage vorhin schon mal angerissen – haben Sie diesen Dreiklang aufgemacht, also Kosten, Nutzen, Schaden oder Kosten.
Wenn Sie jetzt die Maßnahmen sehen im Rahmen der Coronapandemie: Wie schätzen Sie das in diesem Zusammenhang ein? Waren zum Beispiel Lockdowns, Schulschließungen, Testungen und Maskenpflicht – ich weiß, Sie müssen sich zum Teil wiederholen –, aber waren die evidenzbasiert aus Ihrer Sicht und sind sie nach diesem Dreiklang Nutzen, Schaden, Kosten bewertet worden?
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Also, mir liegen keine Daten vor zu Nutzen-Kosten-Berechnungen von systematischen Nutzen-Kosten-Berechnungen der Maßnahmen.
Was bekannt ist, ist die Übersterblichkeit zwischen Ländern. Es ist bekannt, dass in Deutschland der Nachtragshaushalt während den Pandemiejahren über 500 Milliarden Euro betrug; Gesamtausgaben für Gesundheit pro Jahr in Deutschland ungefähr 300 Milliarden. Da ist aber alles drin: Krebs und Universitäten und öffentliche, private Krankenkassen – alles in 300 Milliarden. Hier hat man innerhalb dieses Zeitraums eben 500 Milliarden ausgegeben. Dann wäre es nicht unwichtig gewesen, dass man hierzu auch eine Nutzen-Kosten-Analyse macht. Aber andere Länder mit weniger Intensivmaßnahmen schneiden besser ab bei der Übersterblichkeit. Hier war es so teuer; kann man ja mal schauen, ob sich da – –
Ich gebe Ihnen noch mal ein Beispiel, vielleicht Nutzen-Kosten. Man hat im Sommer 2021 in Hessen immer noch – im Sommer! – alle Kinder getestet, die zur Schule gehen wollten. Bevor die in die Schule gehen wollten, mussten sie einen Test machen: waren alle asymptomatisch. Und wenn man den Preis der Tests damals als Grundlage nimmt, wurden ungefähr 175 000, 180 000 Euro ausgegeben, um ein Test positives, klinisch unauffälliges Kind zu finden.
Im letzten Jahr wurden immer noch 500 Millionen Euro ausgegeben, um die Masken zu vernichten; in dem Jahr davor 450 Millionen Euro. Das sind alles Zahlen, die jetzt bei der Kosten-Nutzen-Analyse sicherlich eine Rolle spielen, aber dann muss man auch den Nutzen danebenstellen und nicht nur die Kosten.
Vors. Andreas Nowak: Auch hier möchte ich noch mal dran erinnern: Wir untersuchen die Maßnahmen der Sächsischen Staatsregierung und nicht der Hessischen Landesregierung.
Ines Biebrach, BSW: Ich habe mal noch eine Frage zu der Datenerhebung. Wir haben jetzt festgestellt, das ist jetzt nicht so passiert, wie es hätte sein sollen oder wie das hätte sein können. Jetzt bezogen auf das Bundesland – und in dem Falle Sachsen, aber ein exemplarisches Bundesland für 16 –: Wäre es denn möglich gewesen, dass die Bundesländer eigenständig entsprechende Konzepte zur Datenerhebung hätten erstellen und auch Folgenforschung betreiben können? War das aus Ihrer Sicht für die einzelnen Bundesländer leistbar oder umsetzbar?
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Ich würde die erste Frage beantworten mit Ja, dringend und absolut notwendig. Wer solche Maßnahmen umsetzt – und dafür sind ja die Bundesländer verantwortlich –, der ist dafür auch verantwortlich zu evaluieren, wie gut die Maßnahmen sind. Das ist zwingend eigentlich notwendig.
Ob man das stemmen kann auf Länderebene, das kann ich nicht einschätzen. Ich würde es eher bezweifeln. Ich würde es eher als vernünftig halten, ein nationales Konzept zu erarbeiten. Das können sich ja kleine Länder schon manchmal nicht leisten: Luxemburg, Belgien – gut das – – Aber das sind ja – – Da wäre eine Koordinierung sicherlich gut gewesen auf Bundesebene, dass man da vielleicht versucht hätte, dort ein nationales Forschungskonzept zu etablieren.
Ines Biebrach, BSW: Um das vielleicht zu ergänzen: Mir geht es jetzt um die Frage oder ich stelle noch eine andere Frage vorweg: Aus Ihrer Sicht war den politisch handelnden Akteuren in den Bundesländern, also ich nehme jetzt mal in die
Ministerpräsidentenkonferenz und die einzelnen Ministerpräsidenten, dann auch den sächsischen, diese fehlende Datenbasis aus Ihrer Sicht bekannt oder bewusst oder hat man denen das gesagt? War es für die nachvollziehbar, da fehlt jetzt was?
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Also, wenn jetzt die Antwort darauf Ja wäre, dann würde man postulieren, dass die Ministerpräsidenten gegen besseres Wissen agiert haben. Das würde ich erst mal jetzt rein persönlich, ohne Daten dazu zu haben, nicht annehmen.
Ich würde eher glauben, dass wir wieder auf diesen strukturierten Prozess der Wissensbeschaffung zurückkommen. Herr Kretschmer hat mich mal oder in einer Runde hat er gesagt: Ja, warum waren denn die Leute, die damals anderer Meinung waren, warum haben die nicht lauter gesprochen? Warum konnten die sich nicht mehr bemerkbar machen?
Die Fachexperten haben nicht die Aufgabe, sich zu – ja, wie soll ich es sagen? – bemerkbar zu machen. Die Politik hat eine Holepflicht, nicht die Wissenschaft eine Bringepflicht hier. Da muss man die Strukturen schaffen. Wir haben natürlich unser Bestes getan, auch Publikationen, Interviews, was man so alles machen kann. Aber letztendlich ist es die Aufgabe der Politik, sich das Wissen einzuholen.
Und wenn man sich einen nur holt, dann gibt es nur eine Meinung. Wenn man sich zwei holt, dann kann es unter Umständen mehrere Meinungen geben. Das ist auch gefährlich. Aber wenn man einen richtigen Prozess da hat und die Daten, Vorteile, Nachteile, verschiedene Optionen auf dem Tisch hat, dann kann man auch solide entscheiden.
Man wird immer noch Fehler machen – das ist ganz klar –, aber eine solide Datenbasis braucht man schon. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das auf der Grundlage dessen, was ich weiß, wie man sich die Informationen eingeholt hat, in allen Bundesländern gut gelaufen ist.
Ines Biebrach, BSW: Noch eine Frage zum RKI, weil das, was das RKI rausgegeben hat an Informationen, bis auf die Bundesländer durchgeschlagen hat. Das war ja die zentrale Informationsstelle – zumindest habe ich das so wahrgenommen. Wie schätzen Sie die Rolle und die Tätigkeit des RKI im Rahmen der Pandemiebekämpfung und der Datenerhebung und Informationsweitergabe an die politischen Entscheidungsträger ein?
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Da gibt es zwei Phasen: In der ersten Phase war für mich erkennbar, dass das RKI und die politischen Entscheidungen nicht voneinander zu trennen waren, also dass von der Leitung des RKI – das war ja das, was sichtbar gewesen ist – und die Ankündigungen, Empfehlungen, Festlegungen der Politik, dass es da keinen Unterschied gab. Da kann man das interpretieren als Gefolgschaft des RKI hinter der Politik oder als einheitliche Meinung.
Wenn man jetzt aber dazunimmt – und das ist das Zweite – die RKI-Protokolle, dann ist doch deutlich zu sehen, dass das Fachwissen auch im RKI vorhanden war und dass – – Was für mich unverständlich ist, dass man vom RKI aus – von der Leitung natürlich dann aus – nicht stärker die fachwissenschaftliche Position auch in die Diskussion eingebracht hat, die Dinge, die ich genannt hatte aus der immunologischen, epidemiologischen, vakzinologischen Sicht, die auch schon vorher bekannt waren: zum Impfstoff, zu den Kindern, zu den Masken. Da hätte man schon vorher mal ein breites Kreuz machen müssen.
Natürlich ist das RKI eine weisungsabhängige Institution unter der Ägide des Bundesgesundheitsministeriums. Zu den Gründen will ich mich nicht auslassen. Aber das RKI hat offensichtlich – aus meiner Perspektive – hier nicht die Rolle des wissenschaftlichen Informationslieferanten nur gespielt, sondern hat sich unter Umständen – – hat auch hier offensichtlich sich politisch vereinnahmen lassen.
Ines Biebrach, BSW: Vielleicht ganz kurz zur Kommunikation, weil das auch eine Rolle gespielt hat. Sie haben vorhin selbst gesagt, es geht auch um die Akzeptanz: Was haben die politischen Akteure gemacht? Was haben die Wissenschaftler von sich gegeben ?
Wie schätzen Sie aus Ihrer Sicht, also im Sinne der Pandemiebekämpfung, diese Risikokommunikation ein und die Kommunikation dieser Coronamaßnahmen? Wie würden Sie das zusammenfassen? Und wenn es sich geändert hat während der Zeit der Pandemie, dann: Vielleicht sagen Sie dazu auch etwas.
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Also, die Empfehlungen an Länder während der Krisenkommunikation ist sicherlich immer, ein starkes Sprachrohr aufzubauen für die Regierung, für die handelnden Organisationen. Die sollte möglichst natürlich von einem Fachkompetenten gemacht werden, der das Vertrauen der Regierung und das Vertrauen dann über die Zeit auch der Bevölkerung genießt und das Sprachrohr werden für die Dinge, die die Regierung, die die Wissenschaft, die die agierenden Personen wissen, die sie nicht wissen und die sie tun wollen.
So ein Sprachrohr hat es nicht gegeben in Deutschland aus meinem Blickwinkel – für Sachsen kann ich das nicht beurteilen –, aber hat es nicht gegeben. Es hat eine Kakofonie gegeben von verschiedenen Experten. Und da darf man immer nicht vergessen: Auch ich als Einzelexperte habe natürlich, stehe auf der Leiter der Evidenzganz unten. Ganz oben stehen die Fachgesellschaften für die medizinischen, wissenschaftlich agierenden Fachgesellschaften, die da auch entsprechende Leitlinien entwickeln.
Und einige Politiker haben sich ja dann aufgeschwungen zu den Trägern des wissenschaftlichen Konsens und auch einige von den Experten oder Coronaexperten haben den wissenschaftlichen Konsens in ihrem eigenen Gravitationszentrum verortet. Und Politiker haben auch – da muss ich den Herrn Lauterbach hier leider erwähnen – während ihrer Kommunikation dann auch diese Konsens generierenden Einrichtungen in Deutschland diffamiert. Die Deutsche Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie – die habe ich schon mehrmals erwähnt – ist die Facheinrichtung, die S1-, S2- und S3- Leitlinien mitentwickelt. Das ist die KRINKO, ist ähnlich wie die STIKO, eine Kommission. Und da haben Politiker sich hingesetzt in Talkshows und haben gesagt: Mit diesen Provinzhygienikern braucht man sich zu beschäftigen, die haben keinen Einfluss auf die Pandemieentscheidungen. Also, die Kommunikation war bestenfalls suboptimal.
Vors. Andreas Nowak: Ich weise jetzt nochmals darauf hin, dass wir nicht die Arbeit der Bundesregierung untersuchen, sondern die des Freistaates. Wenn Sie also Kritik am Freistaat Sachsen haben, den bitte konkret benennen und an die Fragestellerin die Bitte, entsprechend am Untersuchungsgegenstand zu bleiben. – Bitte schön.
Ines Biebrach, BSW: Auch wieder Bezug zu Sachsen; das hoffe ich jedenfalls. Also, alles, was aus meiner Sicht – wir können das auch noch mal diskutieren – mit der Ministerpräsidentenkonferenz zu tun hat und den Informationslagen, die die hatten, hat am Ende auch einen Sachsenbezug, weil der Herr Kretschmer dort mitgewirkt hat und auch Sachen für Sachsen mitgebracht hat, sage ich mal.
Deswegen würde ich die Frage gerne stellen – rügen Sie mich gerne, wenn es aus Ihrer Sicht nicht in Ordnung ist: Im Rahmen der Pandemiebekämpfung war es zumindest eine Zeitlang so, dass die Ministerpräsidentenkonferenz das mehr oder weniger alleine entschieden hat.
Wissen Sie, woher die Ministerpräsidentenkonferenz inklusive Herrn Kretschmer ihre Informationen bezogen hat, wie gut die mit dem Coronaexpertenrat zusammengearbeitet hat oder wie diese Entscheidungsfindung dort stattgefunden hat aus Pandemiebekämpfungssicht? Können Sie dazu etwas sagen?
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Also, aus Sachsen-Perspektive nicht. Ich war einmal eingeladen, und da hatte man mir fünf Minuten gegeben zum Besprechen. Und da habe ich gesagt: „Da komm ich nicht!“ Warum soll ich da fünf Minuten was erzählen. Wenn Sie Expertenmeinungen brauchen, dann lassen Sie sich die von einem Expertengremium erarbeiten
Aber woher Herr Kretschmer sich – – In Nordrhein-Westfalen – da kann ich Ihnen sagen, wie das gemacht wurde; Herr Streeck hat Ihnen das sicherlich schon erzählt – gab es halt ein Advisory Committee, also ein Beratungskomitee. Wie das hier in Sachsen gelaufen, kann ich nicht sagen.
Ines Biebrach, BSW: Mhm.
Vors. Andreas Nowak: Weitere Fragen, Frau Kollegin?
Ines Biebrach, BSW: Für den Moment erst mal nicht; danke schön. Vors. Andreas Nowak: Gut. Dann ginge die Fragerunde jetzt an die SPD. Sophie Koch, SPD:Keine weiteren Fragen.
Vors. Andreas Nowak: BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN?
Valentin Lippmann, BÜNDNISGRÜNE: Herr Vorsitzender, zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine weiteren Fragen an den Sachverständigen.
Vors. Andreas Nowak: Und die Linken? – Auch nicht.
Dann beginnt das Fragerecht von vorn. Ich habe auch keine Fragen. Herr Vize Wendt? – Bitte schön.
Stellv. Vors. André Wendt: Vielen Dank, Herr Vorsitzender. – Ich habe noch mal eine Frage, und zwar es geht noch mal um – – Jetzt hoffe ich, ich finde es, weil ich schon wieder mitgeschrieben habe; wenn nicht, stelle ich sie später.
Und zwar geht es noch mal um die WHO und da insbesondere um die Empfehlungen, die die WHO herausgegeben hat. Da haben Sie gesagt, dass die Länder nicht an diese Empfehlungen gebunden waren. Wissen Sie, ob das RKI sich an diesen Empfehlungen ein Stück weit orientiert hat?
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Nein. Ich war ja nicht Teil der Beratungen. Ich kann nur schlussfolgern aus den RKI-Protokollen, die ich gelesen habe, dass man das sehr aufmerksam studiert hat. Man darf nicht vergessen: Die Fachkompetenz der WHO ist sehr hoch. Dort sind schon die besten Leute, vor allen Dingen in den besten Gremien Mitglieder aus den vielen Ländern; die sind schon die Besten, die in den Gremien sitzen. Da schaut man schon auch von fachlicher Seite genau hin.
Aus meinem Kontakt mit Kollegen vom RKI weiß ich auch, dass sie sich anschauen. Aber inwieweit es dann berücksichtigt wurde bei den einzelnen Entscheidungen, das kann ich nicht sagen.
Vors. Andreas Nowak: Vielen Dank. Dann ist das Fragerecht jetzt bei der CDU. – Kein Bedarf. Die AfD-Fraktion? – Dann Frau Kollegin Dietz.
Katja Dietz, AfD: Vielen Dank. – Herr Prof. Stöhr, Sie haben ganz viel über Datenerfassung, Evaluierung gesprochen. Mich würde mal dazu noch interessieren: Es gibt ja viele Daten. Wie schätzen Sie das ein? Ist es überhaupt noch möglich, jetzt nach dieser langen Zeit überhaupt eine wirklich gute Evaluierung hinzubekommen? Weil ich will mal sagen: Wir haben ja diesen Corona-Untersuchungsausschuss. Es gibt noch eine Enquete-Kommission. Es soll ja auch um den zukünftigen Umgang mit Pandemien gehen. Da muss man ja erst mal, also meines Erachtens nach eine Evaluierung vorantreiben oder auch stattfinden lassen. Ist das überhaupt Ihrer Ansicht nach noch möglich?
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Es wäre besser gewesen, wenn man von Anfang an die Maßnahmen während der Zeit, wo sie implementiert wurden, beurteilt hätte. Desto mehr Zeit vergeht, desto weniger valide werden die Untersuchungen sein. Aber ich glaube, egal, wie viel Zeit vergeht: Man sollte da so schnell wie möglich mit beginnen. Ansonsten wird die – – bei der nächsten Pandemie werden das höchstwahrscheinlich andere Leute sein. Wenn das jetzt noch mal 20 Jahre dauert, wird keiner mehr von Ihnen vielleicht – ich auf keinen Fall – in irgendeiner entscheidenden Position sitzen. Und dann fangen die Leute wieder an, von vorne zu lernen.
Katja Dietz, AfD: Ja, danke. Noch mal zu einer anderen Thematik. Frau Biebrach hatte das vorhin schon mal angesprochen. Aber ich würde noch mal ganz kurz auf was zurückkommen. Schwierigkeiten bestanden nicht nur bei der Datenlage, sondern auch bei der Auswahl der wissenschaftlichen Berater.
Dazu habe ich eine Aussage von Ihnen in einem Fernsehinterview mal gesehen.
Ich würde Sie gern mal zitieren: Die Politik in Deutschland hat versucht, sich eine unheilvolle, für mich Allianz zu schmieden und zwischen bestimmten Wissenschaftlern, zum Teil ist ja ein Großteil der Presse mit dazugekommen und hat dann sein eigenes Süppchen gekocht. Ich kann Ihnen ein Beispiel geben: Herr Kretschmer, Ministerpräsident von Sachsen, war an einer Konferenz mit beteiligt und hat dann gesagt: Ja, wie kam denn das, dass sich die abweichende Meinung nicht stärker geäußert haben. Aber warum haben diese Leute sich nicht mehr getraut? Die hätten doch mal ein bissel den Mund aufmachen können. Und da ist mir der Kragen geplatzt, und ich bin aufgestanden und gesagt: Sie, Herr Kretschmer, haben die Verantwortung, sich in einem strukturierten Prozess der Wissenschaftsbeschaffung das Wissen zu beschaffen – –
Vors. Andreas Nowak: Frau Dietz, die Frage bitte! Das hatten wir jetzt alles schon hier vorgetragen.
Katja Dietz, AfD: Jawohl, okay. – Wann, wenn ich Sie dazu fragen darf, und in welchem Zusammenhang fand denn diese Begegnung mit Herrn Kretschmer statt?
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Oh Gott, das Datum kann ich nicht nennen. Das war so ein Thinktank R 21 in Berlin. Das muss – da muss ich nachschauen –, das war 2024, irgendwann im Sommer, glaube ich.
Katja Dietz, AfD: Okay.
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Aber ich kann gern nachschauen noch mal und dann kann ich Ihnen das sagen.
Vors. Andreas Nowak: Auch hier bitte wieder an den Untersuchungsgegenstand denken!
Katja Dietz, AfD: Okay.
(Zuruf von der AfD: Das ist er doch! Herr Kretschmer wurde doch erwähnt!) Also, meines Erachtens geht es hier schon um Sachsen.
(Valentin Lippmann, BÜNDNISGRÜNE, meldet sich)
Vors. Andreas Nowak: Herr Lippmann, meldet sich.
Valentin Lippmann, BÜNDNISGRÜNE: Herr Vorsitzender, ich würde darum bitten, dass Sie die Fragesteller mal darüber informieren, was der Unterschied zwischen einem Sachverständigen und einem Zeugen ist. Das sind Fragen, die meines Erachtens Herrn Prof. Stöhr in eine Zeugeneigenschaft versetzen würden, weil er hier über Wahrnehmungen und persönliche Tätigkeit berichtet und nicht über seine Sachkenntnis.
Vors. Andreas Nowak: Die Problemlage hatten wir heute bei Herrn Streeck ja auch schon. Ich weise noch mal darauf hin: Fragen Sie den Sachverständigen bitte zu sachverständigen Fragestellungen, nicht zu einzelnen Abläufen.
Wenn Sie weitere Fragen haben, Sie haben das Wort.
Katja Dietz, AfD: Was mich bloß noch interessiert – ganz kurz dazu –: Gibt es Aufzeichnungen oder Protokolle damals über dieses Treffen?
(Valentin Lippmann, BÜNDNISGRÜNE: Das ist doch genau das! – (Zuruf Susan Leithoff, CDU)
Vors. Andreas Nowak: Frau Dietz, das ist erneut eine Frage, die sich an einen Zeugen richtet und nicht an den Sachverstand des Sachverständigen. Das muss ich jetzt rügen.
Herr Kollege Prantl, bitte.
Thomas Prantl, AfD: Vielen Dank. – Herr Professor, ich komme noch mal auf den nationalen Pandemieplan von 2017 zurück. Die Maßnahmen, die sich ja an Einzelpersonen richteten, wie Quarantäne oder Kontaktnachverfolgung, sind ja mit zunehmender Fallzahl – so habe ich das verstanden – nicht mehr notwendig oder zielführend. Ist das so richtig? Trifft das zu?
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Ja, das trifft zu.
Thomas Prantl, AfD: Okay. Hätte man dann folglich nicht die Kontaktverfolgung ab Herbst 2020, ebenso wie die Quarantäne-Maßnahmen, sich komplett sparen können?
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Ich hatte vorhin schon gesagt: Das ist sicherlich ein Prozess, den man über einen bestimmten Zeitraum zurückfahren sollte, weil man sicherlich nicht an einem Tag – – das so, an einer bestimmten Maßzahl festmachen kann. Aber es wäre der richtige Zeitraum gewesen, als das Virus sich frei in der Population bereits bewegt hat, zirkuliert hat, wo im Prinzip die Infektketten nicht mehr nachvollziehbar sind.
Es wäre natürlich von Anfang an richtig gewesen, wenn man eine kleine Studie aufgesetzt und gesagt hätte: Ab welchem Zeitpunkt wollen wir denn die Kontaktnachverfolgung und die Quarantäne abbrechen? Das wäre eine Frage an das Expertenkomitee gewesen zu sagen: Welche Daten brauchen wir, um dann evidenzbasiert die Kontaktnachverfolgung, Quarantäne, Isolation zu beenden? Die Frage wurde nicht gestellt. Die Daten lagen nicht vor. Deswegen: Höchstwahrscheinlich wurde das bis zum, ja, bis 2022 aus meinem Blickfeld komplett unsinnig dann weitergeführt; vor allen Dingen, nachdem die Omikronvariante auftritt, selbst als die Delta-Variante schon da war, hätte man das schon längst beenden müssen.
Thomas Prantl, AfD: Vielen Dank. Auch in dem Zusammenhang noch mal ein Abgleich Lockdown/Containment. Der Lockdown ist ja vor allem eine Maßnahme in der Containment-Phase. Der Sachverständigenausschuss nach § 5 Abs. 9 Infektionsschutzgesetz, dem es ja auch angehörten, meinte dazu – Zitat –:
„Wenn erst wenige Menschen infiziert sind, wirken Lockdown-Maßnahmen deutlich stärker. Je länger ein Lockdown dauert und je weniger Menschen bereit sind, die Maßnahme mitzutragen, desto geringer ist der Effekt und umso schwerer wiegen die nichtintendierten Folgen. Die Wirksamkeit eines Lockdowns ist also in der frühen Phase des Containments am effektivsten, verliert aber den Effekt wiederum schnell.“
Bedeutet das jetzt im Umkehrschluss, dass ein Lockdown in einer späteren Phase, also in der Phase des Containments, nicht indiziert ist?
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Die kurze Antwort hier wäre: Ja. Als Hintergrund, glaube ich, ist es immer wieder wichtig zu sagen, dass der Begriff „Lockdown“ eigentlich in der Pandemiebekämpfung nicht existiert. Warum? – Weil er sehr schwammig ist. Ein Lockdown kann natürlich bedeuten, dass man Ausgangssperren verhängt, dass man die Schulen schließt, dass alle Homearbeit, zu Hause arbeiten, dass alle Veranstaltungen abgesagt sind.
Ein Lockdown könnte aber auch sein, dass man wenig drastischere Maßnahmen umsetzt. In den Pandemieplänen, die vor der Pandemie vorlagen, sind einzelne Maßnahmen, die auch zu dem Lockdown dazugehören, auch aufgelistet worden; aber in der Intensität, in der Dauer und in dem Umfang als nicht zielführend beschrieben worden; weil eben die Kollateralschäden so signifikant sind.
Aber prinzipiell: zum Anfang der Pandemie stärkere Maßnahmen, weil man mit dem Containment – Quarantäne, Isolation, Absagen von Veranstaltungen – die Ausbreitung des Virus noch verlangsamen kann. Wenn das nicht mehr geht, dann sind die Maßnahmen auch nicht mehr zielführend und auch nicht mehr – weil sie eben nicht mehr wirksam sind und sind auch nicht mehr verhältnismäßig.
Thomas Prantl, AfD: Also würden Sie sagen, dass das für alle Maßnahmen zutrifft oder gibt es da Ausnahmen? Denn der dritte Lockdown, der erstreckte sich ja vom 22.11.2021 bis zum 14. Januar 2022, also schon weit nach der Containment-Phase.
Können Sie Maßnahmen nennen, die in dieser Phase trotzdem noch irgendeinen Sinn ergeben haben und wo Kosten, Nutzen, Schäden einigermaßen darstellbar. wären, oder ist das überhaupt gar nicht der Fall?
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Das ist pauschal sehr schwer; denn letztendlich haben alle Maßnahmen einen Effekt. Wenn man sie richtig dosiert, dann sind sie, was die Kollateralschäden betrifft, auch akzeptabel. Zum Beispiel in der Zeit war es sicherlich richtig zu sagen, in öffentlichen – – Oder war es sicherlich richtig zu sagen, dass man Veranstaltungen mit einer bestimmten Personenzahl nur noch zulässt, war es auch richtig sicherlich zu sagen, medizinische Masken aufzusetzen in öffentlichen Verkehrsmitteln und bei Veranstaltungen, war es sicherlich richtig, auch für Homeoffice zu werben, war es sicherlich auch richtig, beim Zutritt in Krankenhäusern, Pflegestationen, in Altenheimen eine Testpflicht umzusetzen.
Aber unsinnig waren von Anfang an meines Erachtens Ausgangssperren, auch Grenzschließungen, auch Testungen auf Flughäfen, um zu verhindern, dass eine Variante eingeschleppt wird. Das sind alles Dinge, die waren komplett wirkungslos oder hatten nur eine unbedeutende Wirkung gehabt.
Aber das müsste man sich für die einzelnen Maßnahmen genau anschauen und sagen: Diese Maßnahme war an sich unsinnig. Diese Maßnahme hatte einen Effekt. Aber unter den Bedingungen hätte man sie nicht so lange und nicht so intensiv umsetzen müssen. Aber insgesamt das starke Rückführen der gesellschaftlichen Tätigkeit hatte insgesamt vielfach größere Kollateralschäden als der Nutzen war.
Thomas Prantl, AfD: Dann hätte ich noch mal eine kurze Frage zum Thema Übersterblichkeit, weil es ja anhand des schwedischen Vergleichs um diese Maßzahl geht. Die Übersterblichkeit war hierzulande auch immer so ein relativ starkes, ich sage mal: Totschlagargument, warum der schwedische Weg nicht funktionieren würde, also dass wenige Einschränkungen zu mehr Todesfällen führen würden.
Wir hatten das heute schon mal angerissen. Aber können Sie das noch mal vertiefen, wie verlässlich diese Angaben zur Übersterblichkeit oder wie störanfällig und sogar auch beeinflussbar dieser Wert ist?
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Also, die Übersterblichkeitsparameter helfen nicht, wenn man sie auf einen bestimmten Tag oder einen bestimmten kurzen Zeitraum verwendet. Letztendlich misst man die Wirksamkeit der Pandemiemaßnahmen am Ende der Pandemie, indem man sich anschaut, wie viel sind während der Pandemiezeit, wie viele Menschen sind dann mehr gestorben, als man erwartet hätte, wie viele Menschen sterben würden.
Während des Anfangs der Pandemie sind in Schweden viel mehr Menschen gestorben als in anderen Ländern. Dann gab es eine Untersterblichkeit.
Thomas Prantl, AfD: Die Kritiker der mRNA-Impfstoffe, die führen in diesem Zusammenhang auch zwei Argumente ins Feld, nämlich dass die Impfungen – –
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Könnten Sie ein bissel lauter sprechen, bitte?
Thomas Prantl, AfD: Ja. Es geht noch mal um die Berechnungen der Übersterblichkeit in Deutschland und Schweden aus Sicht der WHO. Die sagt: Die Übersterblichkeit betrüge demnach für die beiden Pandemiejahre 2020 und 2021 im Mittel 73 pro hunderttausend Einwohner, in Schweden 66. Die Kritiker der mRNA-Impfstoffe führen in diesem Zusammenhang immer zwei Argumente ins Feld, nämlich dass die Impfung nicht wirkt, also dass Menschen deshalb sterben, oder dass die Impfung sogar das Immunsystem in einer Weise beeinträchtigt haben könnte, dass dies schlechter mit einer Infektion umgehen kann und daher die Übersterblichkeit zustande kommt. Als zweites Argument wurde genannt, dass es sich bei den Todesfällen eben direkt um die Folgen von Impfnebenwirkungen Verstorbener handelt. Können Sie ausschließen, dass die beiden Behauptungen unzutreffend sind, oder ist da was dran?
(Valentin Lippmann, BÜNDNISGRÜNE: „Ausschließen“ und „unzutreffend“!) – So kann man eine Frage stellen!
(Susan Leithoff, CDU: Das ist doppelte Verneinung!)
– Und?
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Kann ich es ausschließen? Also, die Datenlage würde dagegensprechen. Tatsächlich gibt es einen zeitlichen Zusammenhang zwischen der Zunahme der Impfung und der Zunahme der Anzahl der Todesfälle in der Gesamtbevölkerung.
Aber hier darf man nicht aus dem Auge verlieren, dass in vielen Ländern – auch in Deutschland, sicherlich auch in Sachsen – mit dem Herbst 2020 eine signifikante Infektionswelle aufgelaufen ist. In Jena hat man im Sommer 2020 schon die Pandemiefreiheit deklariert, weil man geglaubt hat, man hat das Virus besiegt und hat überhaupt nicht verstanden, dass das Virus noch weiter zirkuliert. Dann kam die hohe Pandemiewelle und gleichzeitig – zeitgleich, nicht Kausalität – kam auch der Impfstoff.
Die Daten – nicht nur aus Israel, auch aus Dänemark – aus Ländern, wo man ein Impfregister hat, also, wo man genau sagen kann: Wer hat den Impfstoff bekommen, und welche Erkrankungen hat er danach gehabt? Wie viel Antibiotika hat er verwendet? Welche anderen Medikamente? Also, da kann man zu jeder einzelnen Person was genau sagen; nicht so ein Beobachtungsstudium machen wie in Deutschland. Aus solchen Ländern sind die Daten eigentlich sehr klar, dass der Impfstoff die Erkrankungshäufigkeit und Schwere reduziert, bei den besonders Betroffenen, also bei den Älteren und bei den Vulnerablen; und dieser zeitliche Zusammenhang zwischen Zunahme der Impfung und Zunahme der Sterblichkeit eben nicht kausal zusammenhängt. Wie gesagt, die Daten sind da sehr robust.
Thomas Prantl, AfD: Danke.
Vors. Andreas Nowak: Keine weiteren Fragen. – Dann wäre das BSW dran, Frau Kollegin Biebrach.
Ines Biebrach, BSW: Ich habe noch eine Frage, weil das heute Morgen schon mal ankam. Ich hätte nur gerne Ihre Einschätzung gewusst. Herr Streeck hat gesagt, wichtig wären auch Vergleichsstudien gewesen.
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Könnten Sie ein bissel lauter sprechen?
Ines Biebrach, BSW: Ja, kann ich; Entschuldigung. – Herr Streeck hat heute Morgen gesagt: Wichtig wären auch Vergleichsstudien gewesen. Also, er hat da dieses Beispiel genommen: Wir machen eine Schule zu und eine Schule auf und gucken dann. Können Sie das noch mal aus Ihrer Sicht erklären, warum das wichtig sein könnte und was es bedeutet?
Prof. Dr. Klaus Stöhr: In welchem Zusammenhang Vergleichsstudien? Ines Biebrach, BSW: Zur Beurteilung der Pandemieentwicklung.
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Ach so, ja, richtig. Also, man kann sich ja gut vorstellen, dass in verschiedenen Ländern unterschiedliche Maßnahmen vorliegen, umgesetzt wurden. Auch in Deutschland gab es unterschiedliche Maßnahmen und einen Unterschied zwischen den Bundesländern. Hier wäre es doch toll gewesen, wenn man versucht hätte, die unterschiedlichen Ergebnisse – Erkrankungshäufigkeiten, Sterblichkeiten, Inzidenz in Alten- und Pflegeheimen, betroffene Altersgruppen – in diesen zwei unterschiedlichen Regionen, wo man unterschiedliche Maßnahmen getroffen hatte zu vergleichen. So funktionieren ja auch Fallkontrollstudien, wo man also eine Gruppe hat mit Masken, eine Gruppe ohne Masken. Und dann schaut man: Wer erkrankt denn häufiger?
Dann gab es ja auch Maskenpflicht in einigen Bundesländern, die länger gedauert hat, und andere Gruppen betraf. In Baden-Württemberg hat man Anfang 2022 noch bei Einjährigen Maskenpflicht gehabt mit Tests. Da hätte man gucken können: Da infizieren sie sich mehr, werden die häufiger krank, also im Vergleich zu anderen. Also diese Fallkontrollstudien, Vergleichsstudien wären sehr, sehr hilfreich gewesen und sind eigentlich normalerweise immer Teil eines nationalen Forschungskonzeptes.
Ines Biebrach, BSW: Eine kurze Nachfrage: Ihnen sind aber keine umfassenden Studien in Deutschland und Sachsen zu diesem Thema bekannt?
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Nein.
Ines Biebrach, BSW: Keine Fragen mehr.
Vors. Andreas Nowak: Okay. – Dann habe ich noch eine Nachfrage. Hielten Sie ein Impfregister im Freistaat Sachsen für eine sinnvolle Einrichtung?
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Das habe ich akustisch nicht verstanden.
Vors. Andreas Nowak: Hielten Sie ein Impfregister im Freistaat Sachsen für eine sinnvolle Einrichtung?
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Die kurze Antwort ist: Ja. Und die lange Antwort ist auch: Ja, definitiv.
Vors. Andreas Nowak: Vielen Dank. – Wir könnten jetzt in eine vierte Runde eintreten. Die CDU-Fraktion hat sich gemeldet; Frau Kollegin Leithoff.
Susan Leithoff, CDU: Ich habe nur noch mal eine Verständnisfrage. Ich weiß nicht, ob ich Sie da falsch verstanden habe. Wir hatten jetzt gerade zuletzt noch mal das Thema Schweden und Übersterblichkeit. Sie haben jetzt gerade zum wiederholten Male gesagt, dass man das Ende der Pandemie betrachten muss, um zu sagen, ob das jetzt gut oder schlecht war. Jetzt ist es aber ja so, dass die Maßnahmen, die die Regierung zu treffen hat, nicht am Ende entschieden werden, sondern zu einem Zeitpunkt X.
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Mhm.
Susan Leithoff, CDU: Jetzt würde ich gern noch mal auf den Oktober 2020 abstellen. Weil Sie gerade so gesagt haben: Oktober 2020 war eine Grundimmunisierung vorhanden, weil die erste Welle sozusagen schon durch war, und gleichzeitig kam der Impfstoff, sodass Sie gesagt haben – wenn ich Sie richtig verstanden habe –, man hätte die ersten Maßnahmen lockern können. Die erste Frage ist: Habe ich das so richtig verstanden?
Und die zweite Frage gleich im Kontext dazu: Spielt es da eine Rolle, dass wir in Sachsen sozusagen die erste Welle quasi ausgelassen haben und im Oktober 2020 überhaupt mit der ersten Welle konfrontiert wurden?
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Ja, ich hätte das vielleicht ein bissel präziser doch formulieren sollen. Wenn man in einem Land die Pandemie erst nach drei Jahren als Ende erklärt, dann hat man ja so lange Maßnahmen ergriffen. Und um das dann mit einem anderen Land vernünftig zu vergleichen, müsste man denselben Zeitraum schon verwenden. Also, da kann man nicht sagen: Die Engländer haben hier schon 2021 mal im Sommer die Pandemie zu Ende erklärt, dann die Schweden 2022 angefangen, die Dänen und jetzt Deutschland erst 2023. Da muss man schon den gleichen Zeitraum verwenden. Also, es wäre falsch, das auf die jeweiligen politischen Deklarationen zurückzuführen.
Das wäre dann richtig, wenn man Vergleichsstudien hätte zur Häufigkeit von Antikörpern, von der Durchseuchungsrate. Also, wenn man es richtig machen wollte, würde man sich die Durchseuchungsraten anschauen, bis sie eine bestimmte Prozentzahl erreicht haben – in Schweden vielleicht dauert das zwei Jahre, in Deutschland dauert es drei Jahre und in England dauert es anderthalb Jahre –, und dann würde man zum Ende, wenn dieser selbe Durchseuchungsstatus erreicht ist – was weiß ich: 95 % – und dann die Übersterblichkeit vergleichen. Aber die Daten liegen leider nicht vor.
Deswegen ist es richtiger, die Zeiträume zu verwenden, um die Übersterblichkeit zu berechnen. Die großen Studien, die vorliegen: Johns Hopkins, Yale usw. die haben sich alle, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, bis 2023, Mitte 2023, Ende 2022 orientiert.
Susan Leithoff, CDU: Wenn ich dazu kurz mal nachfragen darf: Aber wenn ich jetzt sozusagen Maßnahmen habe, die ich beispielsweise im Januar 2021 treffen muss, kann ich ja nicht auf Daten aus dem Oktober 2023 abstellen.
Deswegen war für mich jetzt die Frage: Wenn Sie immer so explizit auf das Ende der Pandemie oder auf einen späteren Zeitpunkt abstellen, müssen wir uns aber ja doch vergegenwärtigen, dass wir hier die Maßnahmen der Staatsregierung überprüfen und die Maßnahmen ja immer dann in den Kontext einzuordnen sind zu dem Zeitpunkt und zur Datenlage, die ich zu dem Zeitpunkt eben aktuell habe und in dem Zusammenhang auch die Angemessenheit bewerten muss, oder?
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Ja, also die Bewertung der Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen müsste man festmachen über den gesamten Zeitraum, bis in der jeweiligen Region das Pandemieende erklärt würde. Wenn ich Sie richtig – – Also, vielleicht verstehe ich Sie nicht ganz richtig.
Susan Leithoff, CDU: Na, ich mache es konkreter: Aber ich kann ja nur auf die Datenlage abstellen, die ich zum Zeitpunkt des Erlasses der Maßnahmen habe und nicht im Nachhinein gucken, ob ich mit einer anderen späteren Datenlage die richtige Entscheidung getroffen habe. Der Bewertungsmaßstab muss doch sein: Habe ich zu dem Zeitpunkt die Datenlage richtig ausgewertet?
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Ja, ich würde noch eine zweite Komponente hineinbringen: Es ist richtig, man muss fragen: Hast du die Entscheidung getroffen auf der Grundlage der vorhandenen Daten? War das richtig oder falsch? Aber gleichzeitig kann man fragen: Hast du dir auch die richtigen Daten beschafft?
Susan Leithoff, CDU: Aber zu dem Zeitpunkt!
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Zu dem Zeitpunkt, natürlich. Und hier würde ich glauben, dass die Antwort für die meisten Bundesländer ist: Du hast dir nicht die richtigen Daten beschafft, über den gesamten Pandemiezeitraum nicht. Das sollte keine Entschuldigung sein, dass man am Ende der Pandemie Maßnahmen ergreift, die keinen Sinn ergeben oder wenig Sinn ergeben oder unverhältnismäßig sind.
Susan Leithoff, CDU: Können Sie für Sachsen sagen, ob auf die richtigen Daten abgestellt wurde?
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Das kann ich konkret nicht sagen; auf nationaler Ebene, da hätte ich schon das eine oder andere Beispiel.
Susan Leithoff, CDU: Danke.
Vors. Andreas Nowak: Gut. Kollegin Steiner hat auch noch eine Frage; bitte schön.
Jessica Steiner, CDU: Genau. Sie kommen immer wieder zur Übersterblichkeit zurück. Wenn Sie sagen: Haben wir die richtigen Daten mit einbezogen?
Stimmen Sie zu, dass nicht nur die Übersterblichkeit eine Beurteilung ermöglicht oder dass die einzige Verwendung der Übersterblichkeit eine unzureichende Beurteilung wäre, wenn man auf die geeigneten Maßnahmen rekurriert und man vielmehr auch unter anderem auf die Sterberate, also die Sterblichkeit pro Fall, die Mortalität der Erkrankung selbst und nicht die Übersterblichkeit, auch an anderen Erkrankungen aufgrund von Maßnahmen; dass das auch ein Aspekt wäre.
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Ja. Also, die Übersterblichkeit hilft, die Gesamtauswirkungen während der Pandemie zu evaluieren, zu vergleichen zwischen Ländern; weil das ja die Maßnahmen betrifft und die Kollateralschäden der Maßnahmen.
Die Sterberate hilft zu verstehen, ob man mit den einzelnen Corona-Erkrankten gut oder nicht so gut umgegangen ist und kann hier auch Länder vergleichen. Also, hat es in einem Land – – Wenn in einem Land die Sterberate höher ist, an Corona, dann haben die vielleicht in den Krankenhäusern was nicht so gut gemacht. Die Erkennung der Fälle war nicht so kompetent. Oder man hat falsche statistische Bewertungen getroffen.
Also, die Sterberate hilft sicherlich auch, das Gesamtgeschehen zwischen zwei Ländern zu vergleichen. Aber wenn man den Nutzen und den Schaden bewerten will, dann ist die Übersterblichkeit besser, komplexer und vollständiger.
Jessica Steiner, CDU: Wenn wir jetzt das am Beispiel mit dem Vergleich Schwedens versuchen festzumachen und nachvollziehen wollen: Ist es dann nicht eher so, dass beides zusammen nur ein umfassendes Bild ergibt, also die Übersterblichkeit in Deutschland war doppelt so hoch wie in Schweden in 2020, aber die Sterberate war in Schweden viermal so hoch wie in Deutschland.
Also, ist es nicht am Ende für den Gesetzgeber eine Rechtsgutabwägung, wo man das größere Risiko sieht und wo man auch Potenziale sieht, Folgeschäden – wenn wir jetzt bei der Übersterblichkeit sind oder auch bei anderen Folgeschäden, wie mentale Erkrankungen infolge von Lockdowns, die man vielleicht später beheben könnte –, dass man da Potenziale erkennt, noch Einfluss zu nehmen im Verlauf, während bei einer hohen Sterberate die Leute ja unwiederbringlich tot sind.
Ist es nicht einfach nur gemeinsam beurteilbar? Es ist nicht das eine besser als das andere – das war jetzt Ihre Aussage. Meine Frage: Ist es nicht eher so, dass nur beides gemeinsam ein umfassendes Bild ergibt?
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Ja, ich glaube, da kommen noch mehr Parameter dazu, wenn man ein umfassendes Bild sich machen will, welche Wirksamkeit die Maßnahmen haben.
Ich glaube, dass man – wenn man das auf ein Jahr bezieht, so wie Sie das gemacht haben, 2020 – mit der Übersterblichkeit im Vergleich zwischen den Ländern nicht so gut hinkommt, weil dann zum Beispiel Schweden – die haben viele Fehler zu Anfang gemacht, aber dann hinterher vieles richtig; und andere Länder haben ihre Fehler anderes verteilt.
Aber kurzfristig ist die Sterberate natürlich wichtig. Wenn die Sterberate sehr hoch ist in einem Land im Vergleich zum anderen oder in der Tendenz steigt, dann macht man irgendwas falsch bei der Behandlung, in der Therapie. Also, die Sterberate ist ein kurzfristiges Instrument, mit dem man einschätzen kann, wie gut die Erkennung und die Behandlung von Coronapatienten erfolgt. Und die Übersterblichkeit zeigt über einen längeren Zeitraum, wie wirksam die antiepidemischen Maßnahmen sind und in der Balance auch, wie sich die Kollateralschäden im Verhältnis zum Nutzen verhalten.
Jessica Steiner, CDU: Danke.
Vors. Andreas Nowak: Vielen Dank. – Gibt es jetzt aus den Reihen der Fraktionen weitere Fragen? – Das kann ich nicht feststellen.
Dann sind wir für den heutigen Tag am Ende der Vernehmung des Sachverständigen angelangt. Wird eine Vereidigung des Sachverständigen beantragt? – Das kann ich auch nicht feststellen. Dann darf ich davon ausgehen, dass die Vernehmung abgeschlossen ist. Ich stelle fest, dass der Ausschuss keine Fragen mehr an Sie richten will. Ich habe Sie eingangs zur möglichen Strafbarkeit wegen falscher Aussage belehrt und gebe Ihnen hiermit Gelegenheit, Ihre Aussage zu korrigieren, sollten Sie an einer Stelle dafür Anlass sehen, bevor ich die Einvernahme beende.
Prof. Dr. Klaus Stöhr: Aus gegenwärtigem Blickwinkel nicht, nein.
Vors. Andreas Nowak: In Ordnung. – Ich weise Sie abschließend auf Folgendes hin: Nach Fertigung des stenografischen Protokolls Ihrer Aussage erhalten Sie eine Ausfertigung übersandt und haben die Möglichkeit, binnen zwei Wochen nach Zugang des Protokolls gegenüber dem Untersuchungsausschuss schriftlich Einwendungen geltend zu machen. Ihre Einwendungen sollten sich dabei nicht auf den Inhalt Ihrer Aussage beziehen, sondern lediglich auf die korrekte Wiedergabe der Ausführungen.
Nach Eingang Ihrer Einwendungen wird der Untersuchungsausschuss Sie voraussichtlich aus dem Sachverständigenstand entlassen. Ihre erneute Anwesenheit vor dem Untersuchungsausschuss ist hierfür nicht erforderlich.
Damit schließe ich die Einvernahme des Sachverständigen, und ich schließe auch diesen Tagesordnungspunkt.
(Schluss der Sachverständigenvernehmung: 17:25 Uhr)