Anhörung von Prof. Dr. Hendrik Streeck am 6. März 2025 im Plenarsaal, Sächsischer Landtag
Protokoll des 1. Untersuchungsausschusses der 8. Wahlperiode
Untersuchung der Krisenpolitik der Staatsregierung im Zusammenhang mit SARS CoV-2 und COVID-19
am 6. März 2025 im Plenarsaal, Sächsischer Landtag
Vors. Andreas Nowak: Ich bitte Sie nun, uns zu Beginn kurz im Zusammenhang hierzu zu berichten. Danach wird der Untersuchungsausschuss Fragen an Sie richten. Bitte schön, Sie haben das Wort.
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Ja, sehr gerne. Ich glaube, ich habe mich sehr häufig und öffentlich in verschiedenen Gastbeiträgen, Kommentaren und am Ende im Buch dazu geäußert, dass wir eine Aufarbeitung der Pandemie brauchen, dass wir Lehren aus dieser Zeit ziehen müssen. Ich glaube, wir müssen nämlich diese Coronapandemie als ein Proxy, als einen Stellvertreter für zukünftige Krisen verstehen, wovon wir sehr viel auch für andere Krisen ableiten können, sei es Klimawandel, sei es Krieg oder Ähnliches, wo auf der einen Seite vielleicht auch eine wissenschaftliche Expertise gefragt ist und auf der anderen Seite die Politik relativ schnell handeln muss. Und wir haben hier doch ein Spannungsfeld, ein Spannungsfeld, was wir in Deutschland nicht professionalisiert haben – nämlich das Spannungsfeld auf der einen Seite die Politik, die eine Entscheidung treffen muss, und auf der anderen Seite die Wissenschaft, die beraten muss. Beide arbeiten sehr unterschiedlich.
Das Problem ist: Wenn man Experten heranzieht oder auch einen Expertenrat oder einzelne Personen herauszieht, muss man doch sagen, dass man für jede Meinung mittlerweile auch eine Expertise findet. Und da ergibt es leider das Problem, dass sich die Politik zu schnell dahinter verstecken kann, indem sie sagt: Die Wissenschaft sagt ... Und dass die Wissenschaft pluralistisch ist, dass sie zum Teil auch sehr gegenteilige Meinung haben kann, das kommt in solchen Krisen – ganz allgemein gesprochen, nicht von der Coronapandemie alleine –, einfach zu kurz.
Und daher müssen wir hier in die Professionalisierung reinkommen, wie andere Länder das gemacht haben, wie England zum Beispiel, wo sie gesagt haben, dass die Wissenschaft berät. Es gibt 25 Expertenräte unter der Leitung von Angela McLean und auf der anderen Seite der Politiker, der dann bei dieser Abwägung der wissenschaftlichen Entscheidung aber auch die Verantwortung für die Entscheidung trifft. Also der Wissenschaftler darf nicht Politiker spielen, außer er ist selber gewählter Volksvertreter, und auf der anderen Seite kann sich der Politiker auch nicht hinter der Wissenschaft verstecken. Und dieses Spannungsfeld muss man eben professionalisieren, weil wir ja eine wissenschaftliche Beratung auch wollen. Wir wollen, dass die Politik Entscheidungen trifft aus einem guten Wissen heraus. Wir sehen das im Moment in den USA, wie die Wissenschaft angegriffen wird. Das ist etwas, wo wir auch, glaube ich, gerade als Deutschland gut dastehen, dass wir der Wissenschaft auch mehr Freiräume, mehr Freiheiten geben. Und hier müssen wir in eine Reform rein.
Gleichzeitig – – Oder ein ähnlicher Punkt ist eben die Reform vom Robert Koch-Institut. Ich für meinen Teil würde mir wünschen, ein starkes, weisungsunabhängiges und reformiertes Robert Koch-Institut, eine oberste Seuchenbehörde zu haben, die auf Probleme hinweist, die auch vielleicht mit dem Paul-Ehrlich-Institut, was ähnlich reformiert ist, auf diese Probleme hinweist. Aber hierfür muss es reformiert werden, es muss gestärkt werden und nicht – wie es jetzt passiert in meinen Augen – aufgeteilt werden in BIÖG und Robert Koch-Institut.
Dritter Punkt. Das Gleiche sehen wir gerade bei der Weltgesundheitsorganisation. Auch ich würde mir wünschen, dass wir als Welt eine starke Weltgesundheitsorganisation haben. Aber auch die muss reformiert werden, auch die muss unabhängiger werden von einzelnen Ländern.
Das sind so Punkte, wo wir glauben, wir brauchen eine bessere Trennschärfte zwischen Wissenschaft und Politik, damit auch die Entscheidungshoheiten hier deutlicher werden.
Ich könnte jetzt auf viele einzelne Bereiche eingehen, ob jetzt Schulen, Impfdruck und Ähnliches. Ich hatte für meinen Teil mein Wissen damals bereits in einem Buch aufgeschrieben. Ich will hier keine Werbung machen, sondern sagen, dass es mir nicht ganz – – Ich weiß nicht genau, was vielleicht für Sie gerade die brennenden Fragen sind. Ich habe mir Ihre Fragen in dem Bericht durchgelesen. Zum Teil sind das Fragen an Sachsen, wo ich die Fragen leider nicht zu Sachsen direkt beantworten kann, weil ich mich in dieser Zeit nicht so genau mit Sachsen dann im Einzelnen beschäftigt habe, obwohl es die Stadt, wo ich am häufigsten war nach Berlin, war hier Dresden, sodass ich eher dazu übergehen würde, dass wir jetzt in der Frage- und Antwortrunde die einzelnen Fragen beantworten.
Vielen Dank.
Vors. Andreas Nowak: Vielen Dank, Herr Prof. Streeck. Die Damen und Herren von Presse, Rundfunk und Fernsehen und der Fraktionen bitte ich jetzt, alle Aufnahmearbeiten einzustellen, damit wir in die Fragerunde einsteigen können.
Die Fragerunde wird in der Reihenfolge passieren: Vorsitzender, Stellvertreter und dann in der Reihenfolge der Fraktionen CDU, AfD, BSW, SPD, BÜNDNISGRÜNE und Die Linke.
Herr Prof. Streeck, ich habe eine Frage. Sie sagten gerade eben, dass Sie sich eine oberste Seuchenbehörde vorstellen könnten, die neu konstruiert wird. Vielleicht könnten Sie das etwas genauer ausführen.
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Nun, also wir haben ja das Robert Koch-Institut im Moment, was die Verantwortung hat, die Fachöffentlichkeit und die Politik zu beraten, aber gar nicht die Öffentlichkeit an sich selber; denn das sollte eigentlich durch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung stattfinden. Wir haben in der Pandemie gesehen, dass das dysfunktional ist, dass es nicht mehr in diesem Sinne funktioniert. Jetzt besteht die neue Aufspaltung – mehr formal, als dass es wirklich stattgefunden hat – in Robert Koch-Institut auf der einen Seite und einem Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit, bei dem getrennt wird zwischen übertragbaren und nicht übertragbaren Erkrankungen.
Das – für meinen Teil – macht keinen Sinn. Wir haben – – Allein, wenn man jetzt einmal bei Corona bleibt, sehen wir ja, dass Corona – oder auch die Impfung auf der einen Seite – eine übertragbare Erkrankung ist – also, Corona ist die übertragbare Erkrankung und als Gegenmittel hat man quasi die Impfung. Bei beiden sehen wir dann aber die nicht übertragbaren Erkrankungen, nämlich Post-Vac oder Long Covid. Das gehört für mich eigentlich zusammengedacht – nämlich nicht, dass man das auseinandernimmt, sondern diese ganze Überwachung davon gehört für mich zusammengedacht.
Ein Robert Koch-Institut muss in meinen Augen die Möglichkeit haben, zum Beispiel selbst solche Studien durchzuführen, wie wir das mit der IMMUNEBRIDGE-Studie gemacht haben – also die Immune-Surveillance-Studie in Deutschland –, um zu wissen: Wie viele Menschen haben eigentlich eine Immunantwort gegen das Coronavirus, ob durch Impfung oder durch durchgemachte Infektionen? Oder wie wir es am Anfang in Heinsberg gemacht haben: Das Robert Koch-Institut hatte überhaupt nicht die Möglichkeit, nach Heinsberg reinzugehen, um das Virus erst mal zu verstehen, Proben zu sammeln, Blut zu sammeln, und zu verstehen, wie viele überhaupt infiziert sind.
Das Robert Koch-Institut und die Wissenschaftler, mit denen ich mich unterhalten habe, hätten aber gerne solche Studien durchgeführt – konnten es aber nicht. Daher ist hier doch ein Ansatzpunkt, dass man sagt: Ja, Robert Koch-Institut, sowas würde uns guttun, wenn das gestärkt ist, wenn das besser aufgestellt ist, wenn das unabhängig ist. Und dazu noch ein Punkt: Die RKI-Protokolle habe ich natürlich auch gelesen. Ich habe sie ein bisschen anders gelesen, als das zum Teil öffentlich wahrgenommen wurde. Ich fand das eher wie so einen Zeitzeugenbericht aus dieser Zeit, da ähnliche Diskussionen, die wir hier in der Öffentlichkeit hatten, damals auch beim Robert Koch Institut stattgefunden haben. Diese Diskussionen hätte ich gerne in transparenterer Weise auch öffentlich gesehen. Das zeigt eigentlich, dass man hier auch eine gewisse Weisungsungebundenheit dem Robert Koch-Institut geben sollte.
Vors. Andreas Nowak: Vielen Dank, Herr Sachverständiger. Das Wort hätte jetzt mein Stellvertreter, Herr Abg. Wendt.
Stellv. Vors. André Wendt: Vielen Dank, Herr Vorsitzender. Vielen Dank, Herr Prof. Streeck, für Ihr Kommen. Herr Professor, ich rekurriere auf Ihr gestriges „Welt“- Interview. Dort haben Sie geäußert, dass man sich – bezogen auf die einzelnen Coronamaßnahmen in dieser Zeit – nur auf einige wenige Wissenschaftler verlassen hat, obwohl die fachliche Expertise ja viel, viel breiter wäre und man auch noch weitere Wissenschaftler hätte einbeziehen müssen. Jetzt ist für mich die Frage: Welche Wissenschaftler hätten Sie noch gern an dem Tisch gesehen bzw. wären dann Entscheidungen für gewisse Maßnahmen anders ausgefallen, wenn man tatsächlich die gesamte Expertise der Wissenschaft im Allgemeinen genutzt hätte?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Ja, vielen Dank für die Frage. Ich kann die nicht genau beantworten, so wie Sie sie gestellt haben. Also, ich kann mal ein Beispiel nennen: Im April 2020 haben die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrie, also die Kinderärzte, und die Deutsche Krankenhausgesellschaft eine Stellungnahme darüber geschrieben, dass man nicht noch mal Schulen schließen sollte. Das war im April 2020. Aber die saßen zum Beispiel nicht in den Beratungsrunden für wissenschaftliche – – Ja, also, für den Umgang mit Corona.
Ich kann Ihnen aber auch gar nicht sagen – darum kann ich die Frage nicht beantworten –, wer in der Anfangsphase wirklich alles beraten hat. Aber Soziologie, Psychologie, Kinderärzte, Kinderpsychologie, diese Bereiche – oder auch Hygiene, Epidemiologen – sind viel zu wenig abgedeckt gewesen; denn was ist denn eigentlich das, was die Virologie an sich als Fachgebiet dazu beitragen kann? Das ist natürlich erst mal das Verständnis für das Virus, wie es übertragen wird und Ähnliches. Aber wenn es dazu kommt, wie eine Gesellschaft in dieser Zeit lebt, auch das Leben weiterführt und ein Leben – in Anführungsstrichen – in der Zeit ermöglicht, das sind doch eigentlich vielmehr auch soziologische und psychologische Fragen. Die haben mir in der Phase gefehlt.
Vors. Andreas Nowak: Vielen Dank. Dann treten wir jetzt in die Fragerunde der Fraktionen ein. Zuerst hat die CDU-Fraktion das Fragerecht. Frau Abg. Leithoff, bitte.
Susan Leithoff, CDU: Ja, vielen Dank, Herr Vorsitzender. Herr Prof. Streeck, ganz herzlichen Dank dafür, dass Sie heute da sind, und für Ihre Ausführungen. Ich habe schon vernommen, dass Sie gesagt haben, direkt zum Infektionsgeschehen oder zum Pandemiegeschehen in Sachsen könnten Sie nicht so viel sagen.
Jetzt sind Sie einer der Ersten gewesen, die die Forschung dahin gehend umgestellt haben, um das Coronavirus zu verstehen. Die Heinsberg-Studie – die hatten Sie schon erwähnt – war ganz am Anfang. Ich habe medial nachgelesen und gefunden, dass Siegesagt haben, diese Situation, die Sie dort untersucht haben, wäre nur bedingt mit anderen Regionen vergleichbar. Ist es trotzdem möglich, aus dieser Studie oder aus Ihren Forschungsuntersuchungen einen Rückschluss auf Sachsen zu ziehen? Sie sagten, Sie seien in Dresden gewesen. Gibt es irgendwas, das wir für Sachsen sozusagen von Ihnen lernen können?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Ja, vielen Dank für die Frage. Es ist natürlich immer problematisch, eine Transferleistung auf andere Bereiche zu machen; denn für mich stellte sich gerade sofort die Frage: Wie war denn überhaupt das Infektionsgeschehen zu der Zeit in Sachsen? Man war ja dann doch sehr fokussiert auf seine Arbeit. Aber es gibt natürlich Dinge, die man ableiten konnte.
Erstens. Unser Studienprotokoll ist ein Studienprotokoll gewesen, das ein Entwurf war – also, wie man so eine Studie weltweit durchführen könnte –, den die WHO bereitgestellt hatte. Darauf haben wir zurückgegriffen, wo man auch sagen könnte: Diese Studie kann man überall – auch in Deutschland und in anderen Bereichen – durchführen. Ich wusste, in Tirschenreuth haben die – da gab es ja auch den größeren Ausbruch – etwas später ein ähnliches Protokoll verwendet.
Auf der anderen Seite haben wir natürlich auch Erkenntnisse gehabt, die man auch verallgemeinern kann, nämlich – – Also, das klingt alles sehr banal. Aber eine Sache, die wir gesehen haben, war, dass nicht jede Infektion symptomatisch verläuft, sondern bei uns war es so, dass jeder – – Also, dass die Infektionsrate rund dreimal höher war als das, was offiziell getestet wurde. Ich muss mich jetzt noch mal – – Ich bin mir nicht mehr ganz sicher, was wir genau – das ist auch schon so lange her – gezeigt haben, ob es dreimal oder fünfmal höher gewesen ist, da nageln Sie mich jetzt bitte nicht drauf fest. Aber, dass eben ein Anteil an Infektionen stattfindet, die man gar nicht mitbekommen hat, das ist etwas, das wir dort in Heinsberg das allererste Mal gezeigt haben.
Wir haben zum Beispiel auch gezeigt, dass in der Kappensitzung, da waren – – Das ist ein großer Karnevalsraum – es kommen ja jetzt alle aus dem Karneval –, wo alle zusammen gefeiert haben – Kinder und Alte –, und wir aber gesehen haben, dass sich das Infektionsgeschehen unter Kindern ganz anders verhält als bei Älteren. Das ist auch etwas, das man verallgemeinern kann, nämlich wie viele Infektionen es am Ende gegeben hat. Das war der Punkt, wo ich gesagt habe: Das kann man nicht auf ganz Deutschland übertragen.
Wie viele Infektionen es gegeben hat und wie viele davon am Ende schwere Verläufe sind, das hängt zum einen davon ab, wie stark der Ausbruch gewesen ist, also wie stark dieser erste Ausbruch gewesen ist, und wo der stattgefunden hat.
Da kommt auch die Diskrepanz im Übrigen mit Tirschenreuth zustande. Tirschenreuth hat eine sehr viel höhere Sterblichkeitsrate im Vergleich zu uns gehabt, aber wir hatten auch einen Ausbruch eher in der älteren Bevölkerung. Daher gibt es Dinge, die kann man übertragen, und leider Dinge, die kann man nicht übertragen. Und daher ist es wichtig, wenn solche Studien stattfinden, dass solche immer wieder und überall durchgeführt werden – am besten koordiniert durch eine oberste Seuchenbehörde.
Vors. Andreas Nowak: Gibt es seitens der CDU weitere Fragen?
Susan Leithoff, CDU: Ja, gern.
Vors. Andreas Nowak: Frau Leithoff.
Susan Leithoff, CDU: Vielen Dank. Ich würde es noch mal ein bisschen allgemeiner ziehen. Sie haben jetzt gesagt, man konnte erste Rückschlüsse ziehen. Ich befürchte, ich kenne die Antwort, ich will die Frage trotzdem stellen: Gibt es aus Ihrer Perspektive einen Zeitpunkt, wo man das Infektionsgeschehen so konkret greifen konnte, dass man die Risiken abschätzen konnte? Einfach, um eine Risikoabwägung vorzunehmen, um dann zu sagen: Welche Maßnahmen sind tatsächlich notwendig und erforderlich, und welche vielleicht nicht? Also mir geht es ganz konkret darum: Ab wann hatte man – – Gibt es den Zeitpunkt, wo man sagt, man hatte das Infektionsgeschehen so konkret verstanden, dass man die Risikoabwägung tatsächlich vornehmen konnte?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Das finde ich eine ganz schwere Frage. Also, einen genauen Zeitpunkt kann ich da leider nicht nennen; denn es ist immer ein inkrementales Wissen. Oder auch, wo erste Berichte gekommen sind und man das dann später deutlicher hatte oder bestätigt wurde, dass diese Veränderungen auch wirklich da sind. Dann hatten wir ja die Veränderungen des Virus. Am Anfang – – Wir waren ja die, die als Erstes den Geruchs- und Geschmacksverlust beschrieben hatten als Symptom. Aber das ist später – – Bei den anderen Varianten gibt es das fast gar nicht mehr. Also bei Omikron sehen wir keinen Geruchs- und Geschmacksverlust, das ist wieder was, wo was verloren gegangen ist.
Die Berichte zu Long Covid – wenn ich mich nicht richtig irre –, die kamen erst im Sommer 2020, wurden dann aber erst mit der Zeit weiter verstärkt – also auch das Augenmerk darauf oder die Bestätigung davon –, sodass diese das Wissen natürlich in der Wissenschaft immer erst – – Es gibt erste Erkenntnisse, und dann hofft man, dass viele unterschiedliche Studien das auch noch mal weiter bestätigen. Und es gibt ja auch manchmal eine Falsifikation, also dass gesagt wird: Nee, das stimmt nicht, was da beschrieben wurde.
Ganz am Anfang – wenn Sie sich erinnern –, da ging es darum, dass die Blutgruppen vielleicht irgendwas damit zu tun hatten. Das wurde ja später falsifiziert, dass das nicht stimmt. Und so funktioniert leider die Wissenschaft, dass es keinen klaren Zeitpunkt gibt. Aber es gibt natürlich Berichte, dass man Augenmerk auf bestimmte Bereiche haben sollte, wie zum Beispiel auf die Schulen, wo man am Anfang nicht so ein Augenmerk in dem Sinne drauf hatte, dass es auch psychologische oder soziologische Folgen hat.
Daher kann ich Ihnen nicht genau einen Zeitpunkt nennen. Ich glaube aber, es gibt Punkte, wo man sagen kann: Hm, da hätte man auch noch mal in andere Richtungen weiterdenken müssen.
Vors. Andreas Nowak: Gibt es weitere Fragen seitens der CDU-Fraktion in dieser Runde? – Das kann ich nicht feststellen. Dann ist jetzt die Fraktion AfD dran. Herr Abg. Prantl, bitte
Thomas Prantl, AfD: Ja, vielen herzlichen Dank, Herr Prof. Streeck, dass Sie heute zu uns gekommen sind und unsere Fragen beantworten; das schätzen wir sehr. Ich würde gern noch mal auf den Beweisbeschluss eingehen. Sie sind ja eingeladen worden in Ihrer Qualifikation als Virologe, und es geht in dieser Befragung um die Infektiosität, die Virulenz und Pathogenität, auch um die Übertragungswege.
Vor diesem Hintergrund wollten wir gern, dass Sie auf Ihre Heinsberg-Studie noch mal etwas genauer eingehen, uns die noch mal in den Einzelheiten vorstellen, damit wir einen besseren Überblick bekommen; denn diese Studie war zwar nie für ganz Deutschland gedacht – was Sie ja gesagt haben und was auch allen bekannt ist –, aber die in Heinsberg erhobene Infektionssterblichkeit, die lag bei 0,36 %. Und das Interessante ist ja, dass diese bis heute nicht widerlegt worden ist.
Der Hauptkritikpunkt war allerdings, das Ganze sei nicht auf Deutschland übertragbar. Und deshalb würden wir Sie bitten, dass Sie uns die Studie noch mal kurz vorstellen und erklären: Warum ist sie denn nicht auf Deutschland übertragbar? – Vielen Dank.
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Ja, danke für die Frage. Also, vorweg: Ja, der Kritikpunkt war die Aussage, dass wenn man es hochrechnen würde, hätte es soundso viele Infektionen gegeben, was damals in der Pressemitteilung reingeschrieben wurde. Da gibt es ein bisschen ein Problem mit dem Konjunktiv – was ich mehrmals in der Pandemie erlebt habe –, dass wenn man im Konjunktiv schreibt, es keine Absolutheit bedeutet – aber gut. Das war im Wording damals nicht so richtig.
Sie haben aber recht. Die Studie wurde nie widerlegt, auch wenn einige Wissenschaftsjournalisten immer wieder versuchen darzustellen, dass das wissenschaftlich oder statistisch falsch ist. Ganz im Gegenteil, wir waren so transparent, dass wir auch die Reviews, also die Gutachten der anderen Wissenschaftler, online gestellt haben. Sie sind alle online nachlesbar.
Es gibt übrigens nicht die eine gewisse Heinsberg-Studie, sondern es gibt ganz viele Heinsberg-Studien, die wir durchgeführt haben. Wir haben insgesamt neun Aufnahmewellen in Heinsberg gemacht, und davor geschaltet war immer wieder – eigentlich täglich –, dass wir reingefahren sind und von Haus zu Haus gegangen sind, um Daten zu sammeln, sodass viele Heinsberger mich einfach auch persönlich mittlerweile kennen, weil wir bei denen auch zu Hause waren.
Am Anfang ging es uns darum, zu verstehen: Wie ist denn eigentlich der Übertragungsweg, wie krank sind die? Wir haben die Symptome aufgezeichnet. Wir haben versucht zu verstehen, ob auch Katzen infiziert sind, wo wir RNA finden auf den Türknöpfen, auf dem Handy. Wir haben alles Mögliche abgestrichen, also wirklich so Basishygienearbeiten, zu verstehen, wo ist das Virus. Daraus haben wir abgeleitet eben, dass es eher eine Aerosolübertragung, respiratorische Übertragung ist, dass über die Gegenstände nichts anzüchtbar ist, und haben dort auch relativ früh diesen Geruchs- und Geschmacksverlust beschrieben.
Wir hatten damals selber kein Virus in Katzen gefunden, auch nicht in Insekten. Das haben wir aber nie veröffentlicht, weil später gab es dann Studien zu den Katzen dazu. Wir hatten leider auch nur zwei Katzen, die wir abstreichen konnten.
Später haben wir das dann systematisch gemacht, mit der größeren Studie zu verstehen, systematisch einzuladen nach einem WHO-Protokoll, dass wir Familien eingeladen haben. Hier haben wir natürlich rausgerechnet – was auch journalistisch falsch dargestellt wurde –, dass es da Clusterbildung in Familien gibt, aber das WHO-Protokoll vorsieht, absichtlich in Familien reinzugehen, um zu sehen, wie der Sekundäreffekt in den Familien ist, also wie häufig der Vater das der Mutter überträgt, von der Mutter an die Kinder usw. Und das haben wir auch in der Studie dargestellt, dass es diesen Effekt zwar gibt. Aber je mehr Personen im Haushalt sind, desto größer ist wahrscheinlich auch das Haus, dass die Menschen sich dann auch besser aus dem Weg gehen können.
Wir haben dann die Infektionssterblichkeit dargestellt. Da ist der Mittelwert 0,36 %. Und wenn man sich das Kapitel zum Mittelwert durchliest, ist es aber immer eine Spannung, ein Konfidenzintervall. Und da haben wir unterschiedliche Annahmen getroffen, und eine Annahme dabei war: Wir wissen gar nicht, wie viele Menschen gestorben sind am Ende. Da ist das Konfidenzintervall zwischen 0,17 und 0,77 %. Ein Wissenschaftsjournalist hat dann dargestellt, wir hätten die Toten alle gar nicht gezählt, das wäre damit schon abgefrühstückt gewesen. Das haben wir aber nicht auf uns sitzen lassen.
Aber wie antwortet man? Das ist auch das Spannungsfeld: Wie antwortet man aus der Wissenschaft heraus einem Journalisten, der so etwas behauptet? Nun, wir haben nach dem Bestattungsgesetz § 9 wegen öffentlichem Interesse alle Totenscheine angefordert und haben jeden handschriftlichen Totenschein akribisch studiert, um zu verstehen, ob wir Tote übersehen haben in Heinsberg.
Man muss dazusagen: Das ist natürlich, man in ein Problem reinläuft damit dahingehend, dass, wenn man – – Eine Gruppe ist infiziert und man wartet 50 Tage, 100 Tage, 300 Tage, und da werden immer mehr Menschen sterben, die auch irgendwie mal eine Coronainfektion haben. Wir werden wahrscheinlich alle irgendwann einmal nicht an, sondern mit einer Coronainfektion in unserer Vergangenheit sterben. Da haben wir versucht, das aufzulockern, aufzuzeigen: Wann ist es eigentlich geboten, dass man sagt, dass ist noch ein Sterbefall, der mutmaßlich mit Corona zusammenhängt? Da sind wir dann auf eine Sterblichkeitsrate von einem Mittelwert von 0,43 – glaube ich, nageln Sie mich nicht fest darauf, das ist auch schon wieder Jahre her – mit einem ähnlichen Konfidenzintervall gekommen. Also wir lagen immer noch – mit anderen Worten – im gleichen Konfidenzintervall, aber die Aussage am Ende, im Alter zu fragen, ob jemand an oder mit Corona gestorben ist, ist natürlich sehr, sehr schwer.
Das ist aber zeitabhängig. Wir haben gesagt, ab 60 Tagen ist es eigentlich nicht mehr so, dass das – – Die Wahrscheinlichkeit ist relativ niedrig, dass da immer noch der kausale Zusammenhang da ist.
Vors. Andreas Nowak: Gibt es weitere Fragen seitens der AfD? – Herr Kollege Prantl.
Thomas Prantl, AfD: Danke für die sehr ausführliche Antwort, Herr Prof. Streeck. Sie hatten ja darüber gesprochen, wie Ihre Studienergebnisse von Medien verarbeitet worden sind. Mich würde noch einmal interessieren, wie Ihre Einschätzung ist: War denn die Heinsberg-Studie für Sachsen aus Ihrer Sicht wertlos?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Aus Sachsens Sicht?
Thomas Prantl, AfD: Für Sachsen.
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Für Sachsen?
Thomas Prantl, AfD: Weil wir darüber diskutiert haben, wie das mit der Übertragbarkeit und der Vergleichbarkeit in den einzelnen Ländern oder anderen Regionen ist. War diese Studie aus Ihrer Sicht für Sachsen wertlos?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Also ich würde nie eine wissenschaftliche Studie als wertlos bezeichnen. Daher muss ich das entschieden zurückweisen. Aber das gilt auch für alle anderen Studien.
Nein, das Problem in der Wissenschaft ist es ja nicht, dass eine Studie das endgültige Maß der Erkenntnis bringt, sondern es ist meistens die Kombination von vielen unterschiedlichen Studien und Ergebnissen, die zum Teil auch widersprüchlich sind, wo man sich dann auf der Mitte einigt.
Auch bei unserer Infektionssterblichkeit, die wir beschrieben haben, ist ja nur eine Studie von mittlerweile einigen Hundert Studien, die da durchgeführt wurden. Dann gibt es Metaanalysen, die darauf basieren, wo dann nur die Studien herausgesucht werden, die auch eine gewisse wissenschaftliche Rigorosität haben, also die auch den Kriterien standhalten. Da ist unsere dann auch mit eingeflossen in diese Metaanalysen. Aber das ist meistens so, wie Wissenschaft funktioniert, dass es überall solche unterschiedlichen Studien gibt und die dann auch zur Erkenntnis führen. Daher denke ich, wenn ich das selber noch mal generell kritisch anmerken kann, ist die Frage, dass das Robert Koch Institut hier doch gemeinsam eine Koordination hätte durchführen können von unterschiedlichen solchen Studien in Deutschland, um ein besseres Bild zu bekommen. Aber das muss man auch dazusagen, das RKI hat da gar nicht die – – Das ist gar nicht deren Mandat. Das wäre der vorherige Reformvorschlag des Robert Koch-Instituts.
Vors. Andreas Nowak: Vielen Dank, Herr Professor. Weitere Fragen Herr Prantl?
Thomas Prantl, AfD: Ja. Also vielen Dank für die Antwort. Ich bin natürlich keineswegs davon ausgegangen, dass die Studie wertlos sei, ganz im Gegenteil. Ich wollte es gern noch einmal von Ihnen hören.
Noch eine weitere Frage, die mich interessieren würde: Sind Sie denn von der Sächsischen Staatsregierung oder einem verantwortlichen Coronagremium aus Sachsen zu Ihrer Heinsberg-Studie jemals kontaktiert worden?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Also, daran kann ich mich – – Ich weiß es ehrlich gesagt nicht, weil: Ich habe vorhin ja schon gesagt, ich bin häufig hier in Sachsen, in Dresden gewesen, und ich müsste in meinen E-Mails nachschauen. Ich weiß es wirklich nicht. Also da verschwimmt auch meine Erinnerung. Wann ich auch das erste Mal jetzt in Sachsen zum Beispiel gewesen bin, könnte ich nicht beantworten.
Vors. Andreas Nowak: Herr Prantl.
Thomas Prantl, AfD: Dann stelle ich die Frage noch mal anders. Sind Sie der Meinung, dass die sächsische Politik die Ergebnisse Ihrer Heinsberg-Studie hätte diskutieren sollen?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Ja, also freuen würde man sich immer darüber, aber das ist ja nicht etwas Zwingendes. Ich finde auch, die Frage ist doch viel eher – und das geht in mein Eingangsstatement zurück –, wie diese Koordination am Ende läuft. Macht das am Ende jedes Land selber? Oder die Länder greifen ja zurück auf die Erkenntnisse vom Robert Koch-Institut. Und das Robert Koch-Institut hat aber gar nicht – das sieht man auch in den RKI-Protokollen –, die Möglichkeit oder hatte gar nicht die Struktur aufgebaut, auf die unterschiedlichen wissenschaftlichen Ergebnisse zurückzugreifen. Im Protokoll vom RKI steht irgendwann drin: „Wir haben gelesen, dass Prof. Steck in Köln auch so eine Studie durchgeführt hat.“ Die haben mich aber nie kontaktiert, weil sie meinen Namen falsch geschrieben haben und ich auch nicht in Köln bin.
Die Länder greifen doch normalerweise zurück auf das Robert Koch-Institut, die ja genau dafür da sind, aber das Robert Koch-Institut hat gar nicht die Möglichkeit, auf die Wissenschaftler zurückzugreifen. Also da sehe ich eher die Problematik darin, als dass jetzt jede einzelne Landesregierung auf einzelne Wissenschaftler zurückgreifen sollte, gleichwohl ich nicht sagen kann, wann ich den ersten Kontakt zur sächsischen Landesregierung hatte.
Vors. Andreas Nowak: Weitere Fragen, Herr Prantl?
Thomas Prantl, AfD: Ja, gern. Vielen Dank für die Antwort, Herr Professor.
Worum es mir eigentlich geht: Ob Sie aus wissenschaftlicher Sicht sagen würden, dass Sachsens Staatsregierung Ihre Ergebnisse zur Infektionssterblichkeit und zur Dunkelziffer bei den Infektionen mit den eigenen Daten doch hätte vergleichen müssen. Können Sie dazu etwas sagen?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Ich weiß ja gar nicht, was in Sachsen an Studien gelaufen ist, muss ich eingestehen.
Thomas Prantl, AfD: Also, das führt zur nächsten Frage, ob es zum Zeitpunkt Ihrer Heinsberg-Studie andere wissenschaftliche Untersuchungen gibt, die Ihnen bekannt sind, zum Beispiel in Sachsen, die die Infektionssterblichkeit unter Umständen präziser oder anders mit abweichenden Ergebnissen ermittelt haben. Oder war Ihre Studie in der Hinsicht einzigartig zu diesem Zeitpunkt?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Also, in Deutschland fing ja eine Reihe an Studien an, auch ein bisschen zeitversetzt. Ich erinnere mich an eine – – Wo war das denn noch mal? Das war irgendwas am See; ich weiß nicht mehr genau, wie genau der Ort hieß. Da wurde eine Studie in ähnlicher Weise durchgeführt. Dann wurde in Tirschenreuth die Studie durchgeführt, und dann kamen nach und nach noch mehr solche Studien.
Es gibt nie die eine allgemeingültige Aussage bei solchen wissenschaftlichen Studien, außer es ist wirklich jetzt ein extremer Durchbruch. Man musste zu dem Zeitpunkt, und man darf da nicht den Rückschaufehler begehen – – Zu dem Zeitpunkt hatten wir ja noch nicht deutschlandweit so ein Ausbruchgeschehen. Heinsberg war ja wirklich einmalig in Deutschland, weil wir an anderen Orten noch gar nicht so viele Infektionen gesehen haben auf einmal. Und sich dann auf eine Studie alleine zu verlassen, die ein paar Hundert Personen untersucht hat, ist natürlich auch etwas, wo ich selber auch nicht raten würde zu sagen: Ja, jetzt haben wir Heinsberg und jetzt können wir so und so handeln. Sondern man müsste immer auch abwarten, dass noch andere Studien reinkommen. Also vom Zeitpunkt, wann das gewesen ist – das war ja sehr früh –, da hatten wir in Deutschland noch gar nicht meines Wissens so viele Ausbruchgeschehen. Das nächste größere war Tirschenreuth. Und das hat ein bisschen gedauert, glaube ich, die Publikation dazu.
Vors. Andreas Nowak: Danke schön. Weitere Fragen?
Thomas Prantl, AfD: Wir haben noch einen weiteren Fragenkomplex, der ein bisschen ausführlicher ist. Ich würde jetzt erst mal noch eine Nachfrage stellen zu einer Aussage von Herrn Prof. Streeck und dann weitergeben.
Vors. Andreas Nowak: Sie haben in dieser Runde noch 5 Minuten.
Thomas Prantl, AfD: Gut, na dann schöpfe ich die doch aus; danke.
Herr Prof. Streeck, Sie sagten ja, dass Sie einige Zeit oder öfter auch hier in der Landeshauptstadt Dresden waren, eingeladen wurden oder aus eigener Initiative hierhergekommen sind. Können Sie noch einmal kurz darlegen, in welchen Gremien, Beratungsstäben Sie hier eingebunden waren?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Wie gesagt: Ich kann Ihnen nicht – – Ich kann mich auch einfach nicht mehr daran erinnern. Ich müsste durch meine E-Mails durchgehen oder wenigstens meinen Kalender durchgehen. Das ist fünf Jahre her. Ich kann Ihnen noch nicht einmal sagen, wann ich das erste Mal in Dresden war. Es ist schon – – Ja, tut mir leid.
Thomas Prantl, AfD: Können Sie uns dann sagen, wann Sie das letzte Mal in Dresden waren –
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Ja, heute.
(Heiterkeit Prof. Dr. Hendrik Streek)
Thomas Prantl, AfD: – und mit der Staatsregierung gesprochen haben? – Das ist ja nicht so lange her.
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Heute – also gestern angekommen. Aber ich war – –
(Zuruf Valentin Lippmann, BÜNDNISGRÜNE – Susann Leithoff, CDU, meldet sich.)
Vors. Andreas Nowak: Kollegin Leithoff.
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Aber ich war davor – –
Susan Leithoff, CDU: Entschuldigung! Ich würde jetzt kurz einmal zur Einordnung fragen wollen: Ist der Herr Prof. Streeck noch Sachverständiger oder vernehmen wir ihn gerade als Zeugen?
Vors. Andreas Nowak: Er ist natürlich noch Sachverständiger.
Susan Leithoff, CDU: Dann sind die Fragen allerdings eher Fragen, die man einem Zeugen stellen sollte.
Vors. Andreas Nowak: Dann, Herr Prantl, bitte weitere sachverständige Fragen oder so.
Thomas Prantl, AfD: Vielen Dank. Herr Prof. Streeck, es geht mir noch einmal um Ihre Heinsberg-Studie und die dort ermittelte Infektionssterblichkeit von 0,36 %. Die war ja dann doch deutlich niedriger, als die WHO das zunächst behauptet hatte. Denn die WHO ging ja anfangs von einer Sterblichkeit von bis zu 3 bis 4 % aus. Das ist ja eine Gefährdung, die mehr als zehnmal so hoch war.
Das führt uns zu der Frage: Warum kam denn jetzt aus Ihrer Sicht die WHO – und ich glaube, auch das RKI – auf diese hohen Sterberaten? Und können Sie vielleicht hierzu kurz auch noch mal den methodischen Unterschied zwischen Fallsterblichkeit und Infektionssterblichkeit erläutern? Das wäre interessant, danke.
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Ja, Sie haben es gerade schon angesprochen. Die Diskrepanz zwischen der Aussage der WHO – meines Wissens – und unserer Studie war, dass es bei uns um Infektionssterblichkeit ging und bei der WHO um Fallsterblichkeit.
Bei der Infektionssterblichkeit muss man eben bevölkerungsweit erst mal messen zu einem Zeitpunkt, wie viele Infektionen stattfinden, und das idealerweise immer wieder messen, um eine gute Inzidenz zu bestimmen. Und auf der anderen Seite: Bei der Fallsterblichkeit wird nur die positiv getestete – – Also, diese Studie wird dann nicht durchgeführt, sondern nur, wer positiv getestet wird, wird als Fall wahrgenommen, und wie viele von denen verstorben sind. Die Dunkelziffer wird dadurch nicht ausgeleuchtet.
Also, was wir vorhin hatten, dass es 3 bis 5 % Personen gibt, die – – Nee, das Drei- bis Fünffache, die zusätzlich infiziert sind, aber keine Symptome haben, also nie diagnostiziert werden, die werden bei der Fallsterblichkeit nicht reingerechnet, also, die werden einfach nicht erfasst. Das macht den Unterschied. Das sind aber zwei unterschiedliche epidemiologische Methoden.
Also, das eine macht es zwar ein bisschen genauer, die Infektionssterblichkeit. Aber die Fallsterblichkeit, wenn man es beschreibt, dann weiß auch jeder, was damit gemeint ist.
Vors. Andreas Nowak: Bitte, Herr Prantl.
Thomas Prantl, AfD: Darauf noch mal aufbauend: Ist es denn dann wissenschaftlich haltbar, dass sich eine Pandemiepolitik, wie sie auch hier in Sachsen durchgeführt wurde, auf eine Fallsterblichkeit stützt, die ja massiv überschätzt sein kann, weil eben unentdeckte Infektionen nicht berücksichtigt werden? Könnte das sein? Also, ist das wissenschaftlich haltbar, dass man so verfährt?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Also, ich kann die Frage so nicht beantworten, da natürlich auch – – Also, wenn man das mal abstrahiert: Es gibt ja auch Pandemien, die zu ganz anderen Erkrankungen – nicht zum Tod, aber zu ganz anderen Erkrankungen –führen, oder Infektionserreger. Nehmen wir zum Beispiel das Papillomavirus. Humane Papillomviren können Zervix-, Analkrebs, Peniskrebs verursachen. Das ist jetzt keine Pandemie, aber wenn so ein Virus auftreten würde, was jetzt nicht sofort unmittelbar zum Tod führt, ist das trotzdem etwas, wo man rigoros – wahrscheinlich dann, wenn so ein Virus auftreten würde – handeln müsste. Also, daher kann ich diese Frage in dieser Form nicht beantworten.
Vors. Andreas Nowak: Vielen Dank, Herr Professor. Die Fragezeit der Fraktion AfD ist damit in der ersten Runde erschöpft, und es geht weiter mit der Fraktion BSW. Frau Abg. Biebrach, bitte.
Ines Biebrach, BSW: Hallo. Schönen guten Tag, Herr Streeck. Schön, dass Sie da sind. Bin ich zu hören? – Ja.
Vors. Andreas Nowak: Bitte nehmen Sie das Mikro näher ran.
Ines Biebrach, BSW: Genau, ich versuche das einfach mal. – Herr Streeck, Sie sind als Virologe geladen, und damit wir alle vom Gleichen reden, würde ich Sie doch bitten, uns erst mal noch mal den Coronavirus zu beschreiben. Also, was war der, wie gefährlich war der, was müssen wir uns unter dem Coronavirus vorstellen, zu welchen Wirkungen hat der geführt, und hat sich diese Annahme oder Situation über diese Zeit von 19 bis 24 geändert?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Ja, also Coronaviren sind eigentlich eine Familie, die Coronaviridae. Wir haben dort eine ganze Reihe an unterschiedlichen Viren, die Tiere, aber auch Menschen krankmachen können. Es gibt sieben humanpathogene Coronaviren, die den Menschen krankmachen. Dazu gehören vier unserer grippalen Infekte wie HKU1, 229E, NL63 usw., natürlich auch das SARS-1, was 2003 zum Ausbruch geführt hat, aber auch das MERS-Virus.
Alle diese Viren haben gemeinsam, dass sie bei uns respiratorische Infektionen auslösen. Das heißt nicht, dass das bei den Tieren auch so ist. Alle von denen haben eine ähnliche Struktur im Aufbau, also dieses Nucleocapsid. Es ist ein RNA-Virus, es hat diese Spikeproteine mit einer Hülle außen dran, und es hat einen ähnlichen Replikations-, also Vermehrungszyklus.
Was man bei den ganzen Coronaviren unterscheiden muss, ist, dass sie a) eine sehr unterschiedliche Infektionssterblichkeit haben. Es gibt Coronaviren, da wurde das überhaupt noch nicht in dieser Form festgestellt. Es gibt im Übrigen auch nur eine ganz schwache Studienlage dazu – einige Studien aus Brasilien, wenn ich mich nicht irre, haben das mal versucht zu bestimmen. Und wir nehmen an – – Und auf der anderen Seite zum Beispiel das MERS-Virus, das von Kamelen oder Zweihufern, auch Lamas, übertragen wird, von Dromedaren übertragen wird: Das ist ein Virus, das eine Infektionssterblichkeit von bis zu 36 % hat.
Wir haben hier eine unheimliche Spanne von gar nicht bis wirklich tödlich, und das – – Wir nehmen bei den Coronaviren an, dass sie alle irgendwann mal vom Tier auf den Menschen übergegangen sind. Zum Beispiel bei OC43 nehmen wir an – das ist natürlich vor unser aller Zeit gewesen, wo es auch noch nicht so eine Wissenschaft gab –, dass das in der Gegend von Taschkent von der Kuh auf den Menschen übergegangen ist; 1891 bis 95 gab es die Russische Grippe, dass das gar keine Grippe gewesen ist, sondern dass das dieses Coronavirus gewesen ist, was dort dann infolge rund eine Million Todesfälle weltweit gebracht hat. Auch da war die Aufzeichnung noch nicht so gut. Aber das ist das letzte Mal, dass wir das in dieser Form von diesem Virus, diesen älteren humanpathogenen Viren erlebt haben.
MERS wird immer mal wieder gerade vom Kamel auf den Menschen übertragen. Und das SARS-1 – das haben wir ja alle noch mehr oder weniger miterlebt –, das ist 2002/2003 auch in China von – wahrscheinlich – einem Larvenroller – das ist eine Marderart – auf den Menschen übergegangen, und hat dann infolge rund 8 000 Infektionen, Fälle verursacht, und zwar mit einer Sterblichkeit von 9 %.
Bei dem SARS-CoV-2-Virus: Ursprung unbekannt. Wir haben ein Virus, das ähnlich in der Fledermaus beschrieben wurde, mit einer Ähnlichkeit von 97 %. Das klingt nach sehr, sehr ähnlich, aber irgendwo müssen die 3 % herkommen. Das ist nicht etwas, das man so aus der Luft greift. Und wir sehen aber jetzt bei dem SARS-CoV-2-Virus eine wirklich starke Evolution. Also, das Wuhan-Virus kann man eigentlich nicht mehr vergleichen mit dem Omikron, mit der Omikron-Familie von diesen ganzen Virensuppen, die wir im Moment haben, sodass wir am Anfang dadurch wahrscheinlich auch unterschiedliche Symptomatiken, unterschiedliche Sterblichkeitsraten hatten im Vergleich zum Omikron, wie wir es dann seit – – Das war, glaube ich, im Winter 2021, als das aufgetreten ist. Hat das die Frage beantwortet?
Vors. Andreas Nowak: Weitere Fragen, Frau Kollegin Biebrach?
Ines Biebrach, BSW: Ja. Wir wollen das einordnen, diesen Virus, um auch einfach mal eine Basis zu schaffen. Vielleicht auch für alle, die jetzt schon mal Grippe hatten oder mit Grippe zu tun haben: Können Sie das mit anderen respiratorischen Viruserkrankungen vergleichen, dass man mal so einen Vergleich hat? Was ist daran jetzt schlimmer oder weniger schlimm? Also, was unterscheidet jetzt dieses SARS-CoV 2-Virus von anderen Viren, die ja da sind und uns auch böse an den Atemwegen befallen?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Ja, total schwer, die Frage zu beantworten, weil „schlimmer“ ist leider nicht unser Begriff dabei. Man kann natürlich verschiedene Arten unterscheiden oder sich auf unterschiedliche Weisen annähern. Man könnte auf der einen Seite die Sterblichkeitsrate heranziehen. Eine saisonale Grippe – je nachdem, welche Grippe wir haben und inwieweit das auch gemessen wird – hat eine Sterblichkeitsrate von, ja, rund 5- ,9-fach unter dem Wert, den wir in Heinsberg bestimmt haben.
Da gehen ja auch die Meinungen auseinander, wie die Sterblichkeitsrate am Ende für Infektionssterblichkeit sein sollte. Daher ist es zu dem Zeitpunkt – der Anfang des Auftretens – extrem schwer, da eine Einordnung zu machen im Vergleich zur saisonalen Grippe.
Man muss auch da sagen: Wir haben jedes Jahr eine unterschiedliche Grippe. Das sind – für uns – ganz unterschiedliche Viren. Das kennen Sie ja vielleicht, das H5N1, H3N2 – das sind für uns immer unterschiedliche Viren. Das ist wie SARS-CoV-1 und SARS CoV-2, wenn ich mal überspitze dabei – ganz so ist es nicht, das hat was mit dem genetischen Aufbau zu tun. Aber die – – Ich glaube, wir können auch das Anfangsvirus ganz schwer mit dem jetzigen Virus vergleichen. Jetzt würde ich mich eher wohl dabei fühlen, zu sagen, es hat sich eingereiht mit allen anderen respiratorischen Infektionen, die wir auch haben, die auch schwere Infektionen machen können.
Am Anfang der Pandemie hatten wir mit einem Virus zu tun, der gefährlicher ist und auch tödlicher ist als die damals in einigen Ländern der Welt grassierende Grippe. Also, diese Aussage kann man auch machen. Da jetzt einen Prozentsatz oder einen Schweregrad zu definieren, das ist eigentlich unmöglich.
Vors. Andreas Nowak: Frau Kollegin Biebrach.
Ines Biebrach, BSW: Eine kurze Nachfrage: Kann man sagen, dass sich die Bewertung der Gefährlichkeit mit dem Auftreten der Omikron-Variante geändert hat?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Nach meinen Erkenntnissen: Ja, mit Omikron hat sich schon der Schweregrad des Virus verändert. Es gibt auch – – Also, wir sehen weniger häufig die tiefen Lungenentzündungen, die ja eigentlich das Gefährliche daran sind, sondern mehr die Infektion der oberen Atemwege.
Es ist total schwer zu greifen – in meinen Augen, darum habe ich jetzt gezögert –; denn wir hatten gleichzeitig diese starken Impfkampagnen in Deutschland, sodass wir hier ja auch ein Zusammenspiel von Impfung und Omikron hatten. Und das kann man im Nachhinein nicht mehr auseinanderdividieren. Und das ist weltweit passiert, also die Impfkampagnen und Omikron, sodass man das sehr schwer auseinanderziehen kann. Es gibt natürlich Studien von Tierversuchen. In Göttingen sind, glaube ich, auch Studien dazu durchgeführt worden. Aber man kann es auf der Bevölkerungsebene wirklich schwer auseinanderrechnen, ja.
Vors. Andreas Nowak: Weitere Fragen, Frau Biebrach?
Ines Biebrach, BSW: Auch eher erst mal eine Verständnisfrage; denn wir haben schon über Inzidenz gesprochen bzw. Sie haben auch selber darüber gesprochen. Wie definieren Sie den Begriff „Inzidenz“?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Gut, Inzidenz ist ja ein wissenschaftlicher Begriff, der im Grunde – – Also, um es mal einfach zu sagen: Wir unterscheiden Inzidenz und Prävalenz. Prävalenz schaut einfach nur, wie häufig etwas auftritt. Und bei der Inzidenz nimmt man die gesamte Bevölkerung – also eine Stichprobe daraus – und misst immer wieder, ob etwas auftritt oder nicht. Und dann kann man sagen, dass es idealerweise soundso häufig auf 100 000 Einwohner einmal im Jahr auftritt oder alle drei Monate auftritt oder sowas. Und das ist der Begriff der Inzidenz. Die Inzidenz sagt sehr viel genauer, wie häufig eine bestimmte Erkrankung vorkommt. Die Prävalenz sagt eigentlich nur, dass man das soundso häufig beobachtet hat – ohne spezifisch da nachzuschauen.
Vors. Andreas Nowak: Weitere Fragen, Frau Kollegin Biebrach?
Ines Biebrach, BSW: Okay, ja. Ich hätte noch eine Frage, auch eine Begrifflichkeit, und dann komme ich noch zu anderen Fragen. Was verstehen Sie unter dem Begriff „Herdenimmunität“, und inwieweit ist das im Rahmen einer solchen virologischen Erkrankung oder einer Erkrankung aufgrund eines Virus möglicherweise eine normale Entwicklung?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Ja, also der Begriff „Herdenimmunität“ ist im Kontext von Corona sehr schwer zu greifen, denn wir haben im – – Ursprünglich kommt es ja aus der Viehzucht. Es gibt ein Bakterium, das Kälber wirklich tötet, aber die erwachsenen Kühe nicht. Man hatte damals versucht, alle Kühe, die infiziert sind, zu keulen, um die Kälber zu schützen, bis dann ein schlauer Veterinärmediziner darauf gekommen ist: Nee, die haben ja eine Immunität durchgemacht und dadurch, dass alle erwachsenen Kühe geschützt sind, ist dann das kleine Kalb auch geschützt und das Bakterium kommt gar nicht mehr an die ran. Davon ist der Begriff „Herdenimmunität“ ausgegangen.
Also die Idee ist im Grunde, dass die geschützten Bevölkerungen die Vulnerablen vor der Erkrankung schützen. Das ist jetzt im Kontext von einem Virus wie Corona schwer, darüber zu reden. Ich hatte mit einem Journalisten mal 21 Minuten darüber geredet und die haben dann nur einen Satz daraus gemacht. Das war, wo ich dann selber hart noch mal reingegangen bin, weil man kann es eben dann leider nicht so gut greifen.
Wir haben einen gewissen Zeitpunkt einer Infektionswelle. Es bildet sich bei einem Virus, wo wir keine schützende Immunität in dem Sinne aufbauen, sondern jedes Jahr wieder eigentlich eine Immunität wiedererlangen, also wieder erringen durch einen Booster, durch einen – – Dadurch, dass unser Immunsystem noch mal Kontakt mit dem Virus oder der Impfung hatte, bauen wir immer wieder so einen gewissen Schutz auf, der uns auch dann wahrscheinlich, mit einer höheren Wahrscheinlichkeit, vor einer Infektion schützt für ein paar Monate. Und es wird wahrscheinlich einen Zeitpunkt jeden Herbst und Winter geben – theoretisch, man kann es ja nicht greifen –, wo wir auch eine gewisse Herdenimmunität dahin gehend haben, dass die, die gerade alle eine Infektion durchgemacht haben, die schützen, die noch keine Infektion durchgemacht haben. Aber für so ein respiratorisches Virus kann man nicht einfach sagen, wir setzen hier rein auf die Herdenimmunität, weil wir es leider nicht in dem Sinne bekommen.
Wir haben das in anderen Bereichen. Wir haben das zum Beispiel bei Masern. Auch durch die Masernimpfung haben wir eine Herdenimmunität. Das ist ja ein unheimlich ansteckendes Virus von einem R-Wert von 18 so im Schnitt. Dadurch, dass wir so eine hohe Impfquote haben mit einem Impfstoff – der schützt vor der Infektion, also auch einen Eigenschutz und Fremdschutz bietet –, haben wir keine großen Masernausbrüche mehr in Deutschland, weil wir eben eine so hohe Immunitätsrate haben. Hier kann man dann von einer Herdenimmunität sprechen.
Vors. Andreas Nowak: Weitere Fragen beim BSW?
Ines Biebrach, BSW: Genau. Herr Streeck, wir hatten das Thema Heinsberg-Studie ja schon mal. Vielleicht noch mal eine Nachfrage dazu: Sie konnten ja nicht beantworten, wer wann diese Daten der Heinsberg-Studie zur Kenntnis genommen hat, ob jetzt in Sachsen oder anderswo. Haben Sie versucht, diese Daten mal an politische oder andere Akteure, das RKI, wem auch immer, weiterzugeben? Können Sie mir sagen, wie damit umgegangen worden ist, wenn ja?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Also, wir haben ja zum einen die Daten sehr schnell veröffentlicht, sobald wir sie hatten. Wir haben ja auch sehr schnell den Preprint auf einen eigenen Server hochgeladen und hatten eine Pressekonferenz, um deutlich zu machen, dass wir diese Daten jetzt haben. Ich habe sehr viel später – ich kann Ihnen aber nicht mehr sagen, wann – mal mit dem Robert Koch-Institut telefoniert und auch angeboten, die Daten weiterzugeben, und hatte, woran ich mich erinnern kann, auch einzelne Wissenschaftler angerufen, ob sie damit arbeiten wollen. Aber das war eine Phase, wo viele, glaube ich, da für sich selber das erst mal machen wollten.
Vors. Andreas Nowak: Sie haben noch Zeit, Frau Kollegin.
Ines Biebrach, BSW: Sie haben vorhin ja auch schon mal zur Frage der Datenerhebung was gesagt, dass Sie sich auch mehr gewünscht hätten, es hätte eine richtige Seuchenbehörde gegeben, da Gutachten gemacht worden sind. Vielleicht doch noch mal eine grundsätzlichere Frage: Welche Daten oder welche Studien hätten nach Ihrer Ansicht durchgeführt werden sollen, die nicht durchgeführt worden sind oder die zentral jedenfalls nicht durchgeführt worden sind? Welche Daten erhebt man denn sinnhafterweise in einer solchen Situation und wie macht man das mit Studien?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Ja, also, ich will nur eine Sache auch noch mal deutlich machen: Es geht mir hier überhaupt nicht um ein RKI-Bashing – das RKI hat genau das gemacht, wofür sie einen Auftrag bekommen hatten –, sondern wir müssen über die Rahmenbedingungen des RKI irgendwann einmal sprechen, also als Reform.
Andere Länder wie England, aber auch Israel haben – oder auch Dubai war es oder waren es die Vereinigten Arabischen Emirate –, systematisch in der Bevölkerung einmal im Monat mit PCR-Test das Infektionsgeschehen gemessen. Dadurch konnte man sehr genau sagen, wie eigentlich die Inzidenz ist, wie sich das Infektionsgeschehen verhält in der Bevölkerung. Bei uns war das leider abhängig von der Anzahl der Tests. Es ist natürlich so, dass man, wenn man dann mehr testet in so einer Phase, dann auch mehr Infektionen findet, aber man gar nicht mehr richtig reagieren kann, wenn man einen Infektionsgeschehen-Anstieg hat, weil man das gar nicht systematisch erfasst hat. Da haben ja auch andere sehr oft darauf hingewiesen. Auch die akkreditierte Labormedizin hat irgendwann dargestellt: Testpositivität, wie viele Tests durchgeführt wurden im Vergleich zur Positivität, dass man da wenigstens einen Quotienten drin rausrechnet. Aber so eine systematische Erfassung, das hätte ich mir wirklich für Deutschland gewünscht, weil dann hätte man auch eher sehen können, ob bestimmte Maßnahmen einen Einfluss haben oder nicht.
Ich hätte mir aber auch gewünscht, dass vergleichende Studien durchgeführt werden. Ich hatte es einmal – bei Maischberger war das, glaube ich – gesagt, dass ich mir wünschen würde: Wir wussten damals nicht, was der Einfluss von Schulschließungen auf das Infektionsgeschehen hat. Und ich hätte mir gewünscht, dass man in einem Ort die Schulen schließt und in einem anderen vergleichbaren Ort mit einer Studie die Schulen offen lässt. Weil beides in meinen Augen ist ein Experiment gewesen, in die eine oder die andere Richtung. Ich bin damals, wie Sie vielleicht wissen, sehr angegangen worden dafür, für solche Aussagen. Aber das ist etwas, wo wir systematisch erfassen müssen, ob auch Maßnahmen funktionieren oder nicht. Man kann nicht nur alleine aus der Gleichung „weniger Infektionen durch weniger Kontakte“ ausrechnen: Ja, das ist jetzt der richtige Weg. Sondern man muss auch irgendwann – vielleicht nicht gleich am Anfang –, in einer Pandemie dahin kommen, dass man auch ein Feintuning macht und nicht immer mit dem Hammer draufhaut, weil man denkt, viel hilft viel. Da hätte ich mir für das Robert Koch-Institut gewünscht, dass es da die Möglichkeit hat – noch mal: es ist gar keine Kritik am RKI –, da auch so handeln zu können.
Vors. Andreas Nowak: So, die Fragezeit in der ersten Runde ist jetzt abgelaufen. Wir gehen weiter zur Fraktion SPD. Frau Abg. Koch, bitte.
Sophie Koch, SPD: Vielen Dank, Herr Vorsitzender. Vielen Dank, Herr Streeck, für Ihre Ausführungen. Auch wenn Sie eingangs gesagt haben, dass Sie zu Sachsen vielleicht nicht absolutes Detailwissen haben, können Sie trotzdem noch einmal skizzieren, wie sich denn das Coronavirus entwickelt hat, natürlich deutschlandweit, aber vor allen Dingen auch mit einem Blick auf Sachsen: Gab es Besonderheiten für unser Bundesland aus Sicht der Wissenschaft?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Ja, gut, deutschlandweit wissen wir ja, dass wir am Anfang mit der Wuhan-Variante zu tun hatten – mit einer kleinen Mutation, die aber nicht viel ausgemacht hatte – und irgendwann die Alpha-Variante kam, über mehrere kleinere Varianten dann Delta als Hauptvariante und dann Omikron. Seit Omikron hat sich das Virus in so ein Korsett begeben, dass es sich innerhalb von Omikron immer weiterentwickelt, aber nicht mehr diesen Schritt macht, wie man irgendwann mal gesagt hat – „Deltakron“ oder solche Entwicklungen –, die dann noch mal was Neues bieten würden.
Das Infektionsgeschehen zu Sachsen habe ich nur dahin gehend natürlich verfolgt, dass wir einige Gebiete in Sachsen hatten, wo wir meines Wissens relativ hohe Infektionen hatten, vor allem zur Grenze zu Tschechien. Ja, das sind immer so anekdotische Erzählungen, die natürlich nicht irgendwie was Wissenschaftliches sind. Daher würde ich mich da weiter zurückhalten. Zumindest, wie ich weiß, ist auch die Impfquote in Sachsen im Vergleich zu anderen Bundesländern, vor allem auch in den gleichen Gebieten, mit am niedrigsten gewesen. Das Letzte, was ich vielleicht aus Sachsen noch mitbekommen hatte, war, glaube ich, dass der Anteil an gemeldeten Impfschäden aus Sachsen auch im Vergleich zu anderen Bundesländern mit am höchsten liegt.
Vors. Andreas Nowak: Weitere Fragen, Frau Kollegin Koch?
Sophie Koch, SPD: Ja. Ich würde gern noch mal einen Blick werfen auf die Frage nach besonders schützenswerten Gruppen bzw. Gruppen, für die das Coronavirus besonders gefährlich war, ob Sie da noch mal einen Abriss geben könnten und vielleicht auch da, ob Sie eine Aussage haben, wie sehr diese in Sachsen vertreten sind. Wir sind ja unter anderem eines der ältesten Bundesländer.
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Also, es ist relativ früh deutlich gewesen, auch schon durch Daten aus China, dass vor allem die vulnerablen Gruppen für dieses Virus sich dadurch zusammensetzen, dass sie ein hohes Alter haben und/oder bestimmte Vorerkrankungen, wo jede respiratorische Infektion eine zusätzliche Belastung der Atmung oder des Herz-Kreislauf-Systems ist. Also anders gesagt: Ältere Menschen sind besonders gefährdet und die, die eine Herzerkrankung haben oder vor allem eine Lungenerkrankung wie zum Beispiel eine COPD, weil: Das kann man sich ja vorstellen, wenn dann noch mal eine Extrabelastung durch ein Virus draufkommt, das kann dann tödlich wirken.Wir haben am Anfang der Pandemie gesehen, dass sich Kinder weitaus seltener infizieren als Erwachsene. Da gab es mehrere Studien. Das hat sich aber im Laufe der Varianten, muss man dazusagen, geändert. Bei Omikron sehen wir keinen Unterschied mehr, am Anfang der Pandemie war da ein deutlicher Unterschied.
Wir haben auch – und darüber haben wir noch gar nicht gesprochen – in der zweiten Welle einen Unterschied in den Infektionsverteilungen – deutschlandweit jetzt – in der ersten und zweiten Welle gesehen. Während in der ersten Welle eher, sage ich mal, gut situiertere Menschen infiziert gewesen sind – sich das vor allem durch die Ischgl Rückkehrer manifestiert hat, dass sich dort das erste Infektionsgeschehen in der ersten Welle ausgebreitet hat –, haben wir in der zweiten und dritten Welle – das Robert Koch Institut hat dazu eine Studie gemacht –, hat sich das verschoben in sozioökonomisch schlechter gestellte Regionen, sodass sich vor allem – – Wir haben das bei uns in Köln in der Gegend sehr deutlich gesehen. Lindenthal ist so eine Villenviertel-Gegend. Da hatten wir eine Inzidenz von 1. Chorweiler sind Hochhäuser – dort hatten wir eine Inzidenz von fast 1 000.
So, und das ist etwas total Wichtiges aus der Infektiologie: dass Infektionen vor allem die am stärksten betreffen, die am wenigsten zum Leben haben. Das ist weltweit so. Die schlimmsten Infektionserkrankungen weltweit sind bei den Menschen, die weniger als zwei Dollar pro Tag zum Leben haben. Und das ist natürlich – – In Deutschland haben wir ein anderes System.
Aber was wir in meinen Augen haben und worüber wir reden müssen: Wir haben Infektionen eher in solche Ballungsgebiete getrieben, auch durch Homeoffice und Homeschooling, weil Eltern und Kinder zu Hause in Hochhäusern im schlimmsten Fall gewesen sind und gar keine Möglichkeit hatten, wenn einer infiziert war, auseinanderzugehen. Das ist etwas, worüber man vielleicht reden muss, wie man so was in der Zukunft anders gestaltet, dass man gerade in solchen Regionen auch Möglichkeiten schafft, sich besser aus dem Weg zu gehen.
Vors. Andreas Nowak: Weitere Fragen, Frau Koch? – Dann ist jetzt die Fraktion BÜNDNISGRÜNE an der Reihe. Herr Abg. Lippmann, bitte.
Valentin Lippmann, BÜNDNISGRÜNE: Ja, vielen Dank, Herr Vorsitzender. – Vielen Dank, Herr Prof. Streeck, dass Sie uns als Sachverständiger zur Verfügung stehen. Ich möchte meine Fragen vor allem auf das richten, worauf Sie am Anfang eingegangen sind und jetzt auch immer mal wieder zurückgekommen sind: das Thema Verhältnis von Wissenschaft und Politik in schwierigen Entscheidungssituationen. Denn das ist ja auch quasi Kern der Frage: Wie kommen Entscheidungen der Politik zustande? Sie haben am Anfang ja unter anderem dargestellt, wie die Problematik ist, und Ihre anderen Aufstellungswünsche des RKI ja auch.
Ich würde mal anfangen damit: Sie haben ja selber gesagt, dass der Forschungsstand vollkommen unterschiedlich sein kann, dass Wissenschaft eher immer ein Spektrum darstellt, in quasi verschiedener Ausprägung vom Stand der Wissenschaft, vielleicht auch vom Stand der Erkenntnis zum jeweiligen Zeitpunkt. Wie halten Sie es dort für sinnvoll – – Weil Sie gesagt haben, am Ende muss ja Politik entscheiden – das ist ja klar, und sie wollen das ja auch getrennt haben. Wie soll man als Politik aus Ihrer Sicht eine Entscheidung treffen, wenn Wissenschaft sich nicht einig ist? Ich spitze es jetzt mal zu Beginn etwas zu.
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Dafür trägt der Politiker die Verantwortung: dass er durch das Abwägen von Für und Wider von beiden Seiten am Ende die Entscheidung treffen muss – und das nach bestem Wissen und Gewissen.
Valentin Lippmann, BÜNDNISGRÜNE: Da ich diese Antwort schon antizipierte – die ich auch vollkommen verstehe –, ist die Frage: Was ist denn aus Ihrer Sicht die Voraussetzung für die Informationen, die dann vorliegen müssen für eine Entscheidung? Also, wie kann aus – – Was sind die Voraussetzungen, die die Wissenschaft liefern muss, damit die Politik diese Abwägung am Ende treffen kann?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Auch da denke ich, dass die Politik am Ende eine Entscheidung finden und treffen muss – auch ohne, dass die Wissenschaft zu dem Zeitpunkt Ergebnisse geliefert hat. Die Wissenschaft funktioniert leider nicht immer so, dass sie auf Knopfdruck bestimmte Ergebnisse liefern kann. Sie kann sich – – Sie kann beratend tätig sein, sie kann vielleicht auch präliminäre Daten zur Verfügung stellen und sagen: Nach meiner Expertise schätze ich das soundso ein. Aber auch da muss die Politik – auch in Unwägbarkeiten – am Ende die Entscheidung treffen und hat dafür auch die Verantwortung.
Valentin Lippmann, BÜNDNISGRÜNE: Mhm. Sehen Sie trotzdem die Notwendigkeit, irgendwelche Mindeststandards, beispielsweise was auch – – Sie haben ja quasi so Beratungskreise und Beratungsstrukturen mit Blick auf andere Staaten in dem Fall angesprochen. Sehen Sie da irgendwelche Mindeststandards, die man einführen müsste aus Ihrer Sicht?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Nicht für die Studien, die durchgeführt wurden oder durchgeführt werden. Da muss man sagen: Dabei muss sich die Politik einfach so aufstellen, dass sie die Ergebnisse, die sie haben will, am Ende auch bekommt. Da kann – – Da ist nicht die Wissenschaft am Ende in der Pflicht, aber die Politik tut gut daran, sich gut wissenschaftlich beraten zu lassen, und zwar auch multidisziplinär und aus unterschiedlichen Fachbereichen.
Ich vergleiche das gerne manchmal – wenn Sie einen Star Trek geschaut haben – mit Next Generation, wo Picard sich erst mal von allen die Meinung angehört hat und dann am Ende doch selber entschieden hat. So in der Art sollte das die Politik am Ende auch machen.
So ein Expertengremium muss natürlich auch zusammengesetzt werden – nicht in der Art „Ach Mensch, der hat eine tolle Meinung, den nehme ich dazu, und der hat eine gute Meinung, den nehme ich dazu“; denn – wie ich eingangs gesagt hatte – für jede Meinung findet man auch einen Experten, der das am Ende vertritt. Wir glauben, wir sollten hier Standards entwickeln, wie wissenschaftliche Beratung stattfindet. Ich würde sie interdisziplinär, unabhängig und auch nach festgelegten Kriterien zusammengesetzt sehen wollen.
Zum Beispiel – einfach nur, um ein Beispiel zu sagen –: Es kann nicht alleine eine Metrik gelten, wie in der Wissenschaft üblich ist, dass man sagt: Anzahl der Publikationen in einem bestimmten Fach. Sondern es müssen auch Metriken gelten, wie: Ja, der leitet eines der größten Gesundheitsämter in Deutschland, der ist da die ganze Zeit vor Ort und weiß auch sehr gut damit umzugehen. Also, ich glaube, man müsste einen Metriken-Katalog entwickeln, damit multidisziplinär, interdisziplinär eine Beratung stattfindet; am besten geleitet durch jemand Unabhängiges, der am Ende das Für und Wider transparent und öffentlich für die Argumente darstellt, und damit auch begründet werden kann, warum eine bestimmte Entscheidung getroffen wurde oder gegen eine wissenschaftliche Beratung gehandelt wurde. Auch das muss ja im Rahmen der Möglichkeiten sein.
Valentin Lippmann, BÜNDNISGRÜNE: Nun können sich ja die Erfordernisse an die Zusammensetzung solcher Gremien innerhalb einer mehrjährigen Pandemie ändern. Ich glaube, es ist ja von Ihnen schon deutlich gewesen: Man trifft ja die Entscheidung immer in Erkenntnis, in der jeweiligen Situation. Und Sie haben ja selber gesagt, man sollte hier an der Stelle keine Rückschaufehler machen.
Das heißt, man muss ja immer von dem Stand ausgehen, den man damals hatte. Und am Anfang waren ja vor allen Dingen die Virologie und artverwandte Wissenschaften in den Beratungsgremien sehr stark gefragt. Das hat sich ja dann später durchaus auch referenziert. Würden Sie auch da quasi stärker Standards etablieren – aus Ihrer Sachverständigensicht –, wie man damit umgeht, wenn sich quasi die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ändern? Oder die Rahmenbedingungen einer Pandemie, besser gesagt.
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Also, ich glaube, wir müssen von Anfang an – auch bei so einer Krise oder einer anderen Krise – die Weitsicht haben, dass wir hier auch bestimmte Expertisen von Anfang an immer dabeihaben werden. Also, ich glaube, soziologische oder psychologische Expertise – – Ich finde, für eine Gesellschaft ist das etwas, das uns allen auch hilft – in jeder Form von Krise –, dann zu sehen, wie wir da zusammenhalten.
Ich fand auch – – Ich habe ja in vielen unterschiedlichen Expertengremien gesessen. Zunächst in NRW bei Armin Laschet – sehr kleine Gruppe –, aber da war ich der einzige Virologe. Da war ein Soziologe, eine Ethikerin, ein Philosoph, aber auch Udo Di Fabio als ehemaliger Verfassungsrichter. Ich glaube, dass man bis heute diese Stellungnahmen sehr gut lesen kann und auch lesen kann, dass da sehr differenziert argumentiert wurde. Wir haben an den Texten immer gemeinsam gearbeitet, und ich habe wahnsinnig viel aus der Psychologie und Soziologie dort gelernt. Die haben, glaube ich, in der Zeit auch viel aus der Virologie gelernt, sodass diese Art von Zusammenarbeit, wenn man die professionalisiert, dort wirklich fruchtvolle Beratungen rauskommen können, die ja in erster Linie an die Politik gehen. Aber ich würde mir da auch eine Transparenz der Beratung wünschen, weil das schafft am Ende auch Vertrauen in die Wissenschaft.
Und gerade in Zeiten wie diesen wollen wir doch auch ein Vertrauen in die Wissenschaft stärken, indem man nicht gegen einzelne Wissenschaften oder Wissenschaftler vorgeht.
Valentin Lippmann, BÜNDNISGRÜNE: Vielleicht die letzte Frage in dem Komplex. Nun spiegelt sich ja diese Beratung nicht ausschließlich intern wider, sondern sie findet ja auch über öffentliche Rezeption statt. Und das Problem ist ja nicht nur, dass sich Politik möglicherweise sehr stark auf einzelne Persönlichkeiten verlässt, sondern – Sie kennen ja quasi das geflügelte Wort – es hat ja jeder quasi gefühlt seinen Hobby-Virologen, den er gut fand – auch in der Öffentlichkeit. Und das führt ja dazu, dass sehr stark Druck ausgeübt wird auf Politik, durch veröffentlichte Positionen von Expertinnen und Experten.
Meine Frage – da Sie ja nun mehrfach auch wirklich sehr pointiert dargestellt haben, dass Wissenschaft auch immer in einem Bereich von Unsicherheit und nie von hundertprozentiger Klarheit stattfindet –: Wie kann es aus Ihrer Sachverständigensicht gelingen, für zukünftige Krisen diese Unsicherheit besser darzustellen, damit nicht jedes – – Sie haben ja selber gesagt, manche Dinge stellt man erst mal in den Raum, dann werden sie falsifiziert, gleichzeitig steht das dann erst mal im Raum und es wird gesagt: Das müsst ihr jetzt so machen. Wie kann man das möglicherweise stärker nivellieren, dieses Problem?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Ja, ich glaube, man muss gerade in solchen Krisen die Kommunikation kanalisieren. Dahin gehend: Klar, jeder kann offen seine Meinung sagen, aber ich glaube, diese Beratung aus dem Expertengremium, das ist ein luftleerer Raum gewesen, weil das nicht in einer guten Weise nach außen kommuniziert wurde.
Und ich denke, wie andere Länder das gemacht haben – – Wie England zum Beispiel oder auch Israel, auch Schweden hat das zum Teil: einen Government Chief Scientific Adviser. In England hat sie 25 Expertengremien, sie ist die Kommunikationsperson für das Land von den Expertengremien und sagt: Diese ganze Kommunikation, das Für und Wider, die Debatte, die stelle ich nach außen dar. Das würde auch die einzelnen Punkte, die einzelnen Erkenntnisse vielleicht ein bisschen in den Hintergrund rücken.
Sondern: Wir haben hier die Erkenntnis und hier die Erkenntnisse, aber wir haben jetzt – darauf basierend, was wir alle gelernt haben – in allen Fachbereichen gelernt und wir treffen die und die Entscheidung. Das würde sowohl die Wissenschaft in der Krise ein wenig rausnehmen aus dem Feuer, dem Brennglas, und gleichzeitig auch die politische Verantwortung der Entscheidung wieder mehr in den Vordergrund rücken.
Valentin Lippmann, BÜNDNISGRÜNE: Vielen Dank; keine weiteren Fragen erst mal.
Vors. Andreas Nowak: Dann geht das Fragerecht in dieser Runde jetzt an die Fraktion Die Linke. Herr Abg. Gebhardt, bitte.
Rico Gebhardt, Die Linke: Vielen Dank, Herr Vorsitzender. Vielen Dank, Herr Professor, für Ihre bisherigen Ausführungen und auch die Antworten. Sie sind ja unser erster Sachverständiger, und deswegen will ich meine ersten Fragen auch ein bisschen nochmals stellen, auch wenn Sie sie vielleicht despektierlich sehen; sie sind aber nicht so gemeint – Vorbemerkung deswegen.
Sie haben den Begriff zwar jetzt schon mehrfach selbst verwendet, aber ich hätte es gerne noch mal gehört. Wir hatten es im Zusammenhang mit Corona mit einer Pandemie zu tun, weltweit.
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Ja, ich weiß, woher die Frage kommt. Aber der Begriff der Pandemie trifft lexikonartig auf dieses Virus zu, ja.
Rico Gebhardt, Die Linke: Damit ging – –
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Aber, wenn ich dazusagen darf, wir hatten parallel – vielleicht haben Sie es nicht mitbekommen – eine Affenpocken-/Mpox-Pandemie, und wir haben immer noch eine HIV- und Aids-Pandemie. Also der Begriff der Pandemie wird hier jetzt so hochgebauscht als etwas, als wäre es ewig nicht dagewesen. Wissenschaftlich leben wir andauernd in unterschiedlichen Pandemien, und das hatten wir auch in der Coronazeit.
Rico Gebhardt, Die Linke: Okay. Und damit gingen aber gesundheitliche Risiken für die Bevölkerung aus, korrekt?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Genauso wie bei den anderen Pandemien auch – ja, so ist es definiert.
Rico Gebhardt, Die Linke: Und deswegen ist es gegeben, dass Politik und letztendlich auch Medizin Empfehlungen ausgesprochen haben, Schutzmaßnahmen zu ergreifen?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Können Sie die Frage noch mal wiederholen?
Rico Gebhardt, Die Linke: Wenn wir von einer Pandemie sprechen und wenn wir von gesundheitlichen Risiken sprechen, ist es doch Verantwortung für die Politik – ich sage jetzt mal Stichwort: Grundgesetz –, aber letztendlich auch für die Medizin, Empfehlungen auszusprechen, dass aufgrund der gesundheitlichen Folgen Schutzmaßnahmen zu ergreifen sind.
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Ich kann die Frage so nicht beantworten, weil da muss ich ja sagen – weil sie so allgemein gestellt wurde –, dass ich hier nicht antworten kann mit einem einfachen Ja und Nein, weil eine – – Um das mal abzuhebeln von der Coronapandemie: Natürlich muss ein Staat dafür sorgen, dass die Bevölkerung aufgeklärt ist über eine Pandemie, einen Erreger und einen Virus. Aber bei HIV ist es ja auch so gewesen, dass wir Kampagnen hatten wie „Kondome schützen“. So, wie Sie die Frage gestellt haben, ist aber ja was anderes impliziert. Und darum kann ich die Frage so nicht beantworten.
Rico Gebhardt, Die Linke: Dann stelle ich sie noch mal anders: War es denn medizinisch geboten, Maßnahmen zu ergreifen, um die Pandemie einzudämmen? Zum Beispiel die Empfehlung, Masken zu tragen.
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Eine Empfehlung ist kein Maßnahmen-Ergreifen.
Rico Gebhardt, Die Linke: Und hat denn die Impfung einen Nutzen gebracht? Sie hatten ja vorhin gesagt im Zusammenhang mit der Omikron-Variante, dass es aus Ihrer Sicht so gewesen ist.
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Noch mal.
Rico Gebhardt, Die Linke: Hat denn die Impfung einen Nutzen in Bezug auf die Eindämmung gebracht? Sie hatten ja vorhin erwähnt – das war ja die Omikron-Variante –, dass es nachweisbar gewesen wäre.
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Ja, ich glaube, bei der Impfung muss man wirklich zwischen verschiedenen Faktoren unterscheiden. Auf der einen Seite haben wir ein unterschiedliches Verhalten des Schutzes bei den unterschiedlichen Varianten. Bei Delta hat man sehr wohl einen Schutz, auch anfänglich einen Fremdschutz gesehen. Da gab es eine sehr schöne Studie im „New England Journal“, die gezeigt hat, dass sechs Monate lang ein Schutz vor der Infektion um die 90 % existiert, aber das relativ schnell einbricht, weil die Immunität weggeht.
Diese ganzen Studien sind aber nicht mehr valide, sobald wir dann diese Immunflucht und die starke Entwicklung durch Omikron gesehen haben, und ich kenne persönlich keine Studie, die jetzt diesen Schutz durch Omikron – Fremdschutz durch Omikron – noch zeigt. Wir haben sowieso eine Situation, wo so was wahrscheinlich sehr schwer zu erheben ist, weil wir kaum Menschen haben oder eigentlich keinen Menschen mehr haben, der nicht in irgendeiner Weise eine Immunität gegen das Virus aufgebaut hat.
Dann ist aber der ganze andere Komplex vom Eigenschutz: Wie gut schützt die Impfung vor einem schweren Verlauf, vor allem bei vulnerablen Gruppen? Und da muss man auch wieder differenzieren: Ist Omikron und die Zeit nach Omikron. Die Daten bis Omikron zeigen das sehr deutlich, dass es einen Schutz vor einem schweren Verlauf gibt, vor allem für vulnerable Gruppen. Da muss man auch mal altersabhängig schauen. Es gibt für die Zeit danach in meinen Augen keine guten Studien, die jetzt speziell für die Omikron-Variante und den Impfschutz den Schutz vor dem schweren Verlauf zeigen, weil wir eben auch eine Grundimmunität bereits in der Bevölkerung haben. Es gibt wohl Studien, die das zeigen, aber die Problematik ist, dass wir so eine Mischung mittlerweile haben, auch mit angepassten Impfstoffen, veränderten Viren und immer weiter veränderten Viren, sodass das mittlerweile wirklich schwer geworden ist. Man kann natürlich immer ableiten von den vorherigen Studien, die da zuhauf durchgeführt wurden.
Rico Gebhardt, Die Linke: Vielen Dank. Dann hatten Sie gerade mit Herrn Lippmann einige Fragen im Disput, was Wissenschaftserkenntnisse betrifft. Nein, nicht im Disput – er hat Fragen gestellt, Sie haben sie ihm beantwortet, und ich glaube, er war zufrieden. Zumindest kenne ich ihn, dass er zufrieden war. Ich habe noch eine Nachfrage zu den Fragen, die er gestellt hat. Wenn Sie sagen, dass sich wissenschaftliche Erkenntnisse verändern, bedeutet das letztendlich ja aber auch in einer Pandemie – wenn wir jetzt bei der Begrifflichkeit bleiben –, dass sich auch politische Entscheidungen verändern müssen, wenn neue wissenschaftliche Erkenntnisse da sind.
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Ja, das ist ja so allgemein gefragt, dass ich theoretisch jetzt erst mal sage: Ja, natürlich, mit verändertem Wissen ändern sich auch politische Entscheidungen.
Rico Gebhardt, Die Linke: Gut. Dann habe ich noch eine Frage. Die ging um die Heinsberg-Studie, weil die heute schon mehrfach erwähnt worden ist. Gibt es denn in der Studie Hinweise auf asymptomatische Übertragungen?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Wir haben keine asymptomatischen Übertragungen gezeigt. Wir haben asymptomatische Infektionen gezeigt. Der Nachweis der Übertragung ist total schwer, weil man ja im Grunde dabei sein muss, um zu zeigen, dass auch die ganze Zeit keine Symptome da sein können. Es kann ja auch mal einen halben Tag – – Da wacht man morgens mit einem leichten Schnupfen auf und hat dann eigentlich definitionsgemäß Symptome. Man kriegt das aber gar nicht so richtig mit und am Abend hat man das nicht mehr und hat in der Zeit jemanden angesteckt. Daher kann ich nicht sagen, inwieweit wir da aus Heinsberg Evidenz dafür haben.
Rico Gebhardt, Die Linke: Vielen Dank. Ich habe erst mal keine weiteren Fragen, Herr Vorsitzender.
Vors. Andreas Nowak: Vielen Dank. Dann treten wir ein in eine zweite Fragerunde. Da hätte ich eine. Herr Prof. Streeck, Sie erwähnten vorhin, dass es in Sachsen eine niedrigere Impfquote, aber einen statistisch höheren Anteil an Impfschäden gebe. Vielleicht können Sie das noch einmal einordnen. Liegt das an dieser statistischen Evidenz, wenn man sozusagen weniger geimpfte Menschen hat, dass dann die Anzahl der Impfschäden sozusagen überproportional erscheint, oder gibt es da andere Möglichkeiten, woran so was liegt? Vielleicht können Sie dazu noch mal was sagen.
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Ich kann hier nur spekulieren. Sehen Sie mir es auch nach, ich kann Ihnen auch da keine genauen Zahlen dafür nennen, wie es genau in Sachsen sich verhält und was die Gründe oder Beweggründe in Sachsen sind.
Ich glaube, wir sehen noch etwas anderes dabei in diesem Zusammenhang, dass man hier keine klaren Aussagen treffen kann, sondern dass wir auch das Paul-Ehrlich Institut vielleicht hier – das macht auch wieder genau das, wofür es aufgestellt ist –, reformieren sollten, auch vielleicht enger an das Robert Koch-Institut als zwei Bundesoberbehörden enger zusammenarbeiten lassen sollten, dass potenzielle Impfschäden oder Verdachtsfälle anders erfasst werden. Im Moment hängt es ja davon ab: Ein Impfschaden wird erfasst, wenn der potenziell Geschädigte sagt, er hat einen Impfschaden. Dann muss der Arzt das aufzeichnen und festhalten und ans Paul Ehrlich-Institut melden. Da sind schon mehrere Instanzen dabei, wo eine Unsicherheit reinkommt. Nämlich erst mal muss der Patient selber erkennen oder glauben, er hat einen Impfschaden, dann muss der Arzt das auch selber irgendwie für plausibel halten und zuletzt ist dann die Meldung ans Paul-Ehrlich-Institut, was dann die Entscheidung darüber trifft, ob da auch der – – Oder es geht, glaube ich, erst übers Land in einigen … und dann ans Paul-Ehrlich-Institut.
Die Problematik dabei ist, dass wir bei solchen Sachen keine systematische sogenannte Phase 4 haben, wo wir Studien, wo wir so was auch systematisch erfassen, sodass hier in Sachsen können verschiedene Sachen gewesen sein. Aber es ist reine Spekulation von meiner Seite. Es könnte sein, dass die Ärzte vigilanter sind oder die Bevölkerung vigilanter, also eher so was wahrnehmen, dass sie glauben, dass es eher Impfschäden gibt. Es könnte aber auch sein, dass hier mehr mit AstraZeneca geimpft wurde und es bei AstraZeneca ja erwiesenermaßen zu häufigeren Hirnvenenthrombosen und Embolien kommt, sodass das dann daraufhin eher darauf reagiert wurde: Nein, wir wollen hier weniger geimpft werden. Da gibt es viele Faktoren, die da reinspielen. Alleine, dass wir keine klaren Aussagen treffen können, zeigt einfach, dass wir dieses System anders aufstellen sollten für die Zukunft.
Vors. Andreas Nowak: Vielen Dank. Herr Kollege Wendt, haben Sie weitere Fragen? – Dann geht das Fragerecht zur Fraktion CDU. Die Frau Abg. Steiner, bitte.
Jessica Steiner, CDU: Ja, vielen Dank, Herr Vorsitzender. Vielen Dank, Prof. Streeck. Wir haben vorhin gehört, Sie haben gesagt, Sie wünschen sich natürlich, dass allewissenschaftliche Evidenz auch Eingang in die sächsische Politik und Entscheidungen gefunden hätte, und der Kollege Prantl hat Sie gefragt, ob Sie eingeladen worden sind.
Ich möchte gerne wissen, ob Sie die Veröffentlichungen, die Sie damals gemacht haben – Sie haben auch vorhin die Vorabveröffentlichung der Heinsberg-Studie, die, glaube ich, im Mai 2020 schon war, dann hatten Sie davor, sogar schon im April, welche herausgegeben –, für interpretationsfähig halten, auch ohne dass man Sie einlädt. Also, ist es möglich, dass sie Eingang gefunden hat in die Handlungsentscheidung, auch ohne dass man mit Ihnen direkt den Kontakt gesucht hat? Gab das, was sie veröffentlicht haben, halt her, die wissenschaftliche Güte auch?
Und wir sehen in Sachsen, dass Sachsen sehr zeitig die Schulen geöffnet hat, nämlich schon im Mai 2020, und auch nach der Endveröffentlichung Ihrer Heinsberg-Studie in der zweiten Welle, im Winter dann, auch wieder eines der ersten Bundesländer war, was die Schulen geöffnet hat. Ist es möglich, dass es auch auf diese Erkenntnisse über – – Sie haben ja gesagt, nicht alles ist übertragbar, aber die unterschiedlichen Krankheitsverläufe von Kindern und Erwachsenen hätte man schon übertragen können; so habe ich Sie verstanden. Und es war ja auch gestaffelt, wenn ich mich recht entsinne, auf Altersgruppen, also dass man in den Grundschulen vielleicht schon eher hätte lockern können als in den Schulen mit älteren Kindern. Ist das eine Entscheidung, die möglicherweise auf Ihren Erkenntnissen hätte fußen können? Gibt das Ihre Studienlage her?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Also, erst noch mal zum Verständnis: Ich denke nicht, dass jede Landesregierung in Deutschland sich auf die Heinsberg-Studie hätte berufen müssen, und ich denke auch nicht, dass jede Landesregierung mich hätte einladen müssen. Was ich vorhin meinte, ist, dass ich mir natürlich wünsche, wenn generell wissenschaftliche Erkenntnisse gerade in so einer Krise überhaupt einfließen in die Entscheidungen. Aber das ist nicht auf die Heinsberg-Studie, bitte, bezogen, sondern es gab weltweit Studien, die durchgeführt wurden und reingekommen sind.
Die Heinsberg-Studie haben wir veröffentlicht und natürlich kann man aus allen Daten dort die Erkenntnisse auch rausleiten, ohne dass man direkt mit uns darüber spricht. Das ist ja auch wirklich und das bitte ich auch noch mal – – Das will ich gerne noch mal deutlich sagen: Wir sind ein Puzzlestein von vielen Puzzlesteinen, die in dieser Zeit gefallen sind. Es war natürlich für Deutschland etwas Wichtiges, aber es gab so viele unterschiedliche Puzzlesteine, die da zusammengekommen sind, und da war die Heinsberg-Studie einer von wirklich Tausenden, die da reingefallen sind. Da würde ich diese Studie dann auch nicht so überhöht sehen wollen.
Man hätte sie so verstehen können. Man musste nicht mit mir Rücksprache dazu halten, weil wir auch versucht haben, alles sehr schnell zu veröffentlichen. Eine Studie im Übrigen konnten wir nicht veröffentlichen. Das ist den Journalen, die es veröffentlichen, geschuldet. Das war der Geruchs- und Geschmacksverlust. Sodass wir das am Ende in einem Interview an die „FAZ“ gegeben haben, weil wir dachten, das könnte ja auch Leuten helfen, Symptome, also Erkrankungen, zu erkennen – das war ja pathognomonisch damals –, sodass wir uns von unserer Seite schon so versucht haben aufzustellen, dass man nicht immer Rücksprache halten muss.
Ganz im Gegenteil, glaube ich, ist es auch sinnvoll, dass jedes Land natürlich mit den eigenen Gesundheitsämtern und den eigenen Gesundheitsstrukturen vor Ort Rücksprache hält, um zu sehen: Wie stellt man sich auf? Weil das Krankenhaussystem bei uns, zum Beispiel in Bonn – wir haben eine der höchsten Arztdichten in Deutschland –, ist was ganz anderes als hier in Dresden oder auch im Umland von Dresden. Und da muss man auch je nach Bundesland, je nach Region anders reagieren und auch mit anderen Maßnahmen reagieren. Und auf einigen Schulen, da kann man auch keine Verallgemeinerung machen – kann man Fenster zum Beispiel öffnen oder nicht öffnen, in vielen modernen Schulen kann man die nur so ganz leicht öffnen –, sodass man da auch auf die regionalen Gegebenheiten eingehen muss. Da ist die Beratung vor Ort fast noch wichtiger. Darum hebe ich die ganze Zeit immer auf den Bund auch ab, weil diese strukturellen Probleme sehe ich eigentlich eher in Teilen im Bund.
Vors. Andreas Nowak: Gibt es weitere Fragen seitens der CDU-Fraktion? – Das ist nicht der Fall. Dann hat jetzt die AfD-Fraktion die nächste Möglichkeit; der Herr Abg. Winter.
Marko Winter, AfD: Vielen Dank, Herr Vorsitzender. Vielen Dank, Herr Prof. Streeck, für die sehr interessanten Ausführungen. Hat sich übrigens mit meiner Empfindung getroffen, nicht immer mit dem Hammer draufhauen – so habe ich das auch empfunden. Ich würde weitermachen mit den Fragen, wo Herr Prantl aufgehört hat, bezüglich der Gefährlichkeit bzw. der Infektionssterblichkeit in den Heinsberg-Studien. Wenn die Infektionssterblichkeit nur ein Zehntel der ursprünglichen WHO Sterblichkeitsschätzung betrug, hätte das denn nicht frühzeitig eine Neubewertung der Gefährlichkeit auch in Sachsen erfordert und damit auch der politischen Maßnahmen als Folge, insbesondere, da Ihre Studien zu diesem Zeitpunkt ja einmalig waren?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Also, man muss erst mal ja dazusagen, dass die Sterblichkeit vom Coronavirus in einem Bereich landet, der schwer zu greifen ist. Weil es ist eine Sterblichkeit, die deutlich über der saisonalen Grippe liegt, aber nicht etwas ist, was vergleichbar mit Ebola oder Spanischer Grippe ist. Und wir sind in einem Bereich, wo man das Virus ernst nehmen musste – also ich rede jetzt vor allem vom Anfang der Pandemie – und auch darauf reagieren musste, gleichzeitig aber in der Einschätzung es schwer war, dann zu sagen, wie gehen wir damit langfristig um. Ich glaube, das Wichtige dabei ist eben auch, dass wir eine Studie von vielen waren.
Vom Wissenschaftsverständnis ist es nicht so, dass man eine einzelne Studie dann für Maßnahmen weltweit heranziehen kann. Es gab dann sehr viele – die zum Beispiel auch John Ioannidis zusammengefasst hat – in einer WHO zusammenfassenden Studie, wo die Sterblichkeit ja noch niedriger liegt, bei 0,25 im Mittelwert. Gleichzeitig sieht man an dieser Studie aber auch deutlich, dass es einen Unterschied gibt in der Altersverteilung. Also das hat später noch mal eine andere Studie mit Age Stratification – also Altersstratifizierung – gemacht und gezeigt, dass das Virus für ältere Menschen und ältere Demografien sehr viel gefährlicher ist. Und da geht es dann wieder ins Regionale herein. Wenn Sachsen demografisch älter ist als andere Bundesländer, dann hat man hier natürlich wieder mit anderen Strukturen und anderen Vorkehrungen zu tun.
Also daher würde ich vorsichtig sein, eine einzelne Studie heranzuziehen. Gleichzeitig ist es auch in der Einordnung des Virus – gerade, weil wir keine Immunität in der Bevölkerung bisher hatten – natürlich schwierig, dann zu sagen: Ab welchem Punkt nimmt man bestimmte Maßnahmen zurück oder fügt welche hinzu?
Marko Winter, AfD: Ja, vielen Dank. Aber trotzdem noch mal, damit ich es als Politiker auch verstehe: Vor dem Hintergrund dieser doch niedrigen Infektionssterblichkeit – sowohl in Ihrer Studie als auch bei Ioannidis –, rechtfertigt das denn diese Lockdown Politik?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Das ist aber so eine allgemeine Frage, dass ich darauf nicht antworten kann; denn es gibt ja unheimlich viele Dinge, die ergriffen wurden, und ich bin ja hier als wissenschaftlicher Sachverständiger da, nicht als Jurist, um Verhältnismäßigkeiten zu beurteilen. Darum kann ich darauf nicht antworten.
Marko Winter, AfD: Okay, vielen Dank. Aber wie würden Sie das persönlich einschätzen angesichts der Infektionssterblichkeit? Wären da nicht gezieltere Schutzmaßnahmen für Risikogruppen und die Vermeidung zum Beispiel von Großveranstaltungen eine geeignetere Strategie gewesen als ein flächendeckender Lockdown?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Ob jetzt Absagen von Großveranstaltungen im Vergleich zu flächendeckendem Lockdown?
(Marko Winter, AfD: Ja!)
Ich kann aus meiner Sicht nur sagen, dass weniger Kontakte weniger Infektionen bedeuten. Welche Beschränkungen am besten sind, das durchzuführen, da müsste man im Detail reingehen – auch wieder die Verhältnismäßigkeit davon, das müssen andere beurteilen.
Marko Winter, AfD: Okay. Dann würde ich weitermachen mit weiteren Fragen. Vielleicht als Vorbemerkung: Bei der Heinsberg-Studie, bei den Studien gab es ja eine hohe Dunkelziffer und einen hohen Anteil von asymptomatischen Infektionen. Die Studie zeigt aber auch, dass die Verbreitung des Virus maßgeblich durch – damals dieses Wort – Superspreader-Events wie dem Karneval beeinflusst wurde. Zudem zeigt die Studie, dass 22,2 % der Infizierten keinerlei Symptome hatten. Einerseits könnte dies auch darauf hindeuten, dass das Virus für viele Menschen ungefährlich verläuft. Andererseits wurde gerade die asymptomatische Verbreitung als Begründung für weitreichende Eindämmungsmaßnahmen herangezogen.
Es gibt aber auch Hinweise darauf, dass asymptomatisch Infizierte in der Öffentlichkeit eine kleinere Virusmenge ausscheiden als symptomatisch Infizierte, die technisch durch Husten und Niesen eine höhere Viruslast verbreiten. Die Asymptomatischen husten ja nicht.
Dazu meine Fragen: Was sind Superspreader und welche Rolle spielen diese bei der Verbreitung von SARS-CoV?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Ja, Superspreader sind eigentlich ein wissenschaftlich total spannendes Thema, weil zum Teil auch noch nicht so gut begriffen wurde, wie ein Superspreader funktioniert; das gibt es im Übrigen auch im HIV-Bereich. Es ist nicht so, dass eine Person das immer an die nächste weitergibt, sondern es gibt da auch Superspreader, die zu einem bestimmten Zeitpunkt sehr viele infizieren und es nicht nur immer diese einzelne Weitergabe gibt. Beim Coronavirus der Superspreader: Es wurde am Anfang sehr deutlich, dass man eher davon ausgeht, dass eine Person anstatt … also, dass es nicht so ist, dass eine Person drei infiziert – drei, neun, usw. –, sondern dass man eher davon ausgeht, dass eine Person gleich neun gleichzeitig infiziert und die anderen eher nicht. Woran das aber liegt, dazu gibt es unterschiedliche Theorien und Studien.
Von der Möglichkeit, eine bestimmte Anzahl von Aerosolen auszuschütten, da hat ja der Gerhard Scheuch auch mit Studien öfter drauf hingewiesen – das ist der Aerosolforscher –, dass einige Menschen die Fähigkeit haben, sehr viele Aerosole zu verbreiten. Das hat zum Teil natürlich auch mit dem Volumen der Lunge zu tun. Ein Opernsänger kann da wahrscheinlich mehr rauspusten als ein Kind. Und das könnte eben auch daran liegen, dass da dieser Unterschied zwischen Superspreader und Nicht-Superspreader besteht.
Superspreading-Events hatten wir einige am Anfang der Pandemie. Weltweit gab es – neben dem berühmten Kitzloch in Ischgl –, auch im Elsass und in einer christlichen Gemeinschaft in Südkorea, diese Großereignisse. Wir hatten damals versucht, das zu analysieren durch – – Wir können ja quasi anhand des Virus ein Stück weit nachvollziehen, wie die Infektionsketten sich verlaufen haben, weil jeder Mensch hinterlässt mit seinem Immunsystem sozusagen einen Fingerabdruck auf so einem Virus, sodass man das so ein Stück weit rausrechnen konnte.
Wir konnten in Heinsberg leider nicht möglich machen, dass wir genau den Superspreader identifizieren. Das wollten wir; wir haben nämlich zwei unterschiedliche Virenarten in Heinsberg gehabt, sodass wir annehmen – das haben wir sogar auch veröffentlicht –, dass das Virus auf zwei unterschiedlichen Wegen gleichzeitig nach Heinsberg gekommen ist. Denn auf der einen Seite sehen wir einen Fußabdruck aus Belgien und einen direkten, wo wir denken, der ist aus Wuhan gekommen.
Sodass wir hier eher, glaube ich, solche Events nur dahin gehend noch beschreiben können, dass das natürlich auch sehr viel damit zu tun hat: Wie viele Menschen kommen gleichzeitig zusammen, wie ist die Belüftung und wie ist die Verteilung der Aerosole und der potenziell infektiösen Partikel im Raum?
Marko Winter, AfD: Ja, vielen Dank. Ich würde noch mal zu den asymptomatischen Personen kommen. Ist es aus virologischer Sicht plausibel, dass asymptomatische Personen durch geringe Virusmengen eher zu einer stillen Feiung, stillen Durchseuchung beitragen, während symptomatisch Infizierte mit hoher Viruslast die Haupttreiber schwerer Erkrankungen und Übertragungen sein können?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Die Frage kann ich so nicht beantworten, weil es gibt – ganz interessant – gerade am Anfang der Pandemie Menschen, die haben sehr, sehr schwere Verläufe, sind sehr krank, aber man kann das Virus im Rachen nicht mehr nachweisen, sondern nur aus den tiefen Lungenflügeln. Das war übrigens ein Problem am Anfang in Heinsberg: Die haben gar keinen Virus nachweisen können in den Krankenhäusern, sondern das war dann erst später, als sie dann Lungenwasser entnommen hatten.
Marko Winter, AfD: Ja, danke schön. Ich würde trotzdem noch mal weiterfragen. Wäre es aber nicht logisch, dass Maßnahmen in Sachsen stärker an der Viruslast ausgerichtet hätten sein müssen, anstatt asymptomatisch und symptomatisch Infizierte gleichzubehandeln?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Da ich nicht zu asymptomatischen Infektionen sprechen kann, kann ich das leider, die Frage, so nicht beantworten. Wenn die – – Es gibt natürlich die Hinweise, dass es ab bestimmten Viruslasten – gemessen in der PCR – keine Übertragungen mehr gibt und auch eine höhere Wahrscheinlichkeit besteht, dass bei einer hohen Viruslast auch eine bessere Übertragbarkeit stattfindet. Gleichwohl gibt es Menschen, die fast keine Symptome haben. Ich kann Ihnen nicht sagen, ob sie wirklich komplett asymptomatisch sind, sondern die haben fast keine Symptome, haben trotz allem eine hohe Viruslast im Rachen, nachweisbar.
Das hatte auch mit vielen Gegebenheiten zu tun. Wir messen ungerne in einem Rachenabstrich eine quantitative Viruslast, weil wir den Abstrich nicht in diesem Sinne quantifizieren können. Also: Wir haben beim Blut eine definierte Menge. Beim Abstrich können wir nicht sagen, da kommen jetzt soundso viele Partikel mit, sondern es ist – – Hat jemand vorher eine Mundspülung gemacht – um das mal so zu sagen –, dann verringert sich die Viruslast erst mal im Mund. Hat jemand vorher was getrunken, hat er nichts getrunken, hat er einen mehr schleimigen Auswurf im Rachen? Das sind alles Komponenten, die den Abstrich beeinflussen. Und so einen Abstrich kann man einfach nicht quantifizieren, sondern es wurde – quasi Pi mal Daumen – mit der Höhe des CT Werts gesetzt. Aber man kann nicht klar sagen, dass jetzt unbedingt jemand, der eine niedrige Viruslast hat, dann auch keine Übertragbarkeit hat.
Man kann das übrigens auch an den Befunden dahin gehend sehen, dass gesagt wird: In den Befunden steht drin, dass auf dem Abstrich der und der PCR-Wert nachgewiesen wurde. Das ist aber nicht bedeutend damit, dass die Person diese Viruslast trägt. Das ist einfach auch eine rechtliche Frage am Ende.
Marko Winter, AfD: Ja, vielen Dank. Sie hatten den CT-Wert und den PCR-Test ja schon erwähnt. Das wäre meine nächste Frage. Man kann in dem PCR-Test die Virenlast ja über den CT-Wert bestimmen, soweit ich das verstehe. Können Sie denn kurz erläutern, wie das funktioniert und wie weit man dann sicher sein kann oder sicher sagen kann, dass Personen mit geringem CT-Wert Superspreader sind oder zumindest maßgeblich zur Verbreitung beitragen?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Bei der PCR wird ein Genabschnitt amplifiziert und immer wieder so ein Enzym, was das immer wieder amplifiziert, und man kann dann am Ende durch einen Farbstoff – hier in diesem Fall – nachweisen, wann dieser Farbstoff, diese Amplifizierung sichtbar wird. Und das ist dann der CT-Wert: Wenn das sehr früh sichtbar wird, haben wir einen niedrigen CT-Wert und dadurch eine hohe Viruslast. Anders: Wenn er sehr spät erst sichtbar wird, haben wir eine niedrige Viruslast und einen hohen CT-Wert.
Noch mal: Die Übertragbarkeit kann ich nicht – – Das sind Schätzungen. Man kann nicht von einem CT-Wert klar sagen, der ist jetzt infektiös oder nicht infektiös, weil der Abstrich an sich immer noch eine Abhängigkeit dabei darstellt. Anders ist es zum Beispiel bei einer HIV-Viruslast – um das Beispiel noch mal zu nennen –, weil da kann man relativ klar sagen, dass keine Infektionen stattfinden bei einer Viruslast von unter 1 500 Kopien pro HIV-Partikel pro Milliliter im Blut. Hier haben wir eine Einheit, auf die wir das zurückrechnen können. Bei einem Abstrich haben wir keine Einheit, auf die wir das zurückrechnen können.
Marko Winter, AfD: Ja, danke schön. Diesen CT-Wert hat man ja nie als Entscheidungskriterium für die Maßnahmen in Sachsen herangezogen. Hätte man dies aus Ihrer Sicht tun können oder tun sollen?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Wie ich ja eben gesagt habe: Wir haben das Problem des Abstrichs an sich. Würde es einen Weg geben – – Also, ich sage es anders: Wir nehmen aus dem Rachen eine – bitte nicht machen! – feste Stanze aus dem Rachenraum mit einem definierten Volumen, dann könnte man auch einen klareren CT Wert nehmen, um dann daran messend eine Handlungsempfehlung zu geben.
Aber alleine, wenn jemand am Morgen eine Mundspülung durchgeführt hat und wird eine Stunde später abgestrichen, dann hat er mit Sicherheit einen niedrigeren CT-Wert, wenn er infiziert ist, als zu einem späteren Zeitpunkt. Das hat der Herr Prof. Steinmann, der solche Studien macht, sehr deutlich nachgewiesen. Ja, es hängt sogar davon ab, welche Art von Mundspülung man nimmt, ob die jetzt zum Beispiel alkoholbasiert ist oder eine andere Basis hat. Das hatte einen Einfluss darauf. Darum ist dieses Heranziehen von solchen Werten in diesem Fall wirklich schwer, dass man sagen kann, hier findet eine Infektiosität zu dem Zeitpunkt statt oder nicht. Man hätte Reihentestungen machen können, um sich vielleicht einen Mittelwert zu errechnen. Aber das wäre natürlich auch aufwendig und teuer geworden.
Marko Winter, AfD: Ja, vielen Dank. Mir ging es um dieses Zitat von Ihnen im März 2022, wo sie sagten: „Man sagt, dass bei einem CT-Wert über 30 die Ansteckungswahrscheinlichkeit sehr gering ist.“ Das wäre die Frage, wie Sie das heute bewerten.
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Ja, also, wie gesagt, es ist sehr – – Je höher das ist, ist die Ansteckungswahrscheinlichkeit oder ist die Infektiosität geringer. Aber trotz allem, die Studien, die danach kamen, haben ja deutlich gezeigt, dass die Mundhygiene, dass das Verhalten einen Einfluss darauf hat, wie hoch der CT-Wert am Ende sein kann. Und es sind ja auch zwei unterschiedliche Fragestellungen dabei, einmal wie man das rechtlich beurteilt, ob ein CT-Wert fest herangezogen werden kann, um für bestimmtes Verhalten zu sprechen und von einer Infektiosität zu sprechen, und auf der anderen Seite das, was medizinisch dabei geboten ist. Wir haben Studien, die gezeigt haben: Wann findet eine Anzüchtbarkeit des Virus noch statt? Da ist in der Tat, dass das über einem CT von 30 das nur noch sehr gering ist, die Anzüchtbarkeit. Ja, wir sind ja dann eigentlich irgendwann auf die Antigentests auch umgeschwungen.
Vors. Andreas Nowak: Das Zeitvolumen in dieser Fragerunde ist jetzt erschöpft und demzufolge geht das Fragerecht auf die SPD-Fraktion weiter. – Entschuldigung, Pardon, natürlich Fraktion BSW; Frau Kollegin Biebrach. – Herr Kollege Hentschel Thöricht, bitte.
Jens Hentschel-Thöricht, BSW: Sehr geehrter Herr Prof. Streeck, können Sie was dazu sagen, ob man allgemein sagen kann, welche gesundheitlichen Folgen die Infektion für die Bevölkerung prinzipiell hatte? Zielt ein bisschen darauf ab: Sie sagten vorhin auch „schwerer Verlauf“. Jetzt würde mich auch die Definition von „schwerer Verlauf“ interessieren. Können Sie dazu was sagen?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Können Sie den ersten Teil der Frage – mit dem schweren Verlauf habe ich mitbekommen – noch einmal – –
Jens Hentschel-Thöricht, BSW: Welche gesundheitlichen Folgen hatte die Infektion für die Bevölkerung?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Das ist ja wirklich schwer zu beantworten, weil es gibt ja ganz unterschiedliche Bilder der Infektion, je nach – – Ja, von asymptomatisch bis tödlich muss ich eigentlich antworten dabei. Das ist ja eine sehr breite Spanne gewesen, was dieses Virus auslösen kann. In den meisten Fällen haben wir einen respiratorischen Infekt gehabt. In vielen Fällen gab es aber auch Krankenhausaufenthalte und intensivmedizinische Betreuung, die auch zum Tod geführt haben, also die Infektionen, sodass die Frage wirklich schwer zu beantworten ist. Ein schwerer Verlauf im Allgemeinen wird definiert, dass man krankenhauspflichtig wird, also im Krankenhaus in irgendeiner Weise behandelt werden muss; muss nicht intensivmedizinisch sein.
Jens Hentschel-Thöricht, BSW: Vielen Dank. Aus Ihrer Sicht: War die vollständige oder teilweise Schließung von Schulen und Spielplätzen im Freien mit Hinblick auf die Gefährlichkeit des Coronavirus erforderlich?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Da muss ich differenzieren. Im Freien sind viele der Maßnahmen, die getroffen wurden, nicht notwendig gewesen in Deutschland, weil man gesehen hat, dass das Virus im Freien sehr schwer von einem zum anderen übertragbar ist. Bei den Schulschließungen, glaube, muss man auch sowohl bei den Schulen regional unterscheiden als auch zum Zeitpunkt.
Ich denke, am Anfang der Pandemie, wo wir alle nicht wussten, was auf uns zukommt, wir alle keine Ahnung hatten, was das überhaupt für die deutsche Bevölkerung bedeutet, wir alle nicht wussten, ob wir viel mehr Todesfälle haben als andere – es gibt auch bei Viren zum Teil genetische Unterschiede, dass bestimmte Bevölkerungen einfach stärker betroffen sind als andere – und wir nicht wussten, was das für unser Gesundheitssystem bedeutet, in der allerersten Phase – sieht auch unser Pandemieplan im Übrigen so vor von damals –, sehe ich es vollkommen als verständlich an, dass man erst mal hart reagiert in der ersten Welle, um zu sehen: Was passiert denn eigentlich in Deutschland, wenn dieses Virus nach Deutschland kommt? Und danach hätte man in meinen Augen differenzierter vorgehen müssen. Das ist aber ja auch in jedem Bundesland und auch im Bund selber unterschiedlich gehandhabt worden.
Jens Hentschel-Thöricht, BSW: Vielen Dank. Können Sie sagen in Bezug auf die Maßnahmen, die ja getroffen worden sind, ob es da schon eine Einschätzung gibt, welche davon effektiv, weniger effektiv oder gar schädlich waren? Kann man das so sagen?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Da gibt es unheimlich viele Metastudien dazu, die versucht haben, unterschiedliche Maßnahmengruppen zu analysieren und zu verstehen, was der Einfluss auf das Infektionsgeschehen ist. Das Problem sehe ich darin, dass fast alle dieser Studien es nicht versucht haben, so was systematisch und randomisiert durchzuführen in dem Sinne, dass man wirklich versteht, was der Einfluss einer einzelnen Maßnahme auf das Infektionsgeschehen ist. Weil häufig waren das Maßnahmengemische – und dann flächendeckend – und dann wurde ein Vor- und Nachher verglichen, wo das nicht ganz so aussagekräftig ist, wie man sich das wünschen würde in der Erkenntnis.
Ich habe das alles selber versucht mal aufzudröseln in dem Buch für mich, um da auch in eine Differenzierung reinzukommen. Es würde jetzt ein bisschen weit führen, das alles aufzuzeigen. Weil generell muss man eben sagen, man hat versucht, die Kontakte zu beschränken, um dadurch weniger Infektionen zu haben. Was das dann aber auf der anderen Seite wieder für zunehmende Kontakte bewirkt hat und ob das nicht auch andere Folgen dadurch hat, das ist eine Abwägung, die wir bisher so fast nicht leisten können, also von der Wissenschaft einfach, weil die Daten – – Das Problem ist: Daten, die nicht erhoben werden, werden auch im Nachhinein nicht auftauchen. Und die Datenlage wird nicht besser, die Analysen werden besser von den gegebenen Daten.
Jens Hentschel-Thöricht, BSW: Allgemein: Können Sie etwas dazu sagen aus Ihrer Sicht, welche Fehler und Versäumnisse Sie sehen, um im Wiederholungsfall mit einem gleichartigen Virus besser aufgestellt zu sein, also, was Sie sich wünschen? Sie sagten schon vorhin: so eine übergeordnete Behörde. Aber gibt es noch weitere Hinweise?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Ich würde mir wünschen, aber das auch vom Bund gesteuert, dass solche wissenschaftlichen Studien durchgeführt werden, um genau nicht nur das Infektionsgeschehen zu beobachten, sondern auch Maßnahmen beurteilen zu können. Das muss man zentral leisten. Das ist etwas, was also – – Wir hatten ja viel zu oft, dass einzelne Universitäten – wie wir auch – vorgeprescht sind und ihre eigenen Studien gemacht haben, um das Infektionsgeschehen zu verstehen, um Maßnahmen zu verstehen, um zu verstehen, ja, die Immunität in der Bevölkerung. So was muss doch eigentlich zentral koordiniert werden, zumindest, dass das auch nicht widersprüchliche Studien sind oder am Ende auch noch Studien, die man nicht vergleichen kann miteinander, und auch den Mut haben, hier mal Vergleiche ziehen zu können, indem man – wie wir das vorhin gehabt haben – der eine Ort Schulen auf, der andere hat die Schulen zu oder Maskenpflicht in einem Ort, im anderen Ort Maskenempfehlung. Solche Fragestellungen sind dann im Nachhinein total schwer herauszuziehen, wenn man das nicht einmal systematisch getestet hat. Und das sehe ich wirklich auch als ein deutschlandweites Versäumnis, dass das nicht angeregt wurde.
Jens Hentschel-Thöricht, BSW: Okay. Gibt es außer Viruseigenschaften, Übertragungswegen und Krankheitsverläufen aus medizinischer Sicht noch weitere Aspekte, die für eine letztlich medizinische Beurteilung und auch Prognose bis hin zu Vorschlägen und Entscheidungshilfen für politische Entscheidungsträger einbezogen werden sollten oder zumindest in Betracht zu ziehen sind?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Zusätzliche Faktoren, die aus medizinischer Sicht notwendig sind, mit in Betracht zu ziehen dabei – also ich denke, Medizin ist nicht nur medizinische Gesundheit, sondern ist auch psychische Gesundheit. Das hat auch die WHO bei der Gründung der WHO festgezogen. Ich glaube, wir versteifen uns da immer sehr, sehr auf die Infektionen an sich. Auch das soziale Umfeld: Wir haben auch einen Anstieg in häuslicher Gewalt gesehen. Es gibt Berichte von einzelnen Rettungsstationen – das ist nicht deutschlandweit – von Suiziden, Suizidversuche, die angestiegen sind. Gab es in der „Berliner Zeitung“ einen Bericht dazu. Es gibt aber auch Berichte von psychischen Störungen und Depressionen bei Kindern. Das sind Faktoren, die wenig in Betracht gezogen wurden in der Pandemie. Zusätzlich muss man natürlich auch solche Faktoren wie Long Covid – und was wir ja immer noch schwer greifen können als Erkrankungsbild – mit in Betracht ziehen bei politischen Entscheidungen, gerade auch solche Langzeitwirkungen oder potenziellen Langzeitfolgen, die auch von Anfang an hohe Vigilanz zeigen, dass die auch mit in Betracht gezogen werden.
Jens Hentschel-Thöricht, BSW: Okay. Sie waren ja auch im Corona-Expertenrat der Bundesregierung und daher möchte ich Sie um Ihre Einschätzung der Rolle der Ministerpräsidentenkonferenz bei der Bekämpfung der Pandemie bitten und fragen, ob Sie die folgende Feststellung, die Bodo Ramelow am 26. Februar 25 bei Lanz gemacht hat, teilen. Er sagte nämlich dort oder er stellte fest, dass es ein schwerer Fehler war, zwei Jahre lang über eine Ministerpräsidentenkonferenz eine derartige Pandemieabwehr zu steuern. Da hätte ein Bundeskrisenstab besser eingesetzt werden müssen. Teilen Sie das?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Ich kann auf diese Frage nicht als Wissenschaftler antworten, sondern nur als Bürger, und das würde ich in dem Sinne hier jetzt nicht machen.
Jens Hentschel-Thöricht, BSW: Okay. In Ihrem Buch haben Sie an vielen Stellen kritisch zum RKI Stellung genommen und zum Beispiel auf Seite 34 festgestellt, dass das RKI, nachdem das Coronavirus ankam, nur wenig getan hat und erstaunlich passiv blieb und auch nur zögerlich Kontakt zu Wissenschaftlern wie Ihnen aufgenommen hat. Im Ergebnisprotokoll der Krisenstabssitzung des RKI vom 21.09.20 gibt es einen Vermerk „Herr Streeck kein Vertreter in AG Diagnostik“ – Zitatende. Wie ist dieser Vermerk zu verstehen? Können Sie sagen möglicherweise, dass Sie sich nicht mit einem Vertreter in der AG Diagnostik des RKI beteiligen wollten oder dass das RKI keinen Vertreter Ihres Institutes in der AG Diagnostik eingeladen hat?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Ich habe keine Ahnung. Das müssen Sie das RKI fragen, was sie damit sagen wollten. Ich bin aber – – Was ich Ihnen sagen kann: Ich bin nicht in der AG Diagnostik. Aber da sind ja unterschiedliche Fachvertreter drin.
Vors. Andreas Nowak: Herr Kollege Hentschel-Thöricht, ich würde Sie bitten, dass Sie sich am Untersuchungsgegenstand entlang hangeln und die Fragen entsprechend konkret stellen.
Jens Hentschel-Thöricht, BSW: Ja, vielen Dank für den Hinweis. Am 28.03.2020 wurde ja der erste Lockdown verordnet und nach Daten des RKI könnte man den Wendepunkt des Infektionsgeschehens auf den 9. März datieren, wenn man noch eine fünftägige Inkubationszeit berücksichtigt, also 18 Tage vor Ausrufung des Lockdowns.
Können Sie Stellung dazu nehmen, ob das aus medizinischer Sicht 18 Tage später, nach dem Wendepunkt, dann noch sinnvoll ist, einen Lockdown zu verhängen, um Kontakte zu beschränken?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Also, Sie sagen, das Infektionsgeschehen war vorher, und man hat dann erst später den Lockdown gemacht, aber das ist doch, es muss – –
(Jens Hentschel-Thöricht, BSW: War der Wendepunkt!)
Sie meinen, das Infektionsgeschehen geht schon runter, und dann wurde der Lockdown gemacht. Ja, da gibt es ja verschiedene Theorien dazu. Da wir keine systematische Erfassung der Infektionsfälle gemacht haben, kann man dazu auch schwerlich sagen, ob das jetzt vorher schon automatisch runtergegangen ist oder nicht.
Es gab ja aber auch viele Stellungnahmen dazu, dass es vorher schon eine psychologische Anpassung gegeben hat von der Bevölkerung, was man im Verkehrsverhalten – also der Handydaten, glaube ich – ausgelesen hatte. Also, das kann ich jetzt nicht beurteilen.
Vors. Andreas Nowak: Dann ist die Fragerunde beim BSW an der Stelle vorbei – oder? (Ines Biebrach, BSW: Sind wir durch mit der Zeit?)
– Sie hätten noch – lassen Sie mich kurz nachsehen – ungefähr 6 Minuten. (Ines Biebrach, BSW: Die nehme ich!)
– Dann Frau Kollegin Biebrach, bitte. Herr Kollege Hentschel-Thöricht hatte abgewunken.
Ines Biebrach, BSW: Nein, abgewunken hat er nicht. – Herr Streeck, eine kurze Frage, nur zum Verständnis und nur, dass wir es so drin haben. Sie haben gesagt, wir bräuchten eine interdisziplinäre, unabhängige und transparente Erfassung von Daten, Studien. Und das müssen wir auch nach außen transparent tragen, damit die Entscheidungen dann unter Berücksichtigung aller Faktoren, aller wichtigen Faktoren getroffen werden können. Ist für mich der Umkehrschluss: Das ist in dieser Pandemie nicht passiert – oder nicht ausreichend?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Es gibt ja immer noch einen Raum für Verbesserungen, und darum sollten wir ja Lehren ziehen. Natürlich sind ein paar – – Also, wir können ja auch mal darüber reden, was gut gelaufen ist in der Pandemie. Es sind ja nicht nur schlechte Sachen gewesen, aber die – – Ich würde mir schon wünschen, dass es systematische Erfassungen von Daten gibt, gerade in dieser Zeit, damit man auch solche Fragen wie Maßnahmen oder Wirksamkeit von Maßnahmen ablesen kann.
Ich würde mir auch wünschen, dass die Politikberatung an sich eine Transparenz hat, wo es aber nicht darum geht, dass einzelne Wissenschaftler oder Wissenschaften gegeneinandergestellt werden, sondern dass diese Abwägungen, die man ja auch – finde ich – in den RKI-Protokollen schön liest, auch mehr in die Öffentlichkeit gehen, dass es eben kein Schwarz-Weiß ist.
Und das ist doch das Gefährliche daran, dass man sagt: Das ist richtig, das ist falsch. Sondern es ist … Wissenschaft kann nur einen Graubereich ausleuchten, aber gerade in so einer Frage von Unwägbarkeiten kann die Wissenschaft kein Schwarz-Weiß beantworten, und das wurde zum Teil versucht. Das ist doch das, wo wir wieder hinkommen müssen, dass wir sagen können: Okay, die Wissenschaft kann vielleicht Hinweise geben, aber sie kann nicht das Schwarz-Weiße beurteilen.
Ines Biebrach, BSW: Ja, dann habe ich noch mal eine bisschen grundsätzlichere Frage. Sie hatten vorhin selber angesprochen, es gab irgendwelche Vorgaben – – Vors. Andreas Nowak: Bitte am Mikro bleiben!
Ines Biebrach, BSW: Es gab irgendwelche Vorgaben der WHO, und Sie haben auch von einem Pandemieplan gesprochen. Gab es denn jetzt zeitlich vor dem Auftauchen des Coronavirus denn schon Vorgaben, wie man mit solchen Situationen umgeht, also wie man das üblicherweise tut? Und wenn es die gibt, hat man die in Deutschland, in Sachsen, soweit Sie das sagen können …, ist man danach vorgegangen oder hat man die ignoriert? Ein bisschen provokant gefragt.
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Also erstens, was ich vorhin kurz erwähnt hatte: Wir haben diese Infektionssterblichkeit nach einem Protokoll gemacht, das die WHO relativ schnell bereitgestellt hatte – weltweit –, um zu sagen: Wenn ihr solche Studien macht – wir brauchen solche Studien –, dann nehmt bitte dieses Protokoll, dann können wir nämlich die Studien weltweit miteinander vergleichen. Das war sehr schnell von denen gehandelt, einfach mal zu sagen: Hier, macht das so. Sonst wären am Ende unterschiedliche Studien überall gewesen, und man hätte sie nicht vergleichen können. Das ist einfach nur so ein Entwurf gewesen, also wie so was aussehen sollte aus deren Sicht.
Dann: Wir haben einen Pandemieplan – der meines Wissens ursprünglich auf Influenza basiert ist –, der damals vorlag, der am Anfang versucht …, der also im Grunde drei Schritte vorsieht: Im ersten Schritt den wirklichen Versuch der Eindämmung des initialen Ausbruches – was versucht wurde; finde ich auch sehr gut, mit den ersten Ausbrüchen in Deutschland: erst Webasto, dann Heinsberg –, wo versucht wird: Wir wollen das Virus eindämmen, wo dann auch Lockdowns und sowas im ersten Ausbruch dazu gehörten.
Im zweiten Schritt geht es dann aber um den Schutz und die Mitigierung von schweren Verläufen, vor allem bei den vulnerablen Gruppen. Und das ist so für mich die Frage: Wann entsteht dieser Schritt, nicht mehr zu versuchen, jede einzelne Infektion zu verhindern, zu: Wir wollen einen speziellen Schutz der vulnerablen Gruppen, indem man – – Was aber eben zum Beispiel auch bedeutet hätte, dass man die Kräfte, die in Gesundheitsämtern deutschlandweit gewesen sind, abzieht und sagt, wir setzen die ganz speziell in Pflegeheimen und Altersheimen ein, um hier speziell Personen zu schützen. Das sind ja Abwägungssachen, wo man sehen muss, wie man dann diese Kräfte einsetzt. Aber dieser Pandemieplan lag vor, und dieser Pandemieplan ist in der Coronapandemie auch abgeändert worden, also noch mal angepasst worden.
Vors. Andreas Nowak: So, die Zeit ist in dieser Runde abgelaufen und das Recht geht jetzt zur SPD. Frau Abg. Koch, bitte.
Sophie Koch, SPD: Vielen Dank, Herr Vorsitzender. Herr Streeck, Sie haben ja gerade sinngemäß gesagt: Daten, die damals nicht erhoben wurden, die kann man auch später nicht erheben. Können Sie noch mal zusammenfassend eine Beurteilung der Datenlage geben, die wir in Deutschland im Verlauf der Pandemie hatten, und welche Daten uns vielleicht auch für zukünftige Pandemien fehlen?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Ich kann Ihnen unmöglich mit einer Sicherheit sagen, welche Daten wir haben oder nicht hatten, weil es ist eine Datenflut gewesen. Darum kann ich hier nicht vollständig irgendetwas darstellen. Ich kann Ihnen aber gut sagen, wo die Lücken sind.
Und wir sollten – – Das ist einmal die systematische Erfassung des Infektionsgeschehens über die Zeit durch Bevölkerungsstichproben. Wir haben keine gute Erfassung der Immunität gehabt über die Zeit. Das hatten wir dann später einmal durch das BMBF, durch die IMMUNEBRIDGE-Studie gefördert gemacht. Dabei hatten wir solche Kärtchen eingesandt. Wir haben keine gute Erfassung der Wirksamkeit der Maßnahmen, nämlich durch randomisierte Studien, dass man sagt: Welche Maßnahme alleine hat was für einen Effekt auf das Infektionsgeschehen? Und wir haben auch nicht gut erfasst, was für unerwünschte Wirkungen Maßnahmen haben; denn jede erwünschte Wirkung trägt meistens auch eine unerwünschte Wirkung mit sich, also zum Beispiel psychische Folgen, aber auch Stage Shift bei Krebserkrankungen oder Ähnliches.
Wir haben in meinen Augen aber auch keine gute Erfassung der in solchen Situationen – – Ich finde, bei den älteren Impfstoffen geht man da ja anders vor, aber wenn in solchen Situationen eine Erfassung der potenziellen Impfschäden – – Das sind Dinge, über die wir im Grunde nicht reden müssten, hätten wir eine gute Datenerfassung. Dann hätten wir das auch von Anfang an besser festgehalten. Alleine, dass man Raum lässt für Spekulationen, ist einfach für so eine Krise nicht gut. Und ich glaube, da muss die Wissenschaft, aber auch die Bundesoberbehörden die Möglichkeit haben, keinen Raum für Spekulationen zu lassen, indem es einfach diese Daten vigilant und systematisch erfasst.
Vors. Andreas Nowak: Weitere Fragen, Frau Kollegin Koch?
Sophie Koch, SPD: Ja, vielen Dank. Können Sie bitte noch mal zum Thema Long Covid wiederholen – ich weiß, Sie haben das vorhin schon gesagt –, wann der erste Fall von Long Covid aufgetreten ist, und vielleicht noch mal einen kurzen Abriss geben über die Gefährlichkeit dieser Langzeiterkrankung, die aus einer Coronaerkrankung wächst?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Ich kann Ihnen leider keinen genauen Zeitpunkt sagen. Das war in den Sommermonaten 2020, wo die ersten Berichte meines Erachtens dazu aufgetaucht sind. Man muss da auch ja wirklich unterscheiden: Es gibt ja häufig so postvirale Malaise, also so eine Abgeschlagenheit auch nach Grippe – wurde später ja auch „Long Influenza“ genannt –, und das zu unterscheiden, was ist hier wirklich virusspezifisch und coronaspezifisch, da ist die Frage ja total – also, in meinen Augen – offen.
Ich denke auch, dass daran geforscht werden muss; denn es gibt Menschen, die auch wirklich darunter leiden. Ich kann Ihnen aber weder die … ich kann Ihnen keine gute Einschätzung dafür geben, inwieweit sich da Corona – – Also, es kann ja auch sein, dass wir das bei anderen, bei Influenza bisher unterschätzt haben. Also, das will ich dabei eben auch nicht ausschließen, dass einfach solche Langzeitwirkungen von viralen Erkrankungen auch generell etwas sind, das wir einfach nicht beachtet haben, und dann immer als ME/CFS oder so abgetan wurde und wir da zu wenig – medizinisch als auch wissenschaftlich – drauf geschaut haben. Daher: Bei Long Covid ist es deutlich geworden, und da drin – denke ich, in meinen Augen – muss jetzt auch im Nachhinein noch deutlich Forschung passieren, damit wir da auch Antworten finden.
Vors. Andreas Nowak: Keine weiteren Fragen, Frau Kollegin Koch? – Dann geht das Recht jetzt weiter an die Fraktion BÜNDNISGRÜNE; Herr Abg. Lippmann.
Valentin Lippmann, BÜNDNISGRÜNE: Danke, Herr Vorsitzender, ich habe zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine weiteren Fragen an den Sachverständigen.
Vors. Andreas Nowak: Vielen Dank, Herr Abgeordneter. Dann hätte Herr Gebhardt die Möglichkeit.
Rico Gebhardt, Die Linke: Ich habe auch keine Fragen.
Vors. Andreas Nowak: Dann sind wir am Ende der zweiten Fragerunde angekommen. Es sind jetzt fast zweieinhalb Stunden vergangen; ich darf den Sachverständigen fragen, ob er eine Pause benötigt.
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Das hängt ein bisschen davon ab, wie lange wir noch machen.
(Vereinzelt Heiterkeit)
Vors. Andreas Nowak: Das wäre jetzt die nächste Frage in die Runde der Obleute. Gibt es weiteren Fragebedarf? – AfD, BSW. Die anderen Fraktionen haben signalisiert, dass sie keine weiteren Fragen haben. Welchen Umfang darf ich denn – geschätzt – erfahren?
(Thomas Prantl, AfD: Zehn Fragen!)
– Zehn Fragen. Und beim BSW?
(Ines Biebrach, BSW: Zwölf bis 14 Fragen!)
– Okay. Wir müssen auch etwas auf die Uhr schauen; denn um 14 Uhr ist die nächste Einvernahme. Mit Ihrem Einverständnis würden wir jetzt die dritte Runde starten. Diese bewegt sich nun zwischen den beiden Fraktionen, und ich würde dann aber alle Fragesteller bitten, entsprechend kurz zu formulieren. Fraktion AfD, bitte; Frau Kollegin Dietz.
Katja Dietz, AfD: Ja, vielen Dank. – Vielen Dank erst mal, Herr Prof. Streeck, für Ihre bisherigen, wirklich sehr interessanten Ausführungen. Ich würde gern gleich noch mal zurückkommen. Was mich schon eine Weile umtreibt, sind zum Beispiel diese Erkenntnisse zu den hohen Anteilen dieser asymptomatisch Infizierten. Das haben Sie auch in Ihrer Heinsberg-Studie ermittelt. Ist es korrekt oder kann man davon ausgehen, dass die meisten Menschen, die asymptomatisch waren, eigentlich nie von ihrer Infektion irgendwas gemerkt hätten, wenn man sie nicht getestet hätte?
Und ich würde gleich noch mal nachhaken, ganz kurz: Sie hatten vorhin bei der Frage meines Kollegen Winter zu diesem CT-Wert gesagt, dass es da schon ein sehr großes– so habe ich es verstanden – Fehlerpotenzial bei diesen Tests gibt. Waren die im Grunde – – Also, Sie haben ja gesagt: mit Mundwasser gegurgelt oder die Menge, die Quantität dieser Tests. Waren die im Grunde sinnlos?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Vielleicht die letzte Frage zuerst: Die Tests sind nicht dazu – – Die PCR ist nicht darauf ausgelegt, für einen Abstrich eine Viruslast in dem Sinne zu quantifizieren, weil es die Fehlermöglichkeit durch den Abstrich gibt. Das ist für andere PCRs, die wir zum Beispiel aus dem Blut durchführen, anders. Sondern es ist der quantitative Nachweis einer Virusinfektion. Wir können ungefähr einschätzen über den CT-Wert, wie hoch er ist, mit einem Fehlerbereich, wie viel Virus im Rachen ist. Aber es ist der Nachweis eines Virus. Gerade im Zusammenhang mit einer Symptomatik ist es dann relativ eindeutig.
Die zweite Frage zu den – – Geben Sie mir noch mal ein Stichwort. Katja Dietz, AfD: Asymptomatische Infektionen.
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Asymptomatische Infektionen, ja. Es sind ja immer nur Momentaufnahmen, wo getestet wurde. Ob die dann das nie gewusst hätten, ob sie asymptomatisch sind: Es gibt eine Phase zum Beispiel vor der Erkrankung, wo jemand asymptomatisch ist, also keine Symptome bisher hat. Dann wird am Morgen getestet und am Abend fühlt er sich krank. Dann wurde er aber in einer Zeit getestet, wo er sich morgens gesund gefühlt hat und abends krank. Also, wir haben auch in einer Erkrankung an sich unterschiedliche Phasen, wo Menschen noch das Virus nachweisen können, wo gerade die Infektion am Kommen oder am Gehen ist, aber die Erkrankung, die Symptomatik nicht da ist. Da kann ich die Frage so nicht beantworten, ob die Person nie davon gewusst hätte, ob sie erkrankt ist.
Katja Dietz, AfD: Ja, da würde ich noch mal zur Risikoeinschätzung kommen. Mich interessiert: Hätte zum Beispiel die Sächsische Staatsregierung vor einem Lockdown die tatsächliche Krankenhausauslastung für die Lockdown-Entscheidung aus Ihrer Sicht mit einbeziehen müssen oder reichen hier reine Modellrechnungen oder Modellierungen?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Ich kann Ihnen keine Frage zu Sachsen hier in dem Bezug beantworten; das tut mir leid. Ich weiß nicht die Gegebenheiten hier in Sachsen von den Krankenhäusern.
Katja Dietz, AfD: Dann frage ich noch mal kurz anders. Also, kann man fiktiv, ohne reale Krankenhausbelastung, aus wissenschaftlicher Sicht trotzdem einen Lockdown beschließen? Wie sehen Sie das?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Ich kann nicht auf Fiktionen antworten.
Katja Dietz, AfD: Gut. Konnte man aus wissenschaftlicher Sicht davon ausgehen, dass man die Infektion des Einzelnen, durch welche Maßnahmen auch immer, komplett vermeiden hätte können oder kann?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Die Infektion des Einzelnen durch Maßnahmen – ja, natürlich kann man das. Wenn jemand keinen Kontakt mit dem Virus bekommt, indem er sich zum Beispiel in einem Plexiglas-Gefängnis befindet, dann hätte man die Infektion vermeiden können, ja.
Katja Dietz, AfD: Okay. Haben Sie in Ihrer Heinsberg-Studie von den sieben Verstorbenen das Alter, die Vorerkrankungen genauer erfahren können? Obwohl ich glaube, Sie hatten vorhin schon mal gesagt, Sie hätten die Totenscheine noch mal genauer in Augenschein genommen. Da ist meine Frage: Oder gab es einen Hinweis, ob diese Verstorbenen einen Pflegegrad hatten?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Ich kann Ihnen nichts zu dem Pflegegrad sagen, weil wir das nicht erfasst haben. Aber wir haben alles Wissen, was wir zu dem einzelnen Toten im Sinne des Datenschutzes zusammentragen konnten, veröffentlicht in einer Folgestudie im „Scientific Reports“. Ich glaube, ein Jahr oder zwei Jahre später, Richter et al, Scientific Reports. Ich kann Ihnen jetzt nicht mehr die einzelnen Faktoren da nennen, aber das war eine sehr breite Spanne von unterschiedlichen Verstorbenen. Wir haben ja auch noch mal reingerechnet und geschaut, ob wir Infektionen übersehen haben bei Verstorbenen. Andersherum die Frage gestellt: Ist jemand an Corona gestorben und wir haben es nicht gesehen? Und auch die Frage gestellt, ob eine Infektion nicht ursächlich gewesen ist in dem – – Genau.
Katja Dietz, AfD: Da würde ich ganz kurz was nachfragen. Also wurde der Pflegegrad der schwer Erkrankten oder Verstorbenen überhaupt irgendwo mit einbezogen in Ihren – –
Prof. Dr. Hendrik Streeck: In unserer Studie nein, weil wir das nicht erfragen konnten.
Katja Dietz, AfD: Und bei diesen sieben Todesfällen, also wurde da noch mal geschaut, ob diese an oder mit Corona verstorben sind?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Ja, das hatten wir, wie gesagt, in der Folgestudie – Katja Dietz, AfD: In der Folgestudie.
Prof. Dr. Hendrik Streeck: – in der „Scientific Reports“ uns genau angeschaut, wann ist es eigentlich an Corona und wann ist es mit Corona und mit welcher Wahrscheinlichkeit wir das nach welchen Tagen sagen können, dass es eher mit Corona als an Corona ist. Aber die, die wir ursprünglich beschrieben haben, die sind alle an Corona verstorben.
Also, man sieht das. Die Transferleistung dabei ist, wenn auf dem Totenschein „Acute Respiratory Distress Syndrom – ARDS“ steht, dann ist das mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit ein Lungenversagen aufgrund von einer viralen Infektion der Lunge.
Katja Dietz, AfD: Ja. Dann für mich noch die Frage: Musste ein normal gesunder Bürger in Sachsen ohne Pflegegrad und nicht im Pflegeheim mehr Angst vor einer Infektion mit Corona haben oder vor der normalen Grippe?
(Rico Gebhardt, Die Linke: Das kann er für Sachsen nicht sagen!)
Vors. Andreas Nowak: Ich würde Sie doch bitten, Frau Kollegin Dietz, sich am Untersuchungsgegenstand entlang zu bewegen.
Katja Dietz, AfD: Gut. Können Sie vielleicht sagen, ob die Coronapandemie durch diese mediale Darstellung in Deutschland oder auch hier in Sachsen vielleicht auch deutschlandweit oder auch sachsenweit etwas gefährlicher dargestellt wurde, als sie es nach den tatsächlichen epidemiologischen und virologischen Daten am Ende war?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Ich kann diese Frage nicht beantworten, da die mediale Darstellung ja zum Teil sehr unterschiedlich gewesen ist und auch vom Zeitpunkt unterschiedlich und auch regional unterschiedlich und zeitungsunterschiedlich. Also auch Journalisten innerhalb einer Zeitung haben zum Teil sehr unterschiedlich gesprochen.
Katja Dietz, AfD: Ja, dann hätte ich noch eine Frage. Das Ziel der Maßnahmen war ja die Verhinderung der Überlastung des Gesundheitswesens. Das heißt für mich: Wenn eigentlich nicht wirklich eine Überlastung stattgefunden hatte oder drohte, ist dann der Exit-Zeitpunkt erreicht. Aber was hat das eigentlich dann mit der Immunität zu tun? Ist das zum gleichen Zeitpunkt, also, dass man sagen kann, das ist ebenfalls erreicht?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Die Frage habe ich nicht ganz verstanden. (Rico Gebhardt, Die Linke: Ich habe sie auch nicht verstanden!)
Sie fragen, ob es ein Immunitätslevel gibt, wo man sagt, dass das Krankenhaus nicht überlastet ist. Das kann ich Ihnen nicht beantworten, weil wir ja auch so eine unterschiedliche Immunität durch Impfungen, unterschiedliche Varianten hatten. Wir hatten saisonal Unterschiede bei diesem Virus, sodass die Überbelastung nicht per se an einem Immunitätsgrad alleine festgestellt werden kann. Man muss es gleichzeitig auch daran festmachen, wie viele betreibbare Betten es gibt. Es ist ja nicht die Bettenanzahl, sondern betreibbare Betten auch von Pflegekräften. Lange haben wir darüber geredet, dass auch die kritische Infrastruktur dadurch belastet ist, dass die Pflegerinnen und Pfleger krank sind. Das ist ja auch ein Problem, über das wir gar nicht gesprochen hatten bisher.
Vors. Andreas Nowak: Frau Kollegin Dietz, ich würde Sie wirklich bitten, keine Suggestivfragen zu stellen, sondern ganz konkret am Untersuchungsgegenstand den Sachverständigen zu befragen.
Katja Dietz, AfD: Ja, dann habe ich noch eine Frage. Gab es aus Ihrer Sicht überhaupt diese Exit-Strategie, und wie sah die aus, wenn ja?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Das ist keine Frage, die ich – – Auch die kann ich leider nicht beantworten. Ich weiß nicht – – Ich war ja nicht im Inner Circle der Politik, die die Exit Strategien definiert hat.
Vors. Andreas Nowak: Vielen Dank. Dann geht das Fragerecht jetzt an die BSW Fraktion; Frau Kollegin Biebrach.
Ines Biebrach, BSW: Herr Streeck, jetzt haben wir beide noch miteinander zu tun; na gut. Also erste Frage: Sie haben ja gesagt, der Pandemieplan sah vor, dass man erst mal vor Infektionen schützt. Jetzt habe ich auch bei anderen Medizinern gelesen, dass die gesagt haben – irgendwann gibt es unterschiedliche Angaben; ich will Sie da jetzt auch nicht vorprägen auf einen bestimmten Zeitpunkt –: Es war klar, es wird eine Durchseuchung geben. Jeder wird sich infizieren und die Impfstoffe können diese Infektionen nicht verhindern. Die haben möglicherweise andere Wirkungen. Können Sie für sich einen Zeitraum – – Also folgen Sie dieser Auffassung überhaupt? Und wenn ja, können Sie dann einen Zeitpunkt, Zeitraum identifizieren, ab wann man davon ausgehen musste, dass man auch mit Impfstoffen eine Durchseuchung – ein bisschen Sachse, Durch-Seu-chung –
(Heiterkeit der Abg. Ines Biebrach, BSW)
auch mit Impfstoffen nicht mehr hätte vermeiden können, so nach dem Motto, es steckt sich jetzt eh jeder an?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Ja, also, ich glaube, das Problem ist dabei, dass man das manchmal medial so als Entweder-oder-Strategie dargestellt hat. Dass wir alle irgendwann einmal Kontakt mit dem Virus machen werden, das war ja auch recht früh klar. Die Frage ist nur, in was für einer Geschwindigkeit. Die Abwägung war dahin gehend: In welcher Geschwindigkeit lassen wir Infektionen zu, gleichzeitig wohlwissend, dass es zu einer Belastung des Gesundheitssystems kommt, vielleicht auch zu einer Überbelastung des Gesundheitssystems, und inwieweit können die Impfungen diesen Prozess mitigieren und dadurch auch die schweren Krankheits- und Todesfälle abschwächen und drücken? Das war eigentlich die Abwägung, sodass ich da auch keinen Zeitpunkt nennen kann, wo es richtig wäre, in dem einen oder anderen Fall zu sagen, jetzt ändern wir komplett die Strategie.
Ich hätte mir für den Herbst 2020 gewünscht, dass wir deutschlandweit mehr in eine Strategie reinkommen, dass wir vermehrt auf den Schutz der vulnerablen Gruppen uns fokussieren – also Schutz von Pflegeheimen, Altenheimen – und nicht versuchen, durch alle Maßnahmen, die die Kontaktinfektionen ja auch drücken, jede einzelne Infektion zu reduzieren. Inwieweit das möglich ist, inwieweit das auch in den örtlichen Gegebenheiten möglich ist, das kann ich nicht einschätzen. Aber sobald wir wissen – und das hat der Pandemieplan ja auch so vorgesehen –, dass wir den weiteren Ausbruch nicht vermeiden können, dann mussten wir vermehrt über den Schutz der vulnerablen Menschen – die Kokonierung, wie wir dazu sagen, also Einbettung, in einen Kokon bringen – nachdenken.
Ines Biebrach, BSW: Jetzt dazu nur noch kurz eine Verständnisfrage. Also mal angenommen – ich weiß, fiktive Fragen wollen Sie nicht –: Es hat ja Zeiträume gegeben, da war klar, es ist eine Überlastung der Gesundheitssysteme nicht zu erwarten, auch wenn es jetzt zu weiteren Infektionen kommt. Ist es dann, wenn ich eine Überlastung der Gesundheitssysteme nicht erwarten muss und nach den mir vorliegenden Daten nicht erwarte, medizinisch sinnhaft, die weitere Infektion der Bevölkerung durch Eindämmungsmaßnahmen, die ja nur die Infektionen verhindern sollen, zu bekämpfen?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Wie kann man den vorhersagen, dass es keine Belastung des Krankenhaus-/Gesundheitssystems – – Wenn wir das könnten, dann hätten wir ja eine ganz andere Steuerung haben können. Aber wir können doch gar nicht in die Zukunft vorhersagen. Wir dürfen nicht den Fehler begehen in beide Richtungen. Genauso mit dem Präventionsparadoxon – damit habe ich auch meine Probleme –, dass wir sagen: Nur weil wir das gemacht haben, ist das und das eingetreten. Da sind wir voll in der Kausaltheorie am Ende drin, dass wir sagen, dass wir nicht über Paralleluniversen diskutieren können. Genauso können wir den Fehler eben nicht machen, zu glauben, dass wir vorhersagen konnten, wie die Belastung sein würde, gerade in den Bereichen der kritischen Infrastruktur, wo wir in den Krankenhäusern zum Teil auch Situationen hatten, wo unserer Notaufnahme zum Beispiel an einem Tag 16 Pflegepersonen gefehlt haben – also, aus dem echten Leben erzählt. Hätten wir das vorher steuern können, dann hätten wir auch mit solchen Situationen anders umgehen können.
Also, ich glaube, es gab nicht den Zeitpunkt, wo wir klar sagen konnten: Hier haben wir keine Überbelastung mehr. Wir haben ja eher das Gegenteil im Moment, dass unser Gesundheitssystem so runtergewirtschaftet ist und wir so vor dem Anschlag da sind, dass wenn wir hier nicht grundlegende Änderungen und Strukturänderungen machen – die auch mal an der Wurzel, also radikale Änderungen sind –, dass wir das Gesundheitssystem gegen die Wand fahren.
Aber das ist ein komplett strukturelles Problem, das wir haben, das uns die Pandemie eigentlich nach vorne gespült hat. Ich hatte eher den Eindruck, dass wir eher gemerkt haben, in der Pandemie, dass unser Gesundheitssystem nicht mehr funktioniert, und dann jede Infektion – ganz egal, was das war – irgendwann auch eine Überbelastung werden wird.
Jeder Herbst und Winter werden auch mehr eine stärkere Belastung des Gesundheitssystems werden, sodass wir eher da ranmüssen, als dass wir sagen können: Hier war der Zeitpunkt, wo die Überlastung nicht mehr gegeben war.
Ines Biebrach, BSW: Herr Streeck, ich soll ja Fragen stellen, aber Sie rennen da bei mir offene Türen ein. Ich stelle aber trotzdem weiter Fragen.
Vors. Andreas Nowak: Bitte das Mikro benutzen!
Ines Biebrach, BSW: Ich versuche das wirklich; ich arbeite an mir. – Genau. Ich habe mal doch noch eine Frage, die mich umtreibt. Können Sie mal kurz diesen R-Wert erklären, und was der uns sagt oder nicht sagt?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Ja, der R-Wert ist der Reproduktionswert. Das ist, wie – einfach gesagt – häufig eine infizierte Person das Virus an andere weitergibt. Und da gibt es unterschiedliche Spannen. Um das unterste Ende zu nehmen: Ebola ist so 0,5, ist gar nicht so infektiös – also ist super infektiös, wenn man Kontakt hat, aber ist durch das Krankheitsbild nicht so infektiös. Auf dem anderen Spektrum liegen Masern mit 18. Also, wenn einer im Raum hier infiziert wäre, dann würden sich die meisten wahrscheinlich auch infizieren.
Ines Biebrach, BSW: Genau, dann würde ich gern noch mal auf den Expertenrat kommen, dem Sie ja angehört haben. Für mich vielleicht, oder für uns alle: Welche Aufgaben hatte dieser Expertenrat? Wie kamen die Personen in den Expertenrat, die da saßen? Wen haben Sie informiert? Und wie sind die politischen Akteure mit den Informationen des Expertenrates umgegangen?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Welchen Expertenrat?
Ines Biebrach, BSW: Den Expertenrat – den Sachverständigenrat der Bundesregierung, in dem Sie drin sind?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Also, ich war im Expertenrat von NRW.
Ines Biebrach, BSW: Nee, ich meine den bundesweiten.
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Dann den Corona-Expertenrat.
Ines Biebrach, BSW: Corona-Expertenrat, exakt.
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Wie der zusammengesetzt wurde, das kann ich Ihnen nicht sagen, das ist aus dem Kanzleramt entschieden worden. Und die Informationen gingen an den … wir haben öffentliche Stellungnahmen geschrieben und die Informationen gingen primär an das Kanzleramt, ja, aber mit der Vorgabe, dass wir uns nur schriftlich äußern. Die Gespräche intern sollten vertraulich behandelt werden. Und jeder darf nach außen seine eigene Meinung, aber nicht im Namen des Expertenrates, kundtun.
Ines Biebrach, BSW: Haben Sie im Expertenrat auch mal Maßnahmen diskutiert? Also, Sie haben ja eine – –
Vors. Andreas Nowak: Frau Kollegin Biebrach, auch da möchte ich kurz unterbrechen. Wir müssen uns auch bei Ihnen dran halten, dass wir den Untersuchungsgegenstand nicht aus dem Auge verlieren. Die Bundesregierung ist hier nicht der Untersuchungsgegenstand.
Ines Biebrach, BSW: Okay, aber der Expertenrat hatte über die Ministerpräsidentenkonferenz ja schon Einfluss auf Sachsen. Also, ich sehe da schon … okay.
Vielleicht können Sie uns noch mal so grundsätzlich sagen, inwieweit der Expertenrat und die Ministerpräsidentenkonferenz etwas miteinander zu tun hatten. Also: Inwieweit sind Informationen aus dem Corona-Expertenrat … haben die Einfluss gehabt auf die Entscheidungen der Ministerpräsidentenkonferenz, die ja dann direkt auch auf Sachsen Auswirkungen gehabt hat?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Der Vorsitzende oder die Stellvertreterin war – ich weiß nicht, wie häufig – eingeladen zur Ministerpräsidentenkonferenz, um dort zu berichten. Aber mehr kann ich auch nicht sagen, was dort berichtet wurde und was dort diskutiert wurde. Das wäre dann Herr Kroemer oder Frau Brinkmann.
Ines Biebrach, BSW: Wir werden Sie fragen. Eine Frage hätte ich dann trotzdem noch – oder ein paar, wie auch immer –: Wie schätzen Sie die Kommunikation in der Öffentlichkeit – also jetzt aus wissenschaftlicher Sicht auch – ein? Wie ist diese Kommunikation über den Virus, die Entwicklung, die Risiken, das Pandemiegeschehen, die Maßnahmen … wie schätzen Sie das ein? Würden Sie sagen, das entspricht Standards – soweit Sie das beurteilen können –, oder was haben Sie da für eine Meinung dazu?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Ja, dazu hatte ich ja vorhin schon mal ausgeholt, dass ich mir wünschen würde, dass das – sowohl die wissenschaftliche Beratung als auch die Kommunikation – professionalisiert wird in so einer Krise. Dass auch ein designierter Sprecher von dieser Beratung da ist, der sowohl das Für und das Wider der Diskussion darstellt, um da auch mal ein bisschen, ja, Verständnis dafür zu entwickeln, warum das häufig so eine Abwägung gewesen ist – eben nicht das Schwarz-Weiß der Wissenschaft, sondern dieser Graubereich der Wissenschaft. Aber dazu muss so ein Prozess professionalisiert werden in meinen Augen.
Ines Biebrach, BSW: Das ist, also – – Ich wünsche mir das auch für die Zukunft, aber die Frage war ja: Wie schätzen Sie das ein? Wie ist das in der Zeit von 2019 bis 2024, also in der Zeit der Pandemie aus Ihrer Wahrnehmung, passiert oder nicht passiert?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Es gab viele unterschiedliche Kommunikationswege, viele unterschiedliche Kommunikatoren. Ob das den Standards der wissenschaftlichen Kommunikation oder der gewünschten Kommunikation entspricht, das ist nicht mein Fachgebiet. Es gibt aber mehrere Bücher dazu mittlerweile.
Ines Biebrach, BSW: Eine Frage habe ich noch. Sind Ihnen Fälle politischer Einflussnahme bekannt auf den Expertenrat – vielleicht vonseiten der Ministerpräsidentenkonferenz oder anderer politischer Akteure –, wo man gezielt etwas Bestimmtes als medizinische Aussage haben wollte? Kennen Sie so Fälle? Ist Ihnen sowas bekannt?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Das ist so eine spekulative Frage, dass ich darauf nicht antworten kann. Also, ob jetzt – – Ja, kann ich nicht beantworten.
Vors. Andreas Nowak: Gibt es weitere Fragen seitens des BSW?
(Ines Biebrach, BSW: Dann können wir es dabei belassen!)
– In Ordnung. Hat die AfD-Fraktion weitere Fragen?
(Thomas Prantl, AfD: Nachfragen!)
Dann bitte Herr Kollege Braukmann.
Martin Braukmann, AfD: Ja, Herr Prof. Streeck, wir waren schon mal bei dem Thema mit den sieben Todesfällen, die Sie untersucht haben. Und da stellt sich mir die Frage: Beruht die Feststellung, dass die Personen an Corona gestorben sind, auf Obduktionen – ob die damit festgestellt werden – oder nur auf Rückschlüssen in Bezug auf die Todesscheine?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Bei meiner Studie?
Martin Braukmann, AfD: Ja.
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Das sind Totenscheine.
Martin Braukmann, AfD: Also keine Obduktionen durchgeführt?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Ich müsste jetzt in die Totenscheine reinschauen, ob eine Obduktion durchgeführt wurde, das kann ich Ihnen so nicht beantworten.
Martin Braukmann, AfD: Okay. Das war die eine, danke sehr. Dann war vorhin die Fragestellung hinsichtlich der Einschätzung dieser Maßnahmen, die Frage der Krankenhausbelastungen hat eine Rolle gespielt. Und die Frage ist – und das war die eigentliche Frage; ich glaube, die war gar nicht angekommen –: Wenn jetzt also keine konkreten Zahlen vorliegen über die Belastung in den Krankenhäusern, halten Sie es dann aus medizinischer Sicht für sachgerecht, entsprechende politische Maßnahmen durchzusetzen, ohne entsprechende Faktenlage – also keine Belastungszahlen, liegen nicht vor –, auf bloßen Verdacht?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Ich weiß nicht, wie ich diese Frage beantworten soll, aber ich stelle Ihnen mal eine Gegenfrage: Wenn Sie Entscheidungsträger sind, und Ihr Intensivmediziner vor Ort sagt, es geht nicht mehr – würden Sie sagen, ja, die Faktenlage ist aber was anderes?
Martin Braukmann, AfD: In der Tat, ja. Ich würde nicht lockerlassen und erst mal eine Datenlage prüfen und mich nicht auf die Aussage eines einzelnen verlassen.
Vors. Andreas Nowak: Auch hier, Herr Kollege Braukmann, möchte ich gern an den Untersuchungsgegenstand erinnern.
Martin Braukmann, AfD: Ist klar, ist klar, aber er hat mir eine Gegenfrage gestellt und deswegen wäre meine Antwort dann – – Also das heißt, Sie möchten diese Frage nicht beantworten?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Ich kann diese Frage nicht beantworten.
Martin Braukmann, AfD: Na gut. Dann habe ich andere, noch kleinere Nachfragen, und zwar: Vorhin sind Sie mal zum Thema Pandemie befragt worden, was eine Pandemie ist. Also, wie würden Sie persönlich – also, wie gesagt, aus wissenschaftlicher Sicht – eine Pandemie definieren? Ich meine keine – –
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Ich habe vorhin eine Pandemie definiert, so, wie es im Lexikon definiert wird.
Martin Braukmann, AfD: Das ist?
(Zuruf: Das hat er doch schon gesagt!)
– Ich habe es nicht gehört vorhin, deswegen frage ich nach.
Vors. Andreas Nowak: Das ist ja bereits vorgetragen worden.
Martin Braukmann, AfD: Was definiert denn das Lexikon? Was legen Sie da zugrunde?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Also, ich kann Ihnen gerne noch mal das wiederholen, was ich gesagt hatte, eine – –
(Zuruf Martin Braukmann, AfD)
– Noch mal?
Martin Braukmann, AfD: Nee, nee. Sie brauchen das nicht wiederholen, Sie haben ja auch das Beispiel mit HIV gebracht, das habe ich schon alles verstanden. Aber Sie haben keine –
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Aber ich definiere ja nicht persönlich eine Pandemie.
Martin Braukmann, AfD: – Sie haben keine Definition gebracht, unter die ich jetzt das Geschehen subsumieren könnte.
Vors. Andreas Nowak: Herr Braukmann, ich möchte Sie bitten, eine Frage zu stellen, – Martin Braukmann, AfD: Ja, habe ich getan, ich habe es noch mal erläutert.
Vors. Andreas Nowak: – dann kann der Sachverständige antworten, und dann kommen wir zur nächsten Frage.
Martin Braukmann, AfD: Gut, okay. Sie hatten vorhin erwähnt, dass Sie bei Ihren Tests in Heinsberg zwei unterschiedliche Viren festgestellt haben – einer, ich glaube, in Belgien, und einer war woanders her, weiß ich jetzt nicht mehr. Macht das das zu unterschiedlichen Viren mit unterschiedlichen Eigenschaften? Wie dürfen wir das verstehen?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Nein, es ist das gleiche Virus gewesen – es ist auch beides noch die Wuhan-Variante gewesen –, sondern es hatte unterschiedliche Fingerabdrücke. Und wir können an einem Virus anhand des genetischen Codes ablesen – in gewisser Weise, bei einigen Viren besser als bei anderen –, durch welche Bevölkerung ein Virus gegangen ist. Und das haben wir bei Heinsberg versucht, um zu zeigen: Wer ist Patient Zero in Heinsberg? Das konnten wir aber nicht, da wir den Eindruck hatten vom genetischen Code, dass das Virus aus zwei unterschiedlichen Richtungen nach Heinsberg gekommen ist.
Martin Braukmann, AfD: Also dieser Teil des genetischen Codes dieses Virus ist sozusagen irrelevant für die Krankheitswirkung, aber trotzdem für die Identifikation möglich?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Also, das ist – – Wenn das Immunsystem einen Virus angreift, dann versucht das Virus dem zu entkommen, indem es seinen genetischen Code und damit die Struktur ändert.
Martin Braukmann, AfD: Gut.
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Und so einen Fingerabdruck, den haben wir quasi nachgewiesen, ja.
Martin Braukmann, AfD: Ja. So, und dann habe ich noch eine letzte Nachfrage zum Thema des PCR-Tests. Sie haben uns ja vorhin gesagt, das kann man nicht quantifizieren. Jetzt hat man ja über diesen Cycle Threshold … geht man dabei vermehrt das, was man an Material hat, und kommt zu einem bestimmten Ergebnis.Wenn ja aber die Ausgangssituation so ist, dass ich mal mehr, mal weniger Material habe, dann ist doch letztendlich das Ergebnis bei – was weiß ich – dem CT-Wert von 30 unterschiedlich verwertbar. Also, ich kriege einmal mehr Material, weil ich mehr Ausgangslage habe, und andererseits bekomme ich weniger, weil ich eine geringere Ausgangslage habe. Wie viel Aussagekraft kann ich denn dann diesem Test überhaupt noch beimessen?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Also, sehr viel. PCR ist enorm sensitiv. Es ist einer der sensitivsten Tests, die wir haben. Wenn Sie viel Virus nachweisen – sehr viel Virus –, dann haben Sie gar kein Problem, weil Sie ganz klar sagen, da ist sehr viel Virus auf dem Abstrich, den man genommen hat.
Andersherum wird es ein Problem, wenn Sie wenig nachweisen, aber trotzdem das Virus nachweisen. Dann ist geraten, zu schauen, ob zum Beispiel die Infektion bereits abgerutscht ist in die Lunge. Und dann müsste man vielleicht auch überlegen, Lungenwasser zu entnehmen, um zu schauen, dass da keine Infektion stattfindet.
Die PCR weist in einem Abstrich … man kann die sehr gut quantifizieren, aber bei einem Abstrich, wo wir die Volumengröße nicht definieren können, weist eine PCR sehr genau nach – auch quantitativ nach, wenn wir die Volumengröße definieren können –, wie viel Virus vorhanden ist.
Aber Sie müssen sich das so vorstellen: Wenn Sie eine Ecke vom Haus rausschneiden und dann dort alles wegputzen und schauen, wie viel Staub da ist, dann haben Sie ein sehr genaues Volumen von der Ecke und können sagen: Okay, da ist soundso viel Staub drin. Aber wenn Sie hier immer mit einem Staubwedel durchgehen und dann ist einmal geputzt worden und noch mal geputzt worden, dann können wir nicht mehr genau sagen: Wie groß ist eigentlich das Volumen? Aber daher haben solche Abstriche den Fehlerbereich des Abstrichnehmens selber, den wir bei anderen Untersuchungsmethoden, bei der PCR, nicht haben. Weisen wir das Virus nach, liegt nach höchster Wahrscheinlichkeit eine Infektion auch vor. Wir können nur nicht sagen, an welchem Zeitpunkt der Infektion das sich gerade befindet.
Martin Braukmann, AfD: Okay, aber das heißt dann doch, wenn die unterschiedliche Mengen haben, kann ich eben sagen, ich schätze etwas falsch ein, weil ich eine andere Menge habe, als wenn ich – – Ich sage mal so: Weil ich die Ausgangsbasis nicht kenne, kann ich einmal annehmen, es ist zu Beginn einer Infektion, in einem anderen Fall ist es zum Ende der Infektion, aber es stimmt beides nicht, weil die zugrunde gelegte Menge nicht definiert ist.
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Der Fehler passiert aber eher dahin gehend, dass man es – – Schauen Sie, es wird ja eher unterschätzt. Also, die Infektionslage wird eher unterschätzt, weil es eher ist, dass das mehr durchspült wird, dass es Mundspülungen oder was auch immer sind. Infektionen das Virus wegzunehmen ist leichter, als Virus aus Versehen hinzuzufügen. Daher wird das eher unterschätzt als überschätzt.
Martin Braukmann, AfD: Na gut. Dann habe ich noch eine letzte Frage. Ich habe mal gelesen in der „Zeit“, dass der PCR-Test nicht nur auf das Coronavirus reagiert, sondern auch auf andere Viren. Ich habe irgendwo gelesen: bis zu 40 Stück. Stimmt das?
Prof. Dr. Hendrik Streeck: Nein. Also, nein, ich muss es dahin gehend differenzieren: Mit PCR können wir fast jedes Virus nachweisen. Aber PCR ist eine Methode. Das ist quasi wie für die Mikrobiologen ein Mikroskop. Aber wir unterscheiden durch den genetischen Code, welches Virus wir nachweisen wollen. Und dadurch kann das höchst spezifisch auf das SARS-Cov-2-Virus hin zugeschnitten werden und wurde zugeschnitten.
Martin Braukmann, AfD: Gut. Okay, das waren dann meine Fragen. Danke sehr.
Vors. Andreas Nowak: Dann bedanke ich mich sehr herzlich und frage jetzt in die Runde: Gibt es noch weiteren Fragebedarf vonseiten der Fraktionen? – Das kann ich nicht erkennen.
Dann sind wir für den heutigen Tag am Ende der Vernehmung des Sachverständigen angelangt und ich darf fragen: Wird eine Vereidigung des Sachverständigen beantragt? – Das ist nicht der Fall. Dann darf ich jetzt noch mal davon ausgehen, dass die Vernehmung abgeschlossen ist.
Dann stelle ich fest, dass der Ausschuss keine weiteren Fragen mehr an Sie richten will. Ich habe Sie eingangs zur möglichen Strafbarkeit wegen falscher Aussage belehrt und gebe Ihnen hiermit die Gelegenheit, Ihre Aussage zu korrigieren, bevor ich die Vernehmung offiziell beende. – Kein Korrekturbedarf; gut.
Dann weise ich Sie abschließend auf Folgendes hin: Nach Fertigung des Stenografischen Protokolls Ihrer Aussage erhalten Sie eine Ausfertigung übersandt und haben die Möglichkeit, binnen zwei Wochen nach Zugang des Protokolls gegenüber dem Untersuchungsausschuss schriftlich Einwendungen geltend zu machen. Ihre Einwendungen sollten sich dabei nicht auf den Inhalt Ihrer Aussage beziehen, sondern lediglich auf die korrekte Wiedergabe der Ausführungen.
Nach Eingang Ihrer Einwendungen wird der Untersuchungsausschuss Sie voraussichtlich aus dem Zeugenstand als Sachverständiger entlassen. Ihre erneute Anwesenheit vor dem Untersuchungsausschuss ist dafür nicht erforderlich.
Damit schließe ich die Einvernahme des Sachverständigen und unterbreche die Sitzung.
(Schluss der Sachverständigenvernehmung: 13:03 Uhr)